Terrormiliz "Islamischer Staat": Dschihadisten sprechen von der Eroberung Ramadis
Der „Islamische Staat“ erzielt Geländegewinne in Irak und Syrien. Am Sonntag soll die irakische Stadt Ramadi vollständig in ihre Hände gefallen sein. Vor der antiken Ruinenstadt Palmyra könnte sich die Terrormiliz jedoch zurückgezogen haben.
Kommandos der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) haben während der letzten Tage in Irak und Syrien erhebliche Geländegewinne gemacht. Im Irak eroberten die Kämpfer nach eigenen Angaben die Provinzhauptstadt Ramadi, wo sie das Regierungsgebäude sowie die Polizeizentrale anzündeten. In Syrien gelang es den Dschihadisten am Wochenende offenbar nur kurzzeitig, in die Stadt Tadmur vorzurücken, an deren Südrand die antiken Ruinen von Palmyra liegen, die seit 1980 zum Weltkulturerbe gehören.
Einwohner aus fliehen aus Ramadi
Die irakische Stadt Ramadi könnte nach IS-Angaben vollständig von den Gotteskriegern erobert worden sein. In dschihadistischen Internetforen hieß es am Sonntag, die „Soldaten des Kalifats haben die ganze Stadt Ramadi gesäubert“, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Damit hätte der IS seinen bisher wichtigsten Sieg im Jahr 2015 errungen und die Kontrolle über die gesamte westirakische Provinz Anbar erlangt, deren Grenze direkt an Jordanien stößt. Schiitische Milizen machen nun für die Schlacht um Ramadi mobil. Die Kämpfer der Bewegung Haschid Schaabi hätten ihren Marschbefehl in die Provinz Anbar erhalten, sagte ein Sprecher der paramilitärischen Gruppe am Montag.
Die zweitgrößte Stadt Falludscha haben die Gotteskrieger seit Anfang 2014 in ihrer Gewalt. Zehntausende Einwohner Ramadis sind Richtung Bagdad geflohen, seit die irakische Armee von den anstürmenden Dschihadisten überrollt wurde. Hilferufe um Verstärkung blieben nach Angaben von Offizieren in Ramadi unbeantwortet. Für den entscheidenden Durchbruch in das Stadtinnere setzte der IS zur Tarnung glatt rasierte Kämpfer in irakischen Uniformen ein, die mit Sprengstoff beladene Jeeps in die Stellungen der irakischen Einheiten rammten.
Auch im Kampf um die größte Ölraffinerie des Landes in Baiji nördlich von Tikrit mussten die irakischen Streitkräfte eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Nach Angaben von US-Militärberatern kontrolliert der IS inzwischen mehr als 80 Prozent der wertvollen Anlage, die zu Friedenszeiten rund ein Drittel des Spritbedarfs produzierte. Die Kontrolle von Baiji gilt unter Fachleuten als Voraussetzung für eine Rückeroberung von Mossul, die die Zentralregierung in Bagdad für den Herbst angekündigt hat. Der „Islamische Staat“ war am 6. Juni 2014 in die Drei-Millionen-Metropole eingefallen.
Zwei tote Kinder in Palmyra
Im syrischen Palmyra hielten die Kämpfe das ganze Wochenende an. Bei einem Raketenangriff der IS auf die Stadt sind nach Angaben von Aktivisten fünf Zivilisten getötet worden. Unter den Toten seien auch zwei Kinder, sagte der Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Montag der Nachrichtenagentur AFP.
Der Angriff auf die Stadt, die im Arabischen Tadmur heißt, ereignete sich demnach am Sonntagabend, mehrere Stadtviertel seien von den Raketen getroffen worden. Rahman betonte, es sei das erste Mal, dass der IS "mit solcher Intensität" auf die Stadt geschossen habe. Die Beobachtungsstelle, deren Angaben nicht von unabhängiger Seite überprüft werden können, stützt sich auf ein dichtes Netzwerk von Informanten in ganz Syrien. Die Wüstenstadt befand sich in den letzten vier Jahren fest in der Hand von Baschar al Assad. Die syrischen Behörden meldeten am Sonntag allerdings, der Angriff des IS sei zurückgeschlagen. Die Miliz habe sich aus dem nördlichen Teil Tadmurs zurückgezogen, sagte Provinzgouverneur Talal Barasi der Nachrichtenagentur AFP.
IS-Verwalter Abu Sayyaf getötet
Derweil gab das Pentagon bekannt, eine US-Spezialeinheit habe erstmals auf syrischem Boden nahe Deir Ezzor eingegriffen und 32 Dschihadisten getötet, darunter den IS-Verwalter Abu Sayyaf, den ein US-Sprecher als „Emir für Öl und Gas“ titulierte. Dabei sei eine 18-jährige Jesidin befreit worden, die von Abu Sayyaf offenbar als Sex-Sklavin gefangen war, hieß es in Washington. Die Frau des getöteten Tunesiers wurde zu einem US-Stützpunkt im Nordirak geflogen.
Doch trotz der fast 3500 alliierten Luftangriffe ist die Macht des „Islamischen Kalifats“ ungebrochen, welches sich vermehrt zu einem transnationalen Terrorimperium entwickelt. Ein Dutzend radikale Gruppen haben dem selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al Baghdadi die Treue geschworen, unter anderem in Libyen, Algerien und Tunesien, in Ägypten, Jordanien und Jemen. Von Libyen planen die Terroristen nach einem BBC-Bericht nun auch systematische Angriffe auf Europa, indem sie glatt rasierte Kämpfer auf Flüchtlingsboote einschleusen. Der britische Sender beruft sich dabei auf den libyschen Regierungsberater Abdul Basit Haroun, der gute Kontakte zu Bootsbesitzern hat.
Nach dessen Angaben zwingt Libyens IS die Menschenschmuggler seit Neuestem, 50 Prozent ihrer Einnahmen abzuliefern und IS-Kämpfer auf den Booten mitzunehmen. 60 000 Menschen haben nach Schätzungen der Vereinten Nationen in diesem Jahr versucht, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. „Die Extremisten sitzen oft getrennt von den anderen“, erklärte Abdul Basit Haroun. „Sie haben keinerlei Angst vor der Überfahrt – denn sie sind 100 Prozent IS.“