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US-Präsident Donald Trump und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim G-7-Gipfel in Italien.
© Jonathan Ernst/Reuters

Der US-Präsident und die Bundestagswahl: Donald Trump, Wahlkampfhelfer der CDU - oder der SPD

Der Umgang mit dem US-Präsidenten wird im deutschen Wahlkampf wichtig. Wer wird mehr profitieren: Angela Merkel oder ihr Herausforderer Martin Schulz?

Bundestagswahlen werden selten nur durch Außenpolitik gewonnen. Aber manchmal prägen Vorgänge jenseits der Landesgrenzen doch entscheidend einen Wahlkampf. Helmut Kohl erlebte unverhofft den zweiten Frühling, als der Ostblock zusammenbrach und die Mauer fiel. Und Gerhard Schröder schlug mit seinem Nein zu George Bushs Irak-Krieg 2002 den Gegner Edmund Stoiber aus dem Feld. Diesmal könnte wieder ein US-Präsident seinen Anteil daran haben, wer nach dem 24. September im Berliner Kanzleramt regiert. Donald Trumps Rüpel-Auftritte, gerade erst wieder bei der Nato und beim G7-Gipfel in Taormina, bilden einen weltpolitischen Hintergrund, vor dem Angela Merkel und ihr SPD-Herausforderer Martin Schulz agieren – und den beide mal mehr, mal weniger offen zu ihrem Vorteil zu nutzen versuchen.

Bei den Sozialdemokraten liegt derzeit einige Hoffnung in einer Art Neuauflage des Irakkrieg-Wahlkampfs. Die Vorlage liefert Trump, der in Brüssel seine Forderung bekräftigt hat, dass die Nato-Partner zwei Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Verteidigung aufbringen müssten – und zwar als "absolutes Minimum", sofort und sogar nachträglich. Hier glauben SPD-Strategen die Kanzlerin stellen zu können. Sie erinnern daran, wie sich seinerzeit die Oppositionsführerin Merkel in der Debatte über den Irakkrieg in einer US-Zeitung offen gegen die Regierung Schröder gestellt hatte. Die CDU-Chefin tat sich danach schwer damit, den Vorwurf abzuwehren, sie stehe an der Seite des Kriegstreibers Bush.

Diesmal ist von Krieg keine Rede. Immerhin aber haben Merkel und ihre Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) grundsätzlich zugesagt, dass sie auf das 2014 vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel hinarbeiten wollen, schon mit Blick auf neue Bedrohungen etwa durch Russland. Für Leyen hat Trumps Druck zudem den Charme, dass er ihr im Verteilungswettkampf um Haushaltsmittel hilft.

Als Erster in der SPD witterte der Stimmungsspezialist und Außenminister Sigmar Gabriel in dem Vorgang eine Chance. Schon im Februar warnte er vor angeblich drohendem "blindem Gehorsam" gegenüber Washington. Immer wieder hat Gabriel das Motiv seither angeschlagen. Inzwischen hat auch sein Kanzlerkandidat nachgezogen. Bei ihrem Auftritt auf dem Kirchentag am Freitag spielten beide das Thema an. Der Außenminister forderte eine neue Abrüstungsdebatte und sprach sich gegen die Erfüllung der Zwei-Prozent-Vorgabe aus. Er wisse gar nicht, was man mit dem vielen Geld machen solle: "Und dann schlagen auch noch Leute aus dem Finanzministerium vor, wie sollten die Sozialausgaben kürzen, um das zu bezahlen!"

Das zielt auf eine Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs Jens Spahn. "Etwas weniger die Sozialleistungen erhöhen in dem ein oder anderen Jahr und mal etwas mehr auf Verteidigungsausgaben schauen", hatte das CDU-Präsidiumsmitglied in einem Interview verlangt. Die SPD nutzt ihn jetzt als Kronzeugen. In den Reden von Schulz nimmt die Absage an das Zwei-Prozent-Ziel mittlerweile einen festen Platz ein: Er wolle lieber einen epochalen Aufbruch in der Bildung finanzieren statt Deutschland aufzurüsten - mit einem Wehretat von bis zu 70 Milliarden Euro!

Auch Merkel hält Trump auf Distanz

Bei der Union betrachten sie diese Manöver der Konkurrenz aufmerksam, aber eher gelassen. Spahns Spruch gilt zwar auch in der Unionsspitze als Dusselei. Aber die Gefahr wird gering eingeschätzt, dass die Wähler den Nachwuchspolitiker vom Niederrhein versehentlich für Angela Merkels Sprachrohr halten. Die meisten Menschen kennen ihn vermutlich gar nicht, der Rest höchstens als Jungkonservativen mit Distanz zur Chefin.

In der Kernfrage, dem Streit um die zwei Prozent, wehrt Merkel inzwischen die SPD-Attacken gleich in einem Aufwasch mit denen Trumps ab. Als die Nato am Donnerstag auf das Drängen des Amerikaners hin das Ziel bekräftigte, betonte die Kanzlerin: "Bestätigen heißt: Nicht mehr und nicht weniger." Vor allem also nicht mehr: Der geplante Anstieg im deutschen Wehretat reiche aus. Auf die angeblichen 70 Milliarden lässt sie sich gar nicht erst ein. Der Nato-Beschluss ist schließlich bewusst unscharf gehalten: Die Bündnispartner wollen sich möglichst bis 2024 den zwei Prozent annähern.

Aus der Sicht von Merkels Strategen ist das Thema, das die SPD für sich entdeckt zu haben glaubt, aber sowieso nur ein Randaspekt in einem viel größeren Bild. Als Trump am Donnerstag in Brüssel in aller Öffentlichkeit die versammelten Staats- und Regierungschefs der Nato attackierte, ihnen Leichtfertigkeit in der Einwanderungspolitik vorwarf und erneut wahrheitswidrig behauptete, sie schuldeten den USA "enorme Mengen Geld aus den vergangenen Jahren", war es die Deutsche, die sich dem Amerikaner offen widersetzte.

"Unsere Allianz ist sich einig in dem Bewusstsein der Zusammenarbeit, des Bestehens auf Freiheit und des Vertrauens darauf, dass nicht Abschottung und Mauern erfolgreich sind, sondern offene Gesellschaften, die auf gemeinsamen Werten aufgebaut sind", sagte Merkel. Den Ton hatte sie schon direkt nach Trumps Wahlsieg angestimmt.

Als Kanzlerin kann es ihr nicht gefallen, dass sich der Mann im Weißen Haus als ahnungsloser, aber um so lauterer Sprücheklopfer aufführt, dessen Wortschatz nur "grandios" und "schlecht" kennt. Doch aus Sicht der Wahlkämpferin trägt jeder Rüpelanfall weiter dazu bei, Merkel als Stabilitätsfaktor in wilden Zeiten erscheinen zu lassen. Je wüster sich Trump aufführt, lautet die Einschätzung in der Union, um so weniger Aufwand muss die Kanzlerin betreiben, sich abzusetzen. Im Grunde genügt es, dass Merkel bleibt wie sie ist. Trumps Auftreten lässt selbst die umständliche Langeweile mancher Merkel-Reden plötzlich angenehm beherrscht erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist CDU-Wahlkämpfern auch nicht davor bange, dass die SPD die deutsche Handelsdominanz in der EU zum Thema machen will. Das ist zwar ein altes Thema der sozialdemokratischen Parteien Europas. Nur findet es plötzlich in Washington auch einer "sehr, sehr schlecht", dass die Deutschen so viele Autos ins Ausland verkaufen. Die SPD will natürlich nicht den Export drosseln, sondern mit Milliardeninvestitionen die Binnennachfrage ankurbeln. Trotzdem droht der Angriff auf Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble nach hinten loszugehen – der Falsche drängt sich als falscher Verbündeter auf.

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