Ministerpräsidentin Malu Dreyer: „Ein Bußgeld für Impfdrängler ist angemessen“
Am 14. März will Malu Dreyer bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ihr Amt verteidigen. Zuvor berät sie in der Bund-Länder-Runde über Corona. Ein Interview.
Malu Dreyer ist seit sieben Jahren Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren konnte die heute 60-jährige SPD-Politikerin ihre Ampel-Koalition mit FDP und Grünen verteidigen. Nun steht sie wieder im Wahlkampf.
Frau Dreyer, Wahlkampf in Corona-Zeiten ist seltsam. Gibt es da trotzdem besondere Begegnungen jenseits des Bildschirms?
Sie haben Recht, ich verbringe viel Zeit im digitalen „Wohnzimmer“, aber es gab auch kleine unmittelbare schöne Wahlkampf-Erlebnisse. In Trier gibt es an Karneval traditionell „Mäuschen“, das sind frittierte Quarkbällchen. Am Rosenmontag bin ich mit einem Korb Mäuschen und einer Wahlinfo in der Fußgängerzone mit den Menschen ins Gespräch gekommen, natürlich unter Einhaltung der Abstandsregeln.
Die Leute fanden es toll, dass wir trotz der Pandemie an diesem Brauch festgehalten haben. Und mit unserer Finanzministerin Doris Ahnen habe ich hier in Mainz-Gonsenheim in einem Park Tüten mit Flyern und frischen Äpfeln als Vitamin-Booster an Spaziergänger und Jogger kontaktlos verteilt. Natürlich kann man wegen der Corona-Regeln nur mit wenigen Leuten reden, aber ich habe gespürt, wie sehr sie sich freuten.
Die SPD in Rheinland-Pfalz wirbt mit dem Slogan „Wir mit ihr“ – gemeint sind Sie. Verschaffen die Corona-Restriktionen Ihnen als Ministerpräsidentin einen Vorteil, weil Sie sich anders als Ihr Herausforderer Christian Baldauf von der CDU nicht erst bekannt machen müssen?
Verantwortung zu tragen, kann bei einer Wahl Vor- und Nachteile haben – je nachdem, ob die Menschen mit Ihrer Arbeit zufrieden sind. Nur wenn die Menschen einem vertrauen, wird das dann auch zu einem politischen Vorteil.
Ihr Herausforderer Christian Baldauf attackiert die Bildungspolitik der von Ihnen geführten Ampelkoalition, fordert mehr Laptops und Digitalisierung. Da wäre doch in der Tat mehr drin.
Ganz Deutschland ist bei der Digitalisierung noch nicht so weit gekommen, wie das wünschenswert wäre. Wir in Rheinland-Pfalz haben aber als eines von wenigen Bundesländern eine sichere digitale Plattform für die Schulen entwickelt mit mehr als 20.000 lizenzierten Unterrichtsmaterialien. Also digitale Schulbücher, Aufgabenhefte und Lern- und Erklärvideos mit einem Videokonferenzsystem und einem datensicheren Messengerdienst.
Die Plattform hat alles, was man braucht, um modernen digitalen Unterricht zu gestalten. Jetzt sind erst 20 Schulen dabei, aber noch in diesem Jahr werden alle Schulen das Angebot erhalten, da mitzumachen. Lehrer, Schüler, Eltern können darüber kommunizieren – und alles ist datenschutzrechtlich abgesichert. Wir sind auf diesem Gebiet bundesweit ein echter Vorreiter.
Viele Schülerinnen und Schüler sind durch die Pandemie weit zurückgeworfen. Was halten Sie von dem Vorschlag, deshalb ein ganzes Jahr zu wiederholen?
Es ist ja nicht so, dass Home-Schooling nicht geklappt hätte. Es gibt sogar sehr gute Beispiele. Ich glaube, davon wären viele Schülerinnen und Schüler entsetzt. Aber es gibt in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, Corona-bedingt ein Jahr zu wiederholen, ohne dass das Jahr als Wiederholungsjahr angerechnet wird. Aber natürlich haben wir viele Fördermaßnahmen geschaffen, um die Schülerinnen und Schüler zu stärken.
Wir haben, teils mit Kooperationspartnern, zusätzlichen Unterricht in Deutsch oder Mathematik organisiert, wir fördern digitale Lernpartnerschaften, arbeiten mit Vereinen aus dem Bildungssektor zusammen und wir bieten auch wieder die Ferienschule an. Gerade mit Schulen aus Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf sind wir darüber im Austausch, wie wir diese Programme noch weiter ausbauen.
Was war Ihr größter Fehler in der Coronakrise?
Natürlich wissen wir heute mehr als vor einem Jahr. Aber wir haben auf der Basis alles verfügbaren Expertenwissens mit großer Umsicht und Sorgfalt Entscheidungen getroffen. Und natürlich haben wir in den Monaten seither dazugelernt. Als wir den ersten Lockdown für Seniorenheime beschlossen haben, bin ich zu einer solchen Einrichtung gefahren und habe mich vom Hof aus durch die Fenster mit Bewohnerinnen und Bewohnern unterhalten. Da habe ich gespürt, wie einschneidend die Isolation und Einsamkeit für diese Menschen ist – das hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Und ich weiß es auch von meiner eigenen Mutter.
Ich habe daraus praktische Konsequenzen gezogen, wir haben zum Beispiel die Einschränkungen beim Besuchsrecht dann anders organisiert. Wir haben das Testen ausgebaut: Mitarbeiter, Besucher und Bewohner werden regelmäßig getestet. Es sind ja nun auch andere Voraussetzungen: Bei uns sind Bewohner in allen Seniorenheimen geimpft. Da ist dann auch mehr möglich.
Sind Sie als Mensch mit einer chronischen Erkrankung stärker sensibilisiert für die Bedeutung von Gesundheit als andere Politiker?
Nein. Allerdings habe ich großes Verständnis dafür, welche Ängste im Moment viele Menschen plagen. Das ist für mich eine wichtige Dimension: die Überlegung, was wir tun können, um den Menschen die Ängste zu nehmen.
Nach einem Jahr werden viele Menschen ungeduldig, das Vertrauen in die Politik erodiert.
Alle Umfragen zeigen nach wie vor eine hohe Zustimmung zu unserem Handeln. Als die Corona-Pandemie begann, haben wir eine Rekordzahl von Briefen und Mails von Bürgern erhalten, allein im Januar dieses Jahres schon so viele wie im gesamten Jahr 2019. Es sind Unmengen. Es ist alles dabei, das reicht von der Bitte, noch mehr Restriktionen zu erlassen, bis zur Aufforderung, alles aufzumachen.
Ihr Amtskollege aus Hessen, Volker Bouffier, wurde nun mit dem Satz zitiert, die Leute hätten die Schnauze voll. Und in Bezug auf das nächste Corona-Treffen von Bund und Ländern am 3. März meinte er, er erwartet ein wildes Gekläffe und Durcheinander…
Ich weiß, dass die Erwartungen an das Treffen am kommenden Mittwoch besonders hoch sind. Zum zweiten Mal wurde versprochen, dass wir diesmal einen Perspektivplan vorlegen. Und das müssen wir auch einhalten.
Werden wir mal konkret: Kann der Handel ab 8. März unter Auflagen wieder öffnen, wenn die Inzidenz weiter über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner liegt?
Ich will den Beratungen am 3. März jetzt nicht vorgreifen. Ich habe klare Vorstellungen davon, dass wir Perspektiven aufzeigen müssen. Wir brauchen Lösungen für den Einzelhandel, für Kultur, für die Außengastronomie, für körpernahe Dienstleistungen. Aber auch für Hotels und Ferienwohnungen. Ich bin auch dafür, die privaten Kontaktbeschränkungen zu lockern.
Viele Menschen können und wollen sich nicht mehr an die Vorgaben halten. Es ist nicht gut für die Akzeptanz von Regeln, wenn eine Mehrheit sie für völlig praxisfern und unsinnig hält. Da ist es besser, wir passen das an.
Und was wollen Sie für die Gastronomie ändern?
Ich will Erleichterungen für die Außengastronomie im Rahmen der jeweils gültigen Kontaktbeschränkungen. Das Wetter wird besser, die Menschen halten sich im Freien auf, sitzen auf Bänken und Treppen und trinken zum Beispiel Kaffee. Da kann ich doch einem Gastronomen schlecht verbieten, unter Einhaltung der Abstandsregeln wieder Umsatz zu machen.
Und wie wollen Sie die privaten Kontaktbeschränkungen lockern?
Im Moment dürfen beide Elternpaare von befreundeten Familien nicht miteinander spazieren gehen, eine Mutter oder ein Vater müssen zuhause bleiben – und das jetzt im Shutdown, wo es kaum eine andere Aktivität als Spazierengehen gibt. Aus meiner Sicht wäre es sehr sinnvoll, wenn man wieder auf diese etwas weitere Kontaktbeschränkung geht, die immer noch sehr streng ist: Zwei Haushalte mit maximal fünf Personen, die Kinder nicht mitgezählt.
Sind Lockerungspläne das richtige Signal zu einem Zeitpunkt, da Virologen vor einer jetzt schon unausweichlichen dritten Welle von Infektionen warnen?
Ich kenne keinen verantwortlichen Politiker, der sofort alle Restriktionen beenden will. Wir müssen trotzdem aufpassen und jederzeit reagieren können. Wir müssen einen moderaten Weg gehen, zugleich durch Impfen und Testen absichern, aber wir müssen Perspektiven geben.
Ist es denn vernünftig, sich so starr wie die Kanzlerin an der Inzidenz von 35 Neuerkrankungen auf 100.000 Bewohner zu orientieren?
Die Inzidenzzahl ist ein wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Wir müssen auch die Zahl der Tests und die Zahl der Impfungen berücksichtigen. Dazu rät uns ja auch das Robert-Koch-Institut ausdrücklich. Und natürlich spielt bei allen Entscheidungen auch die Belegung der Intensivbetten in den Krankenhäusern eine Rolle. Und wir sind vorbereitet, auch schnell und hart zu reagieren, wenn in einer Region die Infektionszahlen drastisch steigen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Schnelltests für alle schon zum 1. März angekündigt, daraus wurde nichts. Ein Rückschlag?
Die Leute warten auf Tests für alle, sind zu Recht ungeduldig. Sie können uns mehr Sicherheit geben, sie sind ein wichtiger Baustein in jedem Öffnungsplan. Wir haben alle Respekt vor den Mutationen, Tests können uns helfen, Infizierte zu finden, die vielleicht gar nicht merken, dass sie infiziert sind.
Was erwarten Sie konkret vom Bund?
Der Bundesgesundheitsminister muss Klarheit schaffen, wie das nun ab 8. März laufen soll. Wir in Rheinland-Pfalz sind vorbereitet, Testmöglichkeiten für alle zur Verfügung zu stellen. Wir haben alles mobilisiert, was ging, damit wir eine Testinfrastruktur zur Verfügung stellen und testen können. Wir wollen Unternehmen, die freiwillige Feuerwehr, die übrigen Testzentren vor Ort, die Apotheker und die Ärzte, die möchten, mit einbeziehen. Wir sehen doch bei Lehrern und Erziehern, wie wichtig Schnelltests sind.
Das hört sich nach Ärger über Jens Spahn an…
Keine Landesregierung war über den Plan informiert worden. Es schafft einfach unnötig Probleme, wenn in der Bevölkerung Erwartungen geweckt werden, die dann nicht erfüllt werden. Wenn man sich gut vorbereitet und alle wichtigen Akteure mit einbindet, werden die Tests für alle am Ende auch eine Erfolgsgeschichte. Aber nur dann.
Eine Erfolgsgeschichte ist das Impfen bisher nicht, es fehlt Impfstoff, nun bleiben Dosen von AstraZeneca in den Kühlschränken liegen.
In Rheinland-Pfalz bleibt kein Impfstoff liegen, wir verimpfen auch Astrazeneca. Auch da sind wir im Vergleich weit vorne. Gegen das verbreitete Misstrauen gegen AstraZeneca hilft nur Aufklärung. Wir haben in jedem Impfzentrum einen Arzt, der alle Fragen dazu beantworten kann. Wir haben ein paar abgesagte Impftermine, aber das hält sich in Grenzen.
Es gibt auf der anderen Seite ja auch schon Politiker, die die Chance nutzen, sich beim Impfen vorzudrängeln, braucht es härtere Strafen?
Wenn sich Leute einfach vordrängeln, finde ich das wirklich rücksichtslos, den Gruppen gegenüber, die ein sehr hohes Risiko haben, sehr schwer zu erkranken, wenn sie nicht geimpft werden. Wir haben leider noch Menschen aus der Priorität eins, welche überhaupt noch nicht geimpft sind. Ich finde den Vorschlag für ein Bußgeld für die Impfdrängler angemessen. Das wäre ein starkes Signal.
Aber es muss auch klar sein, dass kein Impfstoff weggeworfen wird. Wir haben in Rheinland-Pfalz klare Regeln, wenn Impfstoff absehbar übrig ist an dem Tag, werden einfach Menschen kontaktiert aus der gleichen Prioritätengruppe. In Gruppe 1 sind ja auch Rettungsorganisationen oder ambulante Pflegedienste.
Frau Dreyer, Sie stehen für einen pragmatischen Politikansatz, in der Tradition Kurt Becks „nah bei die Leut“. Die Bundes-SPD ist nach links gerückt und verliert zunehmend ihren Anspruch, Volkspartei zu sein…
Also ich bin da viel zuversichtlicher. Es ist ein bisschen schade, dass sich das im Moment noch nicht so in den Prozenten ausdrückt, aber es wird gar nicht bestritten in der Bevölkerung, dass die Minister und Ministerinnen der SPD sehr gute Arbeit leisten in der Bundesregierung.
Und ich bin fest davon überzeugt, wenn das Rennen um die Bundestagswahl eröffnet ist und das haben im Moment viele noch nicht so richtig auf dem Schirm, das sich dann die Karten neu mischen. Die Amtsinhaberin tritt nicht mehr an. Es werden neue Personen im Spiel sein und da haben wir sehr, sehr gute Chancen mit Olaf Scholz, dem man zutrauen kann, dass er Kanzler einfach kann.
Was macht Sie da so zuversichtlich?
Die Partei ist geschlossen. Und wir sind die Partei der sozialen Sicherheit. Die ist immer wichtig und wird nach der Pandemie noch wichtiger, denn Corona hat nicht alle gleichermaßen hart getroffen. Darauf werden wir ganz besonders achten. Insofern bin ich zuversichtlich, dass die Umfragewerte sich verändern, sobald klar ist, wir sind in der offenen Auseinandersetzung um die Bundestagswahl.
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Sie erleben ja zwei möglichen Kontrahenten auch in diesen Corona-Schalten. Warum sollen die Leute denn Olaf Scholz mehr vertrauen als Armin Laschet?
Olaf Scholz weiß sehr genau, was er möchte und er hat eine Haltung. Er hat sehr viel Erfahrung. Er hat aber auch Zukunftsvisionen, wo unser Land hin muss. Und er hat eine Meinung. Er steht zu dem, was er sagt. Und er ist ja als Hanseat dafür bekannt, dass er wirklich zu seiner Haltung steht. Und ich denke, dass Menschen das auch spüren.
Das mag sein, aber er durfte nicht Vorsitzender werden, die Parteiführung schielt eher auf Rot-Rot-Grün. Ausgerechnet Sie könnten ihm sehr mit einem Signal helfen, wenn die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz am 14. März bestätigt würde…
Ja, die Ampel hier hat sehr gut funktioniert. Unsere Ampelkoalition kann ein Vorbild sein für andere Bundesländer, aber natürlich auch für die Bundesebene. Das Wesentliche wird dann sein, dass man gemeinsam Ziele für eine gute Zukunft definieren kann, dann ist auch eine gute gemeinsame Arbeit möglich. Und es muss auch stimmen zwischen den Menschen.
Koalitionen leben nun einmal davon, dass man politisch einen gemeinsamen Weg gehen kann. Aber sie leben auch davon, dass man miteinander professionell und gut umgehen kann. Es muss nicht jeder so viel Glück haben wie wir, dass wir uns auch noch mögen.