Afghanistan: Droht ein neuer Bürgerkrieg?
Es war mehr als nur ein weiterer Anschlag: Der perfide Mord am obersten Friedensunterhändler Rabbani lässt die Hoffnung auf Frieden mit den Taliban schwinden.
Der Mann gab sich als Taliban-Kommandeur Esmatullah aus und bestand darauf, persönlich mit Burhanuddin Rabbani, dem Chef von Afghanistans Hohem Friedensrat, zu sprechen. Es gehe um Friedensgespräche, behauptete er. Er hatte sogar die Nerven, mehrere Tage seelenruhig in einem Gästehaus in Kabul zu warten, bis Rabbani von einer Iran-Reise zurückkehrte und Zeit für ihn hatte. Aus Respekt verzichtete Rabbani dann darauf, den angeblichen Taliban-Führer durchsuchen zu lassen. Das war sein Todesurteil. Als die beiden die Hände schüttelten, zündete der Mann die Bombe, die er unter seinem Turban versteckt hatte. Rabbani starb in seinem eigenen Haus, mitten in Kabuls Hochsicherheitszone. Sein Tod sendete Schockwellen bis nach Washington. Es war das schwerwiegendste Attentat seit Sturz der Taliban 2001. Und es könnte der Vorbote eines neuen Bürgerkrieges am Hindukusch sein.
Wer immer hinter dem Mord steht, hatte ein klares Ziel vor Augen: das Land zu spalten, neuen Hass zwischen Tadschiken und Paschtunen zu säen - und die Chancen auf Frieden zu torpedieren. Der Tadschike Rabbani musste sterben, weil er als Vorsitzender des von Karsai einberufenen Friedensrates die Gespräche mit den Taliban vorantreiben wollte. Der 71-Jährige, der von 1992 bis 1996 Präsident Afghanistans war, bevor ihn die Taliban aus Kabul verjagten, war eine der Führungsfiguren in der von Tadschiken dominierten Nordallianz, den Todfeinden der Taliban. Er galt als einer der ganz wenigen in diesem polarisierten Land, denen man zutraute, eine Brücke zwischen den Taliban und der Nordallianz zu schlagen.
Die Hintergründe der Tat sind weiter unklar: Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Mittwoch, Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid habe erklärt, das Attentat gehe auf das Konto der Taliban. Dies dementierte Mujahid später allerdings in einer E-Mail an Radio Free Europe und inzwischen die Taliban offiziell auf ihrer Homepage. „Wir wissen nichts davon und haben auch mit niemandem darüber gesprochen“, schrieb Mujahid nach Angaben des Senders. Die USA schienen zunächst davon auszugehen, dass es die Taliban waren. Diese verübten zusehends Anschläge auf ranghohe Persönlichkeiten, hieß es in Washington.
Waren es wirklich die Taliban, dann war es eine brutale Absage an alle Friedensbemühungen. Doch an dieser Version bleiben Zweifel. Zumal auch die Taliban kein monolithischer Block, sondern eventuell in sich gespalten sind. Vertraute von Rabbani haben wiederum das Hakkani-Netzwerk in Verdacht, das Pakistans Geheimdienst ISI nahestehen soll – und dem auch die jüngsten Anschläge auf die US-Botschaft und das Nato-Hauptquartier angelastet werden. Noch rätselhafter ist, dass bei dem Attentäter angeblich ein Brief der Taliban-Führung gefunden wurde – der aber nach Ansicht afghanischer Sicherheitskreise gefälscht war.
Präsident Hamid Karsai brach seine US-Reise ab und berief am Mittwoch eine Krisensitzung des Kabinetts ein. Karsai wird Mühe haben, Ersatz für Rabbani zu finden. Und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Rabbani ausgerechnet jetzt ermordet wurde. Westliche Beobachter berichteten, dass es erstmals ernsthafte Chancen auf Friedensgespräche gab. „Wer immer dies getan hatte, wollte diese Gespräche sabotieren“, sagte ein westlicher Diplomat. Zwar betonten Karsai und der Hohe Friedensrat, dass sie am Aussöhnungskurs festhalten wollen, doch das wird nun ungleich schwerer werden.
Denn das perfide Kalkül des Mörders und seiner Hintermänner scheint aufzugehen: Der Mord an Rabbani hat Wut geschürt und die Nordallianz dürfte ihren Widerstand gegen Gespräche mit den Taliban verstärken. Nur Stunden nach dem Mord sprachen sich ihre Führer gleich reihenweise im Fernsehen gegen den Friedensprozess aus. Den Taliban könne man nicht über den Weg trauen, meinte der frühere Spionage-Chef Amrullah Saleh von der Nordallianz. Wie gefährlich das Land und das Volk gespalten ist, zeigten auch die Reaktionen auf Rabbanis Tod: Während Hunderte Menschen am Mittwoch in Kabul gegen das Attentat protestierten, jubelten andere.
Rabbanis Tod reiht sich ein in ganze Serie von spektakulären Morden ein: Zu den Opfern zählen etwa Hamid Karsais Halbbruder Ahmed Wali sowie der Polizeichef des Nordens, Dawood Dawood. Erst vergangene Woche nahmen Militante zudem für 20 Stunden die US-Botschaft und das Nato-Hauptquartier unter Feuer. Es geht bei den Anschlägen immer weniger noch um den Kampf gegen die USA, die ja angekündigt haben, bis Ende 2014 die meisten ihrer Truppen abzuziehen. Es geht bereits um das zukünftige Machtgefüge im Afghanistan nach dem Abzug des Westens. Und dabei wollen nicht nur die Taliban, sondern auch Nachbarländer wie Pakistan, Iran und Indien mitmischen. Deshalb wird es immer schwerer, auszumachen, wer wirklich hinter einem Anschlag steht.
Zumal die USA darauf aus scheinen, einen Keil zwischen die verschiedenen Militantengruppen zu treiben. Während sie mit einigen Militanten verhandeln, wollen sie offenbar vor allem das Hakkani- Netzwerk nun ausräuchern. Sollten die USA bestimmte Militanten-Gruppen oder Länder wie Pakistan aus den Gesprächen über die Zukunft Afghanistans auszugrenzen, dürften diese alles daransetzen, solche Verhandlungen irgendwie zu durchkreuzen – und für weiteres Blutvergießen sorgen.
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