Türkei: Diplomatische Funkstille zwischen Ankara und Berlin
Das Auswärtige Amt muss zusehen, wie immer wieder Deutsche in der Türkei verhaftet werden. Helfen kann es den Betroffenen kaum. Eine offizielle Reisewarnung will Berlin aber nicht aussprechen.
Erdogan macht einfach weiter. Der türkische Präsident mischt sich nicht nur mit fragwürdigen Ratschlägen an Türken in Deutschland in den Bundestagswahlkampf ein. Er lässt auch weiter deutsche Staatsbürger festsetzen. Am vergangenen Wochenende offenbar erneut ein deutsches Ehepaar mit türkischen Wurzeln in Istanbul, wie der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin, Martin Schäfer, am Montag in der Bundespressekonferenz mitteilte. Offizielle Informationen der türkischen Behörden lägen bislang allerdings nicht vor.
Diese gebe es ohnehin nicht mehr, ergänzte der sichtlich frustrierte Sprecher von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der damit deutlich machte, dass die diplomatischen Gesprächsfäden zwischen Berlin und Ankara inzwischen abgerissen sind. Kommuniziert wird nur noch über Mikrophone vor Publikum oder durch Interviews.
Keine Fortschritte für Häftlinge
Zehn weitere Deutsche sitzen derzeit in türkischer Haft. Einige von ihnen besitzen neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft, was die Betreuung durch die deutsche Botschaft schwierig macht. Fortschritte gibt es aber in keinem der Fälle. Der prominenteste Häftling, der Journalist Deniz Yücel, wartet seit nunmehr 211 Tagen darauf, dass Anklage gegen ihn erhoben wird – oder er aus der Haft entlassen wird. Am Sonntag, seinem 44. Geburtstag, fand in Berlin eine große Solidaritätskundgebung für ihn statt.
Die türkischen Behörden werde dies aber wohl „in keiner Weise erweichen“, sagte Schäfer. Yücel befinde sich in einer „außerordentlich schwierigen“ Situation. „Er hat keine Vorstellung davon, ob und wann er wieder auf freien Fuß gelangen kann.“ Das klang wenig hoffnungsvoll. Auch was die eigenen Einflussmöglichkeiten betrifft.
Jeder Deutsche, der zurzeit in die Türkei reise, müsse sich damit beschäftigen, was passieren könne in diesem Land, sagte der Sprecher weiter. „Es kann jeden treffen.“ Eine Reisewarnung für die Türkei will das Außenamt gleichwohl nicht aussprechen – weil die Türkei damit auf eine Stufe mit Ländern wie Libyen oder Syrien gestellt würde. Für die Zukunft ausschließen könne man das aber nicht, so Schäfer.
Zuletzt war Ende August ein deutsches Ehepaar mit türkischen Wurzeln am Flughafen von Antalya festgenommen worden. Beide wurde später freigelassen, der Mann darf das Land vorerst aber nicht verlassen. Den beiden wurden Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen, die von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr verantwortlich gemacht wird.
Deutsche als Faustpfand für türkische Asylsuchende?
Möglicherweise will der türkische Präsident deutsche Häftlinge aber auch als Faustpfand einsetzen, um die Bundesregierung zur Auslieferung türkischer Asylsuchender zu bewegen. Seit dem niedergeschlagenen Putsch in der Türkei im Juni vergangenen Jahres haben allein 250 Türken mit Diplomatenpass und 365 sogenannte Dienstpassinhaber einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Das sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) der „Rhein-Zeitung“. Um wen es sich genau handelt, wollte das Bundesinnenministerium nicht preisgeben. Bekannt ist, dass auch hochrangige Militärs darunter sind. Aus Sicht Erdogans sind sie potenzielle Unterstützer des gegen ihn gerichteten Putschversuchs, die er zur Verantwortung ziehen will.
Das politische Klima in der Türkei, in der sich neben Journalisten besonders Oppositionelle und Staatsbedienstete mit mutmaßlichen Sympathien für die Gülen-Bewegung willkürlicher Verfolgung ausgesetzt sehen, treibt immer mehr Türken in die Flucht. Rund 150.000 Staatsbedienstete, darunter Polizisten, Justizbeamte und Lehrer, wurden seit dem gescheiterten Staatsstreich entlassen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) führte die Türkei im August auf Platz vier der Liste der Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden in Deutschland. 829 Asylanträge wurden allein in dem Monat von Türken gestellt; 4408 waren es seit Anfang dieses Jahres insgesamt.