Ex-Botschafter John Kornblum: "Donald Trump ist typisch deutsch-amerikanisch"
Der überzeugte Transatlantiker John Kornblum war US-Botschafter in Deutschland. Im Interview spricht er über Trumps Charakter, dessen politische Pläne und Europas neue Herausforderungen.
Herr Kornblum, was ist in der Wahlnacht passiert? Hillary Clinton hatte doppelt so viel Geld für ihre Kampagne zur Verfügung wie Donald Trump, sie hatte die bestgeölte Wahlkampfmaschine aller Zeiten – und hat dennoch verloren.
Das ist richtig. Und es zeigt einmal mehr, wie wechselhaft und nachtragend Politik ist. Man sieht, dass Clintons Schwächen wie die E-Mail-Affäre den Menschen besonders im Gedächtnis geblieben sind. Sie hat fünf oder sechs Millionen Wählerstimmen weniger bekommen als Barack Obama beim letzten Mal. Es gab also nicht nur sehr viele Trump-Wähler, sondern auch eine große Gruppe, die sie schlicht nicht wählen wollte. Dennoch hatten viele, ich auch, bis zuletzt die Hoffnung, dass diese Vorbehalte nicht stark genug sein würden, um sich gegen eine erfahrene, liberale Kandidatin wie Hillary Clinton auszusprechen. Doch das ist nicht aufgegangen. Die Ängste der Menschen vor den Folgen der Globalisierung, vor Jobverlust, vor dem industriellen Wandel waren ein riesiges Thema, das schon in Europa seine Wucht entfaltet hat, wie der Brexit gezeigt hat. In der westlichen Welt findet eine Revolution der Wähler statt.
Was war die Wahl: eine Revolution, ein Schock, ein Weckruf für den Westen?
Das Wort "Revolution" hat sich ein bisschen abgenutzt. Ich erinnere mich an die Zeit, als Ronald Reagan gewählt wurde. Viele Menschen, auch in Europa, waren damals ähnlich geschockt, hatten ähnliche Ängste, wie wir sie heute haben. Reagan war allerdings von Beginn an deutlich ausgeglichener als Trump. Es gibt Zeiten großer Veränderungen, die meist unerwartet anbrechen und die Menschen sehr verunsichern. Da sind wir jetzt.
Aber der Vergleich hinkt doch: Reagan war bereits ein erfolgreicher Gouverneur in Kalifornien gewesen, er hatte politische Erfahrung. Er war kein Rassist, kein Sexist.
Sie waren nicht dabei! Ich schon. Viele waren damals voller Angst, Reagan stand politisch sehr weit rechts, die Europäer hatten Panik. Im State Department mussten wir viel Zeit darauf verwenden, die öffentliche Meinung zu beruhigen. Reagan war ein ganz anderer Typ als Trump, aber als er gewählt wurde, waren Menschen ähnlich verängstigt und unglücklich, wie es viele heute wegen Trump sind.
Also kann aus Trump ein ähnlich erfolgreicher Präsident wie Reagan werden?
Das vermag heute keiner zu sagen. Und ich bezweifle es auch, da passt der Vergleich tatsächlich nicht. Trumps Charakter ähnelt Reagans überhaupt nicht. Gerade erst hat er wieder gezeigt, wie unkontrolliert er sein kann, als er via Twitter die Menschen beschimpfte, die gegen ihn demonstrierten. Nachdem sein Umfeld offenbar eingeschritten war, verkündete er, wie stolz er auf Amerikaner sei, die für ihre Überzeugungen auf die Straße gehen.
Können Sie uns erklären, wer Trump eigentlich ist?
Zunächst einmal ist er ein Amerikaner mit deutschen Wurzeln, aus Kallstadt an der Weinstraße. Die meisten Deutsch-Amerikaner sind konservativ, sehr hemdsärmelig, die meisten sind auch sehr erfolgreich. Es gibt unter Amerikanern mit deutschen Wurzeln kaum Sozialdemokraten. Trump ist in vielerlei Hinsicht typisch deutsch-amerikanisch. Seine Familie kam nach Amerika ohne Geld – und ist inzwischen sehr reich. Und das soll kein Witz sein: Trump glaubt an den amerikanischen Traum, daran, dass jeder etwas aus sich machen kann. Als Kind war er außerdem sehr aggressiv, musste auf die Militärschule, weil er sich in der normalen nicht einfügen konnte. Er will immer erfolgreich sein, aber seine Unternehmungen in der Bauindustrie waren das nicht immer. Dann ging er ins Unterhaltungsgeschäft.
Ist er überhaupt ein richtiger Republikaner?
Er scheint gar keine politischen Überzeugungen zu haben. Den Großteil seines Lebens hat er demokratisch gewählt. Warum? Weil die Demokraten in New York regierten. Je mehr Geld er ihnen geben würde, so sein Kalkül, desto eher würden sie ihm helfen, wenn er sie braucht. Er scheint total pragmatisch zu sein, manche würden das zynisch nennen.
Sie sagten, Trump wolle stets erfolgreich sein. Was wäre für ihn eine erfolgreiche Präsidentschaft?
Ich glaube nicht, dass er davon schon eine Vorstellung hat. Wahrscheinlich hat er selbst nicht an seinen Sieg geglaubt. Er wird irgendwann herausfinden, dass der Slogan "Make America Great Again" alleine nicht ausreicht.
Im Wahlkampf hat er immer wieder Rücksichtslosigkeit demonstriert – vielleicht der Grund für seinen Erfolg. Doch hat Rücksichtslosigkeit im Umgang mit dem Kongress Aussicht auf Erfolg?
Rücksichtslosigkeit ist generell gefährlich für eine politische Karriere. Trump glaubt nicht wirklich an ausgleichende Führung. Seine Kampagne war personell schwach aufgestellt, sie war unterfinanziert – aber er hat gewonnen. Trotzdem wird er wohl der unvorbereitetste Kandidat sein, der jemals ins Weiße Haus eingezogen ist. Und das Interessante ist: Trump wollte überhaupt nicht vorbereitet sein.
Auf eine andere Führungsfigur trifft das Wort Rücksichtslosigkeit weniger zu: auf Angela Merkel, die Trump als gefährlichste Frau der Welt bezeichnete. Wie werden die beiden miteinander auskommen?
Es wird wahrscheinlich ein sehr korrektes, formelles Verhältnis werden. Von Zuneigung wird da wenig zu spüren sein. Nehmen Sie das Statement des deutschen Außenministers vor wenigen Tagen in der "Tagesschau", was übrigens sehr enttäuschend war. Am Ende hat Frank-Walter Steinmeier nicht viel mehr gesagt als: Ich bin sauer auf diese Amerikaner, weil sie diese Person gewählt haben. So macht man keine Politik.
Was meinen Sie damit?
Das Verhältnis zu den USA hat sich in den vergangenen 15 Jahren stetig verschlechtert. Erst war es wegen George W. Bush, der zugegebenermaßen viele Fehler gemacht hat. Dann waren die Europäer von Obama enttäuscht, der als Messias begrüßt wurde, bis man herausfand, dass er auch nur ein normaler Mensch ist. Es gab keine Bereitschaft, mit den Amerikanern weiterzuarbeiten, um Missverständnisse zu überwinden. Allmählich sollten Europäer überlegen, wie man einerseits Einfluss ausüben und andererseits für Amerika interessant bleiben könnte. Europa glaubt immer noch: Die Vereinigten Staaten schulden uns ihre Unterstützung, da wir im Zweiten Weltkrieg gelitten haben, und wir werden wieder zu schlechten Menschen, wenn sie uns nicht dabei helfen, die EU zu vertiefen. Aber ich kann Ihnen sagen: Das Argument zieht in Amerika nicht mehr. Auch im Team von Clinton sagten mir viele: Warum kommst du immer zu uns und sagst, dass wir uns in Europa mehr engagieren müssen? Die Europäer sind reicher als wir, sie sollten in der Lage sein, sich um sich selbst zu kümmern.
Das denkt also nicht nur Trump, das ist eine generelle Auffassung in Amerika?
Das ist eine amerikanische Entwicklung! Trump wird es dramatischer ausdrücken, und vielleicht ist das auch gut so. Die Europäer müssen verstehen, dass das, was Trump über Europa gesagt hat, sehr viele in den USA denken. Es könnte ein hilfreicher Weckruf für die Europäer sein.
Muss Europa mehr für Verteidigung ausgeben?
Man kann immer mehr für Verteidigung ausgeben. Meine These ist aber: Das Geld ist derzeit nicht ausschlaggebend. Was zählt, ist die strategische Vision und ein Sinn für Solidarität. Wir Amerikaner haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir die Fahne des Westens vor uns hertragen, nur um dann immer wieder heftig kritisiert zu werden, weil wir zu viel oder zu wenig tun, zu stark oder zu schwach sind.
Hat Donald Trump eine strategische Vision, zum Beispiel für den Nahen Osten?
Das weiß ich nicht. Doch darum geht es auch gar nicht. Wir haben vielleicht keine gemeinsame strategische Vision. Aber das Gefühl in Amerika ist seit vielen Jahren immer dasselbe: Wenn wir eine strategische Vision brauchten, waren wir es, die sie entwickeln mussten. Nur um dann von den Europäern alleine gelassen zu werden. Der Nahe Osten ist dafür vielleicht das beste, nein, das schlimmste Beispiel. Es gibt so viele Gesprächsformate, und immer heißt es: Wir sind alle einer Meinung. Und am Ende sind es die Amerikaner, die die Strategie formulieren und ausführen sollen. Keine Ahnung, was Trump machen wird. Aber ich vermute, er wird außenpolitisch deutlich unorthodoxer handeln als irgendeiner seiner Vorgänger, sei es mit Blick auf China, Europa oder sonst wo. Das bedeutet wahrscheinlich ein geringeres Engagement und mehr Ärger, wenn Probleme auftauchen. Glücklich macht mich das nicht, denn Engagement hält einen im Zweifel davon ab, militärische Mittel einsetzen zu müssen. Daher ist es so wichtig, dass Europa endlich anfängt strategisch zu denken. Doch derzeit hat Europa noch nicht einmal die Voraussetzungen dafür. Das sagen übrigens auch Europäer.
Wird Trump das Iran-Abkommen aufkündigen?
Gesagt hat er das. Auch wenn ich hoffe, dass er es nicht tut. Man kann nur hoffen, dass hier Erfahrung und das Ankommen in der Wirklichkeit eine Rolle spielen werden. Gesagt ist so etwas schnell. Wenn man dann aber genauer hinschaut und sieht, welche Folgen das hätte, ist das etwas ganz anderes.
Hoffen Sie auf ähnlichen Pragmatismus auch beim Thema Klimaschutz?
Selbstverständlich. Aber Klimaschutz war einer der Hauptkritikpunkte bei Trumps Unterstützern. Klimaschutz bedeutet für sie, dass wir keine Kohlekraftwerke mehr betreiben dürfen. Unsere Kohleindustrie steckt in einer ähnlichen Krise wie die in Europa. Klimaschutz bedeutet für Trumps Wähler, dass man keine großen Autos mehr kaufen darf. Und so weiter. Trumps Wählerschaft glaubt noch nicht einmal daran, dass es den Klimawandel überhaupt gibt. Das Thema Klimaschutz ist bei ihnen sehr negativ besetzt.
Wird Trump überhaupt schnelle Akzente in der Außenpolitik setzen? Oder wird er vor allem in der Innenpolitik aktiv?
Die Außenpolitik wird automatisch ein Thema werden. Auch wenn viele sagen, Trump wird eher ein innenpolitischer Präsident sein. Wie seine Außenpolitik aussehen wird, wird stark davon abhängen, wen er dafür aussucht. Der Vizepräsident zum Beispiel, selbst kein Außenpolitikexperte, aber offenbar eine ausgeglichene Persönlichkeit, könnte hier eine Rolle spielen. Wichtig ist auch, wer Außenminister, wer Verteidigungsminister, wer Nationaler Sicherheitsberater wird. In wenigen Wochen werden wir wissen, ob er für diese Posten erfahrene Politiker ausgesucht hat. Oder nicht.
Wird er Demokraten in seine Regierung einbinden?
Ich kann mir derzeit keinen Demokraten vorstellen, der das machen würde.
Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft wird also eher noch zunehmen?
Ich glaube gar nicht, dass diese häufig beschworene, destruktive Lagerbildung so existiert. Die amerikanische Gesellschaft besteht aus unzähligen Gruppen und Nationalitäten, das wird in Europa gerne übersehen. Auch welcher Kraftakt es ist, diese explosive Mischung unter Kontrolle zu halten. Wir sind nicht einfach zwei Blöcke, die einander feindlich gegenüberstehen, sondern ein kompliziertes Mosaik.
Wird Amerika unter Trump die freie Welt weiter anführen?
Aber natürlich, und das muss es auch. Die Frage ist nicht, ob die USA führen, die Frage ist, wie. Trump hat zwei widersprüchliche Strategien angekündigt. Die eine lautet: Die europäischen und asiatischen Alliierten müssen sich mehr um sich selber kümmern, wir können nicht immer einspringen und die Sicherheit von allen bezahlen. So etwas hören viele Amerikaner gerne, nicht nur Trump-Anhänger. Auf der anderen Seite hieß es: Niemand wird Amerika mehr herumstoßen! Wir werden für unsere Werte aufstehen, wir werden denen, die sich nicht benehmen, sagen, wie sie sich benehmen sollen, das würde bedeuten: mehr Interventionen. Trumps erklärte Ziele sind also total widersprüchlich. Was am Ende passieren wird? Keine Ahnung. Hoffen wir auf die, wie es im Deutschen so schön heißt, normative Kraft des Faktischen. Kein Präsident kann seine Ideale lange durchhalten, das Faktische kommt sehr schnell – und sehr brutal. Man muss keinen beneiden, der US-Präsident wird, wenn man auf die außenpolitische Krisen schaut.
Werden Sie weiterhin ein stolzer Amerikaner sein, auch nach dieser Wahl?
Es gibt einen Unterschied zwischen beschämt und besorgt. Ich schäme mich nicht wegen der Wahl, es war eine freie, demokratische Wahl. Aber ich bin extrem besorgt.
John Kornblum war von 1997 bis Anfang 2001 US-Botschafter in Deutschland. Der überzeugte Transatlantiker hat deutsche Wurzeln: Seine Großeltern sind 1882 aus Ostpreußen nach Amerika ausgewandert. Das Gespräch mit ihm führten Malte Lehming und Juliane Schäuble.