70. Jahrestag der Bombenangriffe: Dresden war ein Kriegsverbrechen
Bei den Luftangriffen auf Dresden vor 70 Jahren wurden absichtlich Zivilisten getötet. Das aber ist auch im Krieg verboten. Aus guten Gründen tun sich viele Deutsche schwer damit, das Verbrechen zu benennen. Ein Kommentar.
Dresden war ein Kriegsverbrechen. Das auszusprechen, fällt vielen Deutschen aus guten Gründen schwer. Zu groß wirkt die Gefahr, von Ideologen missverstanden, vereinnahmt, instrumentalisiert zu werden. Das betrifft in erster Linie die geschichtsrevisionistischen Geiferer von Rechtsaußen. Bereits die Nazis prägten den Begriff von den Deutschen als Opfer eines barbarischen angelsächsischen Flächenbombardements.
Die geistigen Nachfolger der Nazis, die heutigen Neonazis, halten Trauermärsche unter dem Motto „Ehre den Opfern des Bombenterrors“ ab, sprechen von „Bombenholocaust“, rechnen die deutsche Kriegsschuld gegen Grausamkeiten auf, die von Briten und Amerikanern verübt worden waren.
Die real existierende sozialistische Lesart klang kaum erträglicher. Zwar wurde die deutsche Kriegsschuld nicht geleugnet, doch auch DDR-Offizielle sprachen von „anglo-amerikanischen Luftgangstern“, die die Kulturstadt Dresden bewusst zerstört hätten, um das „Florenz an der Elbe“ nicht in sowjetische Hände fallen zu lassen. Die Luftangriffe seien ein Beleg „für die enge Verwandtschaft der amerikanischen Rüstungsmilliardäre mit dem Nationalsozialismus, ihre Verwandtschaft im barbarischen Denken wie im barbarischen Handeln“. Erst kirchliche Friedensgruppen brachen Anfang der achtziger Jahre mit derart klassenkämpferischer Propaganda und riefen an den Trümmern der Frauenkirche zum stillen Gedenken auf.
Den ersten Bombenangriff auf eine bewohnte Stadt flog im Zweiten Weltkrieg die deutsche Luftwaffe
Unter der sarkastischen Überschrift „Ihr seid wieder wer!“ schrieb der Holocaust-Überlebende Jean Améry im Jahr 1969 einen Brief an einen anonymen Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Er fordert ihn darin auf, „die Geschichte, das so und nicht anders Geschehene“, schlicht zur Kenntnis zu nehmen. Und dann schreibt Améry, was es zu jedem Versuch der Relativierung der deutschen Geschichte zu sagen gibt: „Sie, Ihr Herr Vater, Ihr Herr Großvater, haben zur Entfesselung zumindest eines Großkonflikts, nun sagen wir’s vorsichtig, nicht nein gesagt.
Dieser Weltkonflikt ging machtpolitisch für Sie schlecht aus, wenn auch, was Menschenopfer betrifft, doch wohl nicht ganz so tragisch wie für beispielsweise die Russen oder die Polen, nicht zu reden von den Juden, die ihnen auf politisch-militärischer Ebene gar nicht entgegentraten, vielmehr nur ihre Macht zu spüren bekamen bis zum bitteren Ende. (…) Muss ich Ihnen erst sagen, dass Sie und die Ihren bei der ganzen Veranstaltung am Ende – trotz Dresden und anderer Scheußlichkeiten, die Ihnen zustießen – noch vergleichsweise glimpflich wegkamen?“
Den ersten Bombenangriff auf eine bewohnte Stadt flog im Zweiten Weltkrieg die deutsche Luftwaffe. Das war am 1. September 1939, nur Stunden nach Beginn des Krieges. Das polnische Wielu wurde dabei fast vollständig zerstört. Es folgten Rotterdam, Coventry, andere. Briten und Amerikaner begannen 1942 mit Flächenbombardements auf deutsche Großstädte. Solche Luftangriffe wurden bewusst auch auf reine Wohngegenden geflogen, mit dem erklärten Ziel, den Durchhaltewillen des Feindes zu brechen, seine Moral. Das geschah zumeist in mehreren Wellen. Zuerst wurden Sprengbomben abgeworfen, um Dächer abzudecken und Fenster zu zertrümmern. Dann wurden Brandbomben geworfen. Zum Schluss, während der Löscharbeiten, explodierten mit Zeitzündern versehene Luftminen.
Innerhalb von 15 Minuten wurden drei Viertel der Altstadt in Brand gesetzt
In der Nacht zum 14. Februar 1945 verwandelten britische Flugzeuge die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt Dresden in ein Flammenmeer. Innerhalb von 15 Minuten wurden drei Viertel der Altstadt in Brand gesetzt. Ein Bombenteppich zerstörte die gesamte Innenstadt. Es war der schwerste Luftangriff auf eine Stadt im Zweiten Weltkrieg, rund 25 000 Menschen wurden getötet. Ob Kinder, Frauen, Alte, Kranke – jeder war ein Ziel der Angriffe. Planvoll und systematisch wurden Zivilisten umgebracht. Ihr Tod war nicht „Kollateralschaden“ einer anderen kriegsnotwendigen Handlung, sondern erwünschtes Resultat des Angriffs selbst. Dresden lag in der Logik von Hiroshima und Nagasaki.
Die absichtliche Tötung unschuldiger Menschen aber ist Mord, auch im Krieg. Als im Jahr 1958 der ehemalige amerikanische Präsident Harry Truman von der Universität Oxford einen Ehrendoktor erhalten sollte, schrieb die katholische Moralphilosophin Elizabeth Anscombe ein wütendes Pamphlet gegen diese Entscheidung („Mr. Truman’s Degree“). Ihr Essay gilt bis heute als Grundlage der modernen Forschung über Recht und Moral im Krieg. Ein zentraler Gedanke darin lautet: Das Recht zum Krieg (ius ad bellum) ist unabhängig vom Recht im Krieg (ius in bello).
So wie ein Aggressor durchaus „sauber“ kämpfen kann, kann ein Verteidiger, etwa durch Einsatz von Chemiewaffen, abscheuliche Verbrechen begehen. Im Recht zu sein, einen Krieg zu führen, befreit nicht von der Notwendigkeit, ihn im Einklang mit allseits akzeptierten Normen führen zu müssen.
Dresden war ein Unrecht. Schmälert das den Dank der Deutschen, von den Alliierten befreit worden zu sein? Nein.