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Ein Mitarbeiter der spanischen NGO «Proactiva Open Arms» hebt am 25.07.2017 vor der libyschen Küste ein Kind vom einem Flüchtlingsboot.
© dpa

Urteil zu Dublin-III-Verordnung: "Durchwinken" von Flüchtlingen verboten - was der EuGH entschieden hat

Der EuGH hat entschieden, dass die „Dublin-Verordnung“ auch in Ausnahmesituationen gilt. Kroatien hätte ankommende Flüchtlinge nicht Richtung Deutschland weiterschicken dürfen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mittwoch ein wichtiges Urteil zur Flüchtlingspolitik gefällt. Demnach gelten die Regeln des EU-Asylrechts – die sogenannte Dublin-III-Verordnung – auch in Ausnahmesituationen wie im Herbst 2015, als Hunderttausende Migranten auf dem Landwege über die Balkanroute die EU-Staaten erreichten.

Im Kern geht es bei dem Fall um die Praxis des „Durchwinkens“. Das „Durchwinken“ hatte in der großen Flüchtlingskrise eine wichtige Rolle gespielt und dazu geführt, dass viele von den 890.000 im Jahr 2015 in Deutschland registrierten Asylsuchenden überhaupt in die Bundesrepublik kommen konnten.

Die Dublin-III-Verordnung schreibt vor, dass in der Regel der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, den der Asylsuchende zuerst betreten hat.

Viele Migranten betraten damals in Kroatien erstmals den Boden der EU. Anstatt ein Asylverfahren einzuleiten, geleiteten die kroatischen Grenzbeamten aber im großen Stil die Flüchtlinge durch das Land hindurch an die Grenze nach Slowenien. Kroatische Behörden organisierten sogar Busse für den Transport.

Die Flüchtlinge haben dann in anderen EU-Ländern Asyl gesucht, in Slowenien, Österreich und besonders zahlreich in Deutschland. Die Richter des EuGH verwerfen mit ihrem Urteil die Praxis des Durchwinkens. Kroatiens Behörden haben also rechtswidrig gehandelt.

Hintergrund des Urteils sind die Fälle eines Syrers und zweier Afghaninnen, die von Serbien kommend zunächst in Kroatien EU-Boden betraten und von den dortigen Behörden nach Slowenien „durchgewunken“ wurden. 2016 stellten die beiden afghanischen Frauen in Österreich ihren Asylantrag und der Syrer in Slowenien. Beide Länder weigerten sich aber, das Asylverfahren durchzuführen mit Hinweis auf die Dublin-Verordnung. Kroatien sei zuständig.

Die EuGH-Richter bestätigten nun die Rechtsauffassung der Slowenen und Österreicher. Nicht ausschlaggebend sei, so urteilten die Richter, „dass das Überschreiten der Grenze in einer Situation erfolgt, die durch die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl internationalen Schutz begehrender Drittstaatsangehöriger gekennzeichnet“ sei.

Um eine Entlastung Italiens geht es Martin Schulz

Damit ist klar: Deutschland hätte 2015 und 2016 nicht diese hohe Zahl von Migranten aufnehmen müssen. Die Behörden hätten sich auf den Standpunkt stellen können, dass andere EU-Staaten für das Asylverfahren zuständig seien. Die Bereitschaft Deutschlands, 2015 und 2016 über eine Million Menschen aufzunehmen, und die Asylpolitik der Koalition, die Angela Merkel viele Sympathien gekostet hat, beruhten also auf einer freiwilligen Basis.

Allerdings verbietet das EU-Recht auch nicht die Aufnahme. Eigentlich nicht zuständige Mitgliedstaaten könnten – „einseitig oder in abgestimmter Weise im Geiste der Solidarität“ – sich solcher Fälle annehmen. Theoretisch könnte Deutschland die Flüchtlinge, die über Kroatien gekommen sind, dorthin wieder zurückschicken. Allerdings müsste Deutschland dabei nachweisen, wo die Flüchtlinge zuerst EU-Boden betreten haben.

Um eine Entlastung von Italien, wo in diesem Jahr mit der Ankunft von insgesamt rund 200.000 Migranten gerechnet wird, geht es derweil an diesem Donnerstag bei einem Besuch des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz in Rom und Catania. In Rom will der SPD-Chef mit Ministerpräsident Paolo Gentiloni über Probleme bei der Aufnahme von Migranten sprechen, in Catania auf Sizilien ist der Besuch einer Flüchtlingseinrichtung geplant.

Schulz hatte am Wochenende vorgeschlagen, dass andere EU-Staaten Italien Flüchtlinge abnehmen und dafür EU-Mittel erhalten sollten. Der SPD-Kanzlerkandidat berief sich dabei auch auf ein Gespräch mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. In Brüssel hieß es dazu nur, dass sich Juncker regelmäßig mit allen wichtigen Akteuren aus den Mitgliedstaaten austausche. Mit anderen Worten: Die EU-Kommission will sich aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten.

In eine andere Richtung als der Vorschlag von Schulz zielt indes eine Initiative von Juncker zur Lösung des Flüchtlingsproblems in Italien: Juncker schrieb in einem Brief an den italienischen Premier Gentiloni, dass Rom mit weiteren 100 Millionen Euro in der Flüchtlingskrise rechnen könne. Das Geld stammt aus bislang nicht abgerufenen Geldern aus dem europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) sowie dem EU-Fonds für Innere Sicherheit (ISF).

Die Zusage Junckers, Italien mit weiteren Millionen in der Flüchtlingskrise zu unterstützen, dürfte auch ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass Rom zu Beginn der Woche die Blockade gegen den EU-Marineeinsatz „Sophia“ aufgegeben hat, der wesentlich zur Rettung von Flüchtlingen vor der libyschen Küste beiträgt.

Derweil will es die derzeit im Urlaub weilende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zwei Monate vor der Bundestagswahl offenbar nicht allein Schulz überlassen, öffentlich Solidarität mit Italien angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen zu bekunden. Am Mittwoch telefonierte Merkel mit Gentiloni, erklärte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Dabei sagte die Kanzlerin die Unterstützung Deutschlands in der Flüchtlingskrise zu.

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