Politik: Ein alter Mann packt an
Giannis Boutaris will die griechische Politik ändern.
Giannis Boutaris sitzt hinter seinem massiven Holzschreibtisch im dritten Stock des Rathauses von Thessaloniki. Zu seiner Rechten türmen sich die Aktenstapel einen halben Meter hoch auf. Auch eine Sanduhr steht dort. Boutaris dreht sie um, der rötliche Sand beginnt zu rieseln. „Wenn bestimmte, langatmige Referenten mir etwas vortragen, sage ich ihnen: Du musst fertig sein, wenn die Uhr abgelaufen ist“, erklärt er mit einem verschmitzten Lächeln. „In meinem Alter habe ich keine Zeit zu verlieren.“
Boutaris ist 70. Der verwitwete Winzer übertrug das Weingut seinen Kindern, um selbst noch einmal in der Kommunalpolitik seiner Heimatstadt etwas zu bewegen. Vor 18 Monaten wurde er zum Bürgermeister der Hafenstadt gewählt. Boutaris ist ein alter Mann. Und dennoch sehen viele Griechen in ihm die Erneuerung, die das Land so dringend braucht. Selbst aus der arroganten Hauptstadt Athen blicken sie nun ins 500 Kilometer entfernte Thessaloniki. Während die Griechen allmählich verstehen, dass ihre Schuldenkrise in Wirklichkeit eine Krise der politischen Kultur ist, erkennen sie im Rathaus von Thessaloniki einen Politikertyp, der fast alles anders macht. „Boutaris ist ehrlich, bescheiden und integer – bereits das macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung, einer Hoffnung in der Politik“, sagt der Politologe Thanos Veremis.
Schon äußerlich ist der schlanke, drahtige Boutaris anders als die selbstzufriedenen Politiker. Ein blaukariertes Hemd, breite Hosenträger, gestreift in den Regenbogenfarben, halten die khakifarbene Sommerhose. Den rechten Handrücken ziert ein tätowierter Gecko. „Eidechsen häuten sich“, erklärt Boutaris, „das ist das Geheimnis des Lebens: der Wandel.“
Andere lassen sich chauffieren, Boutaris schwingt sich aufs Fahrrad. Bei Regen fährt er im Auto, aber es ist ein Kleinwagen. Andere lassen sich Aktentaschen nachtragen, Boutaris schultert einen Rucksack. Er trat an, um das System zu verändern. „Wenn das System mich verändert, bin ich gescheitert“, sagt er. „Bisher habe ich mich behauptet.“
Hinter Boutaris‘ Schreibtisch hängen zwei Fotos von ihm. Darauf scheint er sich das kurzgeschorene, wuschelige graue Haar zu raufen. Das musste er, im übertragenen Sinne, öfter, seit er Bürgermeister ist. 32 Direktoren traf er nach seiner Wahl in der Stadtverwaltung an. „Viele kannten einander gar nicht, keiner wusste, was der andere tut“, erzählt Boutaris. Inzwischen hat er die Zahl der Direktoren auf 22 reduziert, und sie konferieren jetzt regelmäßig, um ihre Arbeit zu koordinieren.
Boutaris regiert nicht im Rathaus, er diskutiert, versucht, seine Mitarbeiter zu motivieren. Das hat er in der Wirtschaft gelernt, als Chef eines Unternehmens mit 500 Beschäftigten. Griechische Politiker geben vor, alles zu wissen. Boutaris will lernen. Deshalb fuhr er nach Deutschland. In Hamburg ließ er sich erklären, wie ein moderner Hafen funktioniert. In Berlin studierte er das dortige Abfallmanagement. Wie alle griechischen Städte hat Thessaloniki ein gravierendes Müllproblem. Aber ausgerechnet von den Deutschen lernen, die wegen des Spardiktats derzeit in Griechenland so verhasst sind? Auf solche Stimmungen müsste ein Politiker wohl Rücksicht nehmen. Boutaris setzt sich darüber hinweg.
Von der griechischen Parlamentswahl am Sonntag erhofft er sich die Bildung einer „Koalition der Vernunft“, in der möglichst viele Technokraten sitzen sollten. Nur so könne Griechenland die Krise meistern, glaubt Boutaris. Und er selbst? Sieht er für sich eine Rolle auf der nationalen politischen Bühne? „Niemals“, wehrt Boutaris ab. „Meine Aufgabe ist in der Kommunalpolitik.“ Hier, direkt in den Stadtteilen vor allem, will er die Dinge bewegen, sagt Boutaris. Denn: „Der Wandel kann nicht von oben kommen, er kommt von unten.“
Gerd Höhler
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