Europaexpertin Tanja Börzel: "Ein Denkzettel auch für Steinmeier"
Tanja Börzel, Europaexpertin an der Freien Universität Berlin, über die Europa-Wahl, Signale und die Ursachen für den Verlust der SPD.
Was war das wichtigste Signal dieser Europawahl für Deutschland?
Da die Wähler Europawahlen nun einmal gerne als Denkzettelwahlen für die nationale Politik nutzen, muss man sagen: Am Sonntag hat es vor allem die SPD erwischt. Wenn man diesen Urnengang als eine Trendwahl für die Bundestagswahl im September sieht, dann sind die Sozialdemokraten die klaren Verlierer. Ihre Anhänger sind frustriert vom Auftreten der Partei und sind wohl lieber daheim geblieben. Die SPD konnte die starken Verluste von 2004 nicht wettmachen. Es ist auch ein Denkzettel für SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, der sich stark in diesen Wahlkampf einbrachte – Martin Schulz, der Europa-Spitzenkandidat der SPD, war ja auf kaum einem Plakat ohne Steinmeier zu sehen.
Was ist die Ursache für dieses schlechte Ergebnis?
Wenn man darauf achtet, dass die Union bei den Arbeitern stärker abgeschnitten hat als die SPD, dann ist es den Sozialdemokraten nicht gelungen, ihre Politik in der Wirtschafts- und Finanzkrise als die bessere darzustellen. Offenbar wird eine staatliche Stützungspolitik wie im Fall Opel doch eher als ein leichtfertiger Umgang mit Steuergeldern zur vermeintlichen Rettung großer Konzerne wahrgenommen. Diese Sichtweise könnte der SPD geschadet haben.
Und sie erklärt den Erfolg der FDP?
Ja, denn die FDP hat sich am deutlichsten von der Politik der staatlichen Rettungspakete distanziert, und davon profitiert sie auch in Europa. Dazu kommt, dass sie mit Silvana Koch-Mehrin auch ein Gesicht vorweisen konnte, das die Wähler mit der Europapolitik verbinden. Das ist den anderen Parteien nicht gelungen.
Wobei Koch-Mehrin zuletzt in der Kritik stand, in Brüssel und Straßburg nicht allzu arbeitsam zu sein.
Das mag sein, aber sie hat auch geschickt gekontert, indem sie ihre Rolle als dreifache Mutter herausstrich. Zumindest Frauen, die Karriere und Familie verbinden wollen, haben da durchaus Verständnis.
Die Wahlbeteiligung war, in Deutschland und den meisten EU-Staaten, mit etwa 43 Prozent wieder extrem niedrig. Ist das nicht ein Legitimationsproblem für das EU-Parlament?
Das ist für jedes demokratisch gewählte Organ ein Problem. Aber hier sind die Parteien gefragt, auch die SPD: In Berlin war die Beteiligung am geringsten in Arbeiterbezirken wie Marzahn oder Wedding. Man muss aber in allen Bevölkerungsgruppen mehr dafür werben, wie wichtig Europa für alle ist. Es liegt an den Parteien, die Wähler zu überzeugen, warum sie zur Europawahl gehen sollten. Zumal es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Mitgliedsländern einen breiten Pro-Europa-Konsens gibt. Gerade die Finanzkrise wäre ein Chance gewesen, den Nutzen europäischer Politik stärker zu betonen. Doch was wird gemacht: Als die Bundesregierung die Staatshilfen für Karstadt letztlich ablehnte, hat sie den Schwarzen Peter wieder Brüssel zuschieben wollen.
Tanja A. Börzel (38) ist Europaexpertin und lehrt seit 2004 als Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität. Davor arbeitete sie an der Uni Heidelberg.