Grüne und Digitalisierung: Digitale neue Welt
Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung verändern nicht nur die Wirtschaft, sondern alle Lebensbereiche. Welche Folgen dieser Wandel hat, wollen die Grünen am Wochenende auf einem Kongress debattieren.
Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, hat seine Partei aufgefordert, die Auswirkungen des digitalen Wandels nicht zu unterschätzen. "Wir wollen die Falle vermeiden, die Digitalisierung als weiteres Unterkapitel im umfangreichen grünen Wahlprogramm zu verstehen", schreibt Kellner in einem Thesenpapier. Gemeinsam mit dem Netzpolitiker Malte Spitz wirft er die Frage auf, wie sich die technologischen Veränderungen auf Kommunikation, Arbeit, Zusammenleben und das politische Gemeinwesen auswirken werden. Die beiden Grünen-Politiker sehen dabei ebenso Chancen wie Risiken. "Schwarzmalerei und die Rückkehr ins Analoge sind genauso fehl am Platz wie unkritische Technikgläubigkeit", heißt es in dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt.
Auf dem Bundesparteitag Ende November wollen die Grünen das Thema Wirtschaft zum Schwerpunkt machen. In der Partei ist zum einen umstritten, ob man die Wirtschaft eher als Verbündete für einen ökologischen Umbau sieht oder als Gegner. Aber auch die Digitalisierung dürfte zu Auseinandersetzungen führen. An diesem Wochenende wollen die Grünen auf einem Kongress in Bielefeld darüber diskutieren, ob die Chancen oder Risiken überwiegen, etwa wenn es um den Wandel in der Arbeitswelt geht. Thema soll auch sein, welche Rolle Datenschutz und Bürgerrechte in Zeiten von Big Data spielen.
Durch Digitalisierung könnten Ressourcen sparsamer eingesetzt werden
In ihrem Thesenpapier schreiben Kellner und Spitz, die Digitalisierung berge das Potential, Ressourcen viel sparsamer einzusetzen. Etwa durch den Einsatz von intelligenten Stromnetzen ("smart grids") oder Autos ("smart grids"), sowie durch entsprechende Stadtentwicklungskonzepte ("smart cities"). Doch neben den technologischen brauche es auch soziale Innovationen, fordern die Grünen-Politiker. Dazu gehört nach ihrer Ansicht eine Kultur des Teilens: Etwa, indem man das eigene Auto über eine App auch an andere Mitnutzer vergibt. Sie verweisen aber auch auf das Entstehen einer neuen "Do-it-Yourself-Kultur", die auf Reparieren und Reproduzieren setzt. Statt Geräte wegzuwerfen, müsse es künftig möglich sein, Ersatzteile aus 3-D-Druckern selbst zu produzieren. Und so wie man früher in der Garage am Auto habe herumwerkeln können, müsse man in Zukunft auch Software fürs eigene Auto neu installieren und modifizieren dürfen.
Bürger dürfen nicht "gläsern" werden
Kellner und Spitz sehen die Gefahr, dass die Bürger durch zunehmende Vernetzung auch im privaten Bereich zu "gläsernen" Bürgern werden könnten. Um das zu verhindern, fordern sie, Daten dezentral vorzuhalten und nicht in "riesigen Datenbergen". So könne jeder seinen eigenen Mini-Server zu Hause haben, der auswerte, wie der Strom- oder Wärmeverbrauch zu regeln sei. Auch Verkehrsdaten könnten so anonymisiert werden, dass keine Rückverfolgung möglich sei. "Im Zweifelsfall geht persönlicher Datenschutz vor gesellschaftlichem Gesamtinteresse", mahnen sie. Derzeit werde sowohl "aus kapitalistischer Verwertungslogik" als auch aus einem "allumfassenden Überwachsungsdogma" versucht, eine Neudefinition von Datenschutz und Privatspähre durchzusetzen, konstatieren Kellner und Spitz. Der transparente Bürger solle als Chance verkauft werden, für "vermeintliche Sicherheit" wie bei der Vorratsdatenspeicherung oder individualisierte Versicherungstarife auf Basis der Preisgabe des Alltagsverhaltens.
In den kommenden Jahren wird nach Ansicht der Grünen-Politiker die Frage von Gerechtigkeit in einer digitalen Gesellschaft dominieren. "Dafür braucht es schnelles Internet, erschwingliche technische Geräte und Zugang zu Wissen - überall und unabhängig vom Einkommen", fordern sie. Dabei gehe es um weit mehr als den Tablet-Computer für jedes Schulkind. Digitalisierung ermögliche völlig neue Zugänge zu hochklassiger Bildung, heißt es unter Verweis auf Vorlesungen amerikanischer Spitzenunis, die man heute schon online verfolgen kann.
Recht auf Home-Office
Die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Arbeitswelt sind nach Ansicht der Grünen-Autoren zwiespältig. Einerseits entstehe die Möglichkeit zu einer umfassenden (Selbst-)Ausbeutung. Anderseits könnten intelligente Maschinen den Menschen auch den körperlich verschleißenden Teil in vielen Arbeitsprozessen abnehmen. Sie fordern, die Veränderungen auch dafür zu nutzen, um mehr Zeit für Familie, Freizeit und sich selber zu gewinnen. Ein Recht auf Home-Office nach niederländischem Vorbild gehört nach Ansicht von Kellner und Spitz dazu.
Grünen-Politiker fordern Besteuerung von Robotern
Um langfristig staatliche Ausgaben und die Sozialsysteme finanzieren zu können, fordern die Grünen-Politiker, nicht menschliche Arbeit zu verteuern, sondern Kapital, etwa durch die Besteuerung von Robotern. Sie sprechen sich außerdem für die Einführung einer Bürgerversicherung aus, in der auch auf Kapitaleinkommen Beiträge gezahlt werden, sowie für die Abschaffung der Abgeltungssteuer. Die gewonnenen Einnahmen könnten für eine negative Einkommensteuer für Geringverdiener, Bildungsteilzeit oder die Zukunftsfestigkeit der Sozialsysteme genutzt werden.
Bundesgeschäftsführer will digitale Beteiligungsmöglichkeiten für die Partei ausbauen
Als Bundesgeschäftsführer will Kellner außerdem in den nächsten Wochen Vorschläge machen, wie sich die Digitalisierung stärker für die Parteiarbeit nutzen lässt. "Bisher hat es noch keine Partei geschafft. die neuen technischen Möglichkeiten für sich als Motor von Parteireform und neuen Beteiligungsmöglichkeiten effektiv zu nutzen", ist er überzeugt. Eine Task Force unter seiner Leitung arbeitet derzeit an konkreten Instrumenten. "Von Eingaben über Mitgliederbegehren oder Mitgliederbefragung, auf jeder Ebene unserer Partei sollten wir diese Instrumente für unsere parteiinterne Demokratie schaffen", sagt Kellner.