SPD-Chef Walter-Borjans: „Ein Kanzlerkandidat kann nicht einfach seine Agenda durchdrücken“
Olaf Scholz gilt in der SPD als konservativ – ganz im Gegensatz zu den Parteivorsitzenden. Die stecken auch schon den Spielraum für den Kandidaten ab.
Nach der Nominierung von Olaf Scholz als Kanzlerkandidat hat SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ein inhaltliches Mitspracherecht für die Parteiführung reklamiert. „Ich habe immer gesagt, dass ein Kanzlerkandidat nicht einfach seine Agenda durchdrücken kann", sagte Walter-Borjans dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die SPD benötige ein Programm, „das auf den Grundlagen der Beschlüsse des letzten Parteitags basiert und mit dem Kandidaten und der Partei konkretisiert wird“. Die Arbeit daran habe bereits begonnen. Allerdings werde die Partei dem Kandidaten kein Programm „überstülpen“, sagte der Parteichef.
Walter-Borjans räumte ein, dass die Nominierung von Scholz eine Reihe von Parteimitgliedern enttäuscht habe. „Einige unserer Anhänger sind enttäuscht - es wäre unehrlich und unfair ihnen gegenüber, das zu bestreiten, und man kann das ja auch bei Twitter verfolgen“, sagte er in dem Interview. Er sei dennoch sicher, dass die Entscheidung richtig sei.
Juso-Chef Kevin Kühnert, der selbst zum linken Flügel in der SPD gehört, hat derweil eine Lanze für Scholz gebrochen. Er unterstützte ihn gegen Kritik der Parteilinken und warnte vor einer destruktiven Debatte. Kühnert verwies dazu am Dienstag in Berlin auch auf die Machtoption, die sich der SPD bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr und nach dem angekündigten Ende der großen Koalition biete.
„Es macht einen Unterschied, ob man eine Parteispitze oder einen Kanzlerkandidaten sucht“, sagte Kühnert, der auf zahlreiche Zweifel hinwies, die es bei Diskussionen in der Parteilinken an dem Kandidaten Scholz gebe. Aber nur mit der SPD könne die Option einer Mehrheit links der Mitte erschlossen werden.
Vor weniger als einem Jahr standen sich die jetzigen Parteivorsitzenden und ihr Kanzlerkandidat als Rivalen entgegen. Der Vizekanzler und Kanzlerkandidat wird im Gegensatz zu dem linken SPD-Führungsduo aus Walter-Borjans und Saskia Esken dem konservativen Parteiflügel zugerechnet. Im Rennen um den Parteivorsitz war er im vergangenen Jahr den beiden unterlegen.
Kritik an Zeitpunkt der Bekanntgabe
Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hingegen warnt seine Partei vor einer Demontage des neuen Kandidaten. Die SPD müsse aufpassen, dass sie den Kandidaten „nicht aufreibt" zwischen Partei und Programm, sagte Steinbrück am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk. „Daran habe ich gelitten, daran hat auch Steinmeier mal gelitten - und daran hat auch Martin Schulz 2017 gelitten", sagte Steinbrück mit Blick auf die vorangegangenen Kanzlerkandidaten.
Der frühe Zeitpunkt von Scholz' Nominierung 13 Monate vor der Wahl sei nicht ohne Risiko, warnte Steinbrück. "Das ist eine sehr lange Zeit. In dieser Zeit werden Sie als Kandidat an der Wand entlang gezogen. Es wird jeder Stein umgedreht, um zu gucken, was da drunter liegt."
Den Grund für die frühe Nominierung von Scholz könne er nicht ganz nachvollziehen, sagte Steinbrück. "Denn auch in einem Vierteljahr oder in einem halben Jahr wäre niemand an Olaf Scholz als Spitzenkandidat der SPD vorbeigekommen."
Die SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken rief Steinbrück auf, den Kandidaten trotz mancher Meinungsverschiedenheit nach Kräften zu unterstützen: "Er ist derjenige, der jetzt der Frontmann ist, und er muss jede Unterstützung haben. Und dem haben sich auch die beiden Parteivorsitzenden unterzuordnen."
Katja Kipping: „Scholz stand für Dinge, gegen die die Linke protestiert hat“
Im Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin sagte Esken, sie schließe eine Koalition mit der Linken nicht aus – jedoch nur unter bestimmten Bedingungen, wie etwa die Umsetzung einer stabilen Europa- und Außenpolitik. Eine große Koalition lehnte Esken ab, wenn auch nicht „absolut“. Es sei an der Zeit, die Regierungszeit der CDU zu überwinden.
Währenddessen hat die Linke jedoch angekündigt, der SPD im Wahlkampf „nichts zu schenken“. „Wir sind sowieso der kämpferische Teil links der Union für eine notwendige soziale und ökologische Wende“, betonte Parteichefin Katja Kipping.
Die Nominierung von Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD und die Chancen für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken bewertete Kipping zurückhaltend. Entscheidend sei, dass man inhaltlich vorankomme, etwa alle vor Armut zu schützen sowie Millionenvermögen und Millionenerbschaften stärker zu besteuern.
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Kipping sagte, Scholz habe bisher für Dinge gestanden, gegen die die Linke hart protestiert habe. „Ich gestehe auch ihm zu, dass er sich inhaltlich neu orientiert. Ob er das macht, das wird sich zeigen. Mein Eindruck war, dass die SPD selber jetzt in einigen Fragen sich neu aufgestellt hat, sozialpolitisch“, betonte Kipping.
Von der Union kommt derweil Kritik an dem Nominierungsmanöver der SPD. CSU-Generalsekretär Markus Blume kritisierte den Zeitpunkt scharf. Blume äußerte in einem Interview der „Passauer Neuen Presse" die Befürchtung, dass dadurch die Arbeit der großen Koalition erschwert werde.
„Jetzt ist nicht die Zeit für Wahlkampf und Kandidatenkür. Unser Land steht vor großen Herausforderungen und riesigen Aufgaben in der Corona-Pandemie", sagte der CSU-Generalsekretär. (AFP, dpa)