Flüchtlinge aus dem Kosovo: "Diesen Leuten geht es wirklich dreckig"
Deutsche Kommunen verzeichnen eine steigende Anzahl von Asylbewerbern aus dem Kosovo. Besonders in Bayern wird darüber lautstark diskutiert. Die Politik will den Kosovo als sicheres Herkunftsland einstufen, um Flüchtlinge leichter abschieben zu können. Felix Wolff, Balkan-Koordinator der Hilfsorganisation Care, beschreibt im Interview die Lage der Menschen vor Ort - und was Deutschland tun könnte.
Herr Wolff, Sie koordinieren die Arbeit der Hilfsorganisation Care auf dem Balkan. In Deutschland wird gerade über Asylbewerber aus dem Balkan diskutiert, der Kosovo soll womöglich als sicheres Herkunftsland eingestuft werden. Was denken Sie, wenn sie aus Bayern Sprüche a là „Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan“ hören?
Natürlich sind wir nicht das Sozialamt der Region, aber wir haben durchaus eine Verantwortung für die Situation vor Ort. Wer nicht will, dass die Menschen nach Deutschland flüchten, müsste im Kosovo mehr tun. Dort herrscht eine extreme Armut und Perspektivlosigkeit.
Können Sie die Situation im Kosovo genauer beschreiben?
Der Kosovo hat schon auf dem Papier die höchste Arbeitslosigkeit in Europa, etwa 60 bis 70 Prozent der jungen Menschen hat keinen Job. Die Dunkelziffer könnte sogar noch höher liegen. Das Bildungssystem ist schlecht, genauso die Perspektiven. Das Gefälle zu anderen Ländern, zu Deutschland aber auch zu den Nachbarstaaten, ist einfach zu groß. Einen Winter in einem Asylbewerberheim zu verbringen, ist besser, als Zuhause zu erfrieren, weil das Geld für Brennholz fehlt. Ein Großteil der Menschen lebt von Geld, das Verwandte aus Mitteleuropa schicken.
Viele der Asylbewerber aus dem Kosovo gehören zur Gruppe der Roma...
Die Roma werden auf dem gesamten Balkan diskriminiert. Im Kosovo ist die Situation aber besonders verschärft, weil ihnen von der albanischen Mehrheitsbevölkerung vorgeworfen wird, im Krieg zu den Serben gehalten zu haben. Sie sind von jeder gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, das geht soweit, dass beispielsweise schwangere Roma-Frauen in Krankenhäusern oft gar nicht behandelt werden. Diesen Leuten geht es wirklich dreckig, sie haben Probleme zu überleben.
Was könnten Deutschland und die anderen europäische Länder tun?
Es gibt schon einige gute Projekte, aber bei weitem nicht genug. Im Bezug auf die Diskriminierung müsste man stärker auf Behörden und Institutionen einwirken. Familien, die aus Deutschland und anderen EU-Ländern abgeschoben werden, brauchen zudem vor Ort mehr Hilfe. Gerade die Kinder sind oft gut in unsere Gesellschaft integriert, sprechen perfekt Deutsch. Sie werden aus einem intakten Umfeld gerissen und stehen dann plötzlich vor dem Nichts Aber auch die lokale Wirtschaft könnte noch stärker unterstützt werden.
Welche wirtschaftlichen Perspektiven hat der Kosovo?
Er ist leider nicht mit einer Küste oder anderen touristischen Zielen gesegnet und er wird auch kein Exportweltmeister. Aber es könnte mehr für das kleine Handwerk getan werden, mehr für die Landwirtschaft, mehr für den Handel mit den Nachbarstaaten. Im Kosovo werden immer noch sehr viele Waren importiert, weil die Dinge im Land selbst einfach nicht hergestellt werden.