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Polizeibeamte stehen am 17.10.2015 in Köln am Tatort am Braunsfelder Wochenmarkt. Die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker ist einen Tag vor der Wahl bei einer Messerattacke in Köln verletzt worden.
© dpa

Messerangriff auf Henriette Reker: Ein Anschlag auf die Demokratie

Trotz der Messerattacke auf Henriette Reker wird in Köln am Sonntag gewählt. Der Täter ist entgegen ersten Meldungen offenbar nicht geistig verwirrt.

Es war der erste Termin beim Endspurt. Henriette Reker kam gegen neun Uhr an den gemeinsamen Stand jener Parteien, die sie im Wahlkampf der vergangenen Wochen unterstützt haben. Sie sah etwas müde aus, die langen Tage und Wochen, in denen sie jetzt von morgens bis abends um die Gunst der Kölner geworben hat, haben Spuren im Gesicht der zierlichen Frau hinterlassen. An diesem Morgen will sie ihre Mitstreiter aus den verschiedenen Parteien, aus CDU, FDP und der Grünen noch einmal motivieren, sie beginnt den Tag auf dem Marktplatz des westlichen Stadtteils Braunsfeld.

Kurz nach ihrem Eintreffen passiert das Unfassbare: ein Mann mittleren Alters nähert sich plötzlich und zieht unmittelbar vor ihr zwei Messer aus der Tasche, mit einem sticht er sofort und gezielt auf die Kandidatin ein. Sie geht rasch zu Boden, ist offenbar schwer am Hals verletzt. Ihre Mitarbeiter versuchen den Mann aufzuhalten, dabei wird eine Frau aus ihrem Team schwer und drei weitere Menschen leicht verletzt. Noch während die Polizei alarmiert wird, eilt ein zufällig anwesender Beamter der Bundespolizei herbei, er kann den Mann ohne weiteren Widerstand festnehmen, er lässt sich die beiden Messer abnehmen. Wenige Minuten später treffen erste Streifenwagen der Polizei ein, der Täter wird der Polizei übergeben und ins Präsidium gefahren, wo sie ihn anschließend vernehmen.

Noch während sich Ärzte um die schwer verletzte Henriette Reker und die anderen Opfer kümmern, sickert durch, dass der Mann sich die Kandidatin der Koalition gegen die SPD gezielt ausgesucht hat. Henriette Reker war bis zu ihrer Kandidatur Sozialdezernentin der der Stadt Köln und damit auch für die Flüchtlinge zuständig. Noch am Tatort hatte der Mann ausgerufen: "ich habe das für euch alle gemacht", auf dem Weg ins Polizeipräsidium präzisiert er, was er damit gemeint hat. "Das Flüchtlingsproblem wächst uns über den Kopf", sucht er seine Tat zu rechtfertigen.

"Angriff auf uns alle"

Zu diesem Zeitpunkt kämpfen die Ärzte um das Leben von Henriette Reker, die mindestens am Hals schwer getroffen wurde; wie später berichtet wird, ist ihre Luftröhre verletzt, muss sie wenig später in der Kölner Universitätsklinik zweimal operiert werden. Gegen Mittag kommt die für viele erlösende Nachricht, dass ihr Gesundheitszustand so weit stabilisiert ist, dass keine Lebensgefahr mehr besteht.

Während republikweit die Bilder von umgekippten Wahlkampfschirmen der Grünen und der CDU vom Braunsfelder Markt gesendet werden, halten die politischen Kontrahenten in der Domstadt inne. "Ich habe sofort den Wahlkampf eingestellt", verkündet Jochen Ott, der sozialdemokratische Gegenkandidat von Henriette Reker, der als einziger überhaupt eine Chance hatte, ihre Dominanz in dieser Auseinandersetzung zu brechen und darauf hoffte, mindestens in den zweiten Wahlgang zu kommen. Die Ministerpräsidentin des Landes, Hannelore Kraft, zeigte sich fassungslos und sah in der Tat einen "Angriff auf uns alle", Bundesjustizminister Heiko Maas verurteilte die Attacke als "abscheuliche Tat".

Im ersten Moment traf der Schock auch die aktuelle Verwaltung der Stadt Köln, es wurde gerätselt, ob man die rund 800.000 Wahlberechtigten in die Domstadt unter diesen Umständen wirklich an die Urnen rufen kann. Schon am frühen Nachmittag stand dann allerdings fest, dass die Wahl wird stattfinden müssen, juristisch gibt es keine andere Möglichkeit.

Während das klar wird, versammeln sich die Vertreter aller Parteien in der Kölner Innenstadt, um ein gemeinsames Zeichen der Demokraten gegen Gewalt zu senden. "Die Stadt hält den Atem an, das ist ein Anschlag auf die Demokratie", ruft der noch amtierende und in der kommenden Woche aus dem Amt scheidende Oberbürgermeister Jürgen Roters aus, in diesem Moment mag ihm niemand widersprechen.

Im Polizeipräsidium wird unterdessen immer klarer, dass der Täter - anders als es zuerst hieß - nicht geistig verwirrt ist. Er ist 44 Jahre als, war früher als Maler und Lackierer tätig, ist offenbar seit längerer Zeit arbeitslos und lebt von Hartz IV im Kölner Stadtteil Nippes. "Er war unauffällig", sagt ein Polizeibeamter später und fügt dann noch an, warum er so gehandelt hat: "Er hat uns gesagt, dass er die Tat aus fremdenfeindlichen Motiven begangen hat".

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