zum Hauptinhalt
Frösteln für die Freiheit - Bundeswehr im litauischen Rukla
© Bernd von Jutrczenka / dpa

Wehrbeauftragte Högl fordert rasche Mängel-Beseitigung: Ein heilsamer Ukraine-Schock für die Bundeswehr

Die Wehrbeauftragte Eva Högl ist „entsetzt“ über den Zustand der Bundeswehr selbst im Einsatz. Jetzt hofft sie auf Einsicht in den Nutzen der Abschreckung.

Der Termin steht jährlich an und könnte doch nicht besser passen. Der Ukraine-Krieg führe vor Augen, wie bedroht der Frieden sei, sagt Eva Högl, als sie am Dienstag ihren Jahresbericht als Wehrbeauftragte des Bundestages vorlegt.

Alles, was sie und ihre Vorgänger seit Jahren fordern – bessere Ausrüstung für die Bundeswehr, schnellere Beschaffung, Effizienz statt Bürokratie – ist durch Wladimir Putins Krieg zur Priorität geworden. Löste ihr Bericht früher oft nur routiniertes Bedauern aus, wirken Mängel und Probleme jetzt auf einmal sehr konkret bedrohlich.

„Manche bezeichnen das als Ukraine-Schock“, sagt Högl. Für sie schafft er eine paradoxe Situation. Einerseits sei es „brutal“, dass in Europa Bomben fallen und Tausende sterben.

Andererseits: „Das schärft natürlich das Bewusstsein dafür, wie wichtig die Abschreckung ist.“ Dass das zum Umdenken auch in ihrer eigenen Partei, der SPD, geführt hat, kann sie nur begrüßen: „Unsere Soldatinnen und Soldaten garantieren Frieden, Freiheit und Sicherheit.“

"Die Bundeswehr ist trotzdem einsatzbereit."

Der geplante 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds für die Bundeswehr müsse jetzt aber sowohl „zügig“ als auch „sinnvoll“ verwendet werden. Die Diagnose des Heeresinspekteurs Alfons Mais, die Bundeswehr stehe „blank“ da, will Högl nicht unterschreiben – der General habe da einen „sehr emotionalen Beitrag“ geliefert, sagt sie und betont: „Die Bundeswehr ist trotzdem einsatzbereit.“

Nur nicht so bereit, wie es sein sollte. Dass sie im Berichtsjahr 2021 in Litauen auf frierende Soldaten traf und in Mali bei ihrem Besuch nur die Hälfte der gepanzerten Schützenwagen einsetzbar waren, habe sie „entsetzt“, sagt Högl. Dass nicht mal in den Einsätzen und nicht mal an alltäglichen Ausrüstungen alles parat sei – nicht akzeptabel.

[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]

Der Milliarden-Topf biete jetzt die „Riesenchance“, die bekannten Mängel rasch abzustellen. Als erstes müsse alles beschafft werden, was die Soldatin und der Soldat quasi am Körper tragen, von warmer Wäsche bis Splitterschutzweste und Funkgerät. Dann sei das geplante Großgerät an der Reihe.

„Nicht sinnvoll“, warnt die Wehrbeauftragte, wäre es hingegen, jetzt ganz neue Projekte mit langen Laufzeiten oder perfektionistische „Goldrandlösungen“ zu erfinden. Und überhaupt nicht sinnvoll wäre es, wenn das Beschaffungswesen bleibe wie es sei: Träge, beharrlich, überbürokratisiert.

Bürokratiemarathon für ein Stück Stoff

In dem Bericht finden sich satirefähige Beispiele. Um dem Militärischen Nachrichtenwesen ein eigenes Uniformabzeichen zu beschaffen, brauchte es erst eine Artikelnummer und danach noch mal eigens die Freigabe des Koblenzer Ausrüstungsamts. Die Prozedur für das kleine Stück Stoff dauerte zwei Jahre.

Kein Wunder, dass die Kampfschwimmer in Eckernförde immer noch auf eine Schwimmhalle warten, weil die Landesbauverwaltung nicht zu Potte kommt, von den Abläufen bei Großgeräten zu schweigen.

Immerhin sieht Högl auch da neue Chancen: Ausnahmen vom EU-Vergaberecht, die andere Staaten ohnehin seit jeher freizügiger nutzten, würden angesichts der akuten Bedrohung der Sicherheit viel einfacher zu begründen.

Mehr zum Krieg gegen die Ukraine lesen Sie bei Tagesspiegel Plus:

Andere Dauerthemen im Mängelbericht der unabhängigen Parlamentsbeauftragten treten vor dem Krieg etwas in den Hintergrund. Dabei bleiben etwa Rechtsextremisten in Uniform ein Problem.

Nummerisch wird es sogar größer: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ging 2021 589 Verdachtsfällen nach – im Vorjahr waren es 477, davor 363 Fälle.

Högl führt den Anstieg aber darauf zurück, dass die Truppe durch spektakuläre Vorgänge etwa beim Kommando Spezialkräfte (KSK) sensibilisiert sei. Es werde jetzt schneller und mehr gemeldet, wenn sich jemand auffällig verhalte. Die Elitetruppe selbst habe die richtigen Konsequenzen gezogen: „Das KSK ist auf einem guten Weg.“

Dringenden Handlungsbedarf sieht die Wehrbeauftrage dagegen bei den Reservisten – MAD und Verfassungsschutz mussten 1337 Verdachtsfällen nachgehen, wobei neben Neonazis auch „Reichsbürger“ vermehrt ins Blickfeld kommen. Unzufrieden ist Högl außerdem mit den Verfahren vor Truppendienstgerichten – das schleppende Tempo sei „ein echtes Ärgernis“. Und auch die Entlassung von Verfassungsfeinden müsse schneller gehen.

Zur Startseite