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Sehnsucht nach einem Lockdown-Ende, hier auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
© dpa/Christophe Gateau

Merkel und die „Sehnsucht nach Öffnung“: Diese Lockerungspläne liegen jetzt auf dem Tisch

Die Kanzlerin will Paketlösungen für den Lockdown-Ausweg. Die SPD hat konkrete Öffnungsvorschläge. Doch die Mutanten, Schnelltest- und Impfprobleme bremsen.

Auch in den Staatskanzleien und im Kanzleramt haben sie die Abstimmung mit den Füßen verfolgt. Ob am Maschsee in Hannover, in Hamburg an der Alster oder an der Spree in Berlin, von geltenden Kontaktbeschränkungen, dass ein Haushalt nur eine weitere Person treffen darf, war bei dem jüngsten Frühlingswetter wenig zu spüren.

Und der Lockdownfrust führt dazu, dass sich überall lange Schlangen vor Cafés und Restaurants bildeten, „da freut sich das Virus, besonders die B.1.1.7.-Variante“, hieß es in einer Staatskanzlei.

In diese Stimmung hinein einen Öffnungsplan zu formulieren, der Hoffnung und Pandemieeindämmung verknüpft, ist ganz hohe Regierungskunst. Aber der Plan für die dieses Mal noch einmal wichtigere Bund/Länder-Schalte am 3. März nimmt erste Konturen an.

Die A-Seite, das sind die von der SPD regierten Bundesländer, hat nach Tagesspiegel-Informationen folgenden Vorschlag übermittelt: Vier Öffnungsschritte, dazu gehören nach der Öffnung von Grundschulen und Kitas und ab 1. März von Friseuren,

a) wie schon von Bund und Ländern beschlossen die Öffnung von Handel, Musen und Galerien (jeweils mit Personenbegrenzung) - wenn die Zahl der Neuinfektionen mehrere Tage unter 35 je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen gelegen hat. Das soll frühestens ab 8. März möglich sein.

Danach kann es b) zwei Wochen später zum nächsten Öffnungsschritt kommen, zum Beispiel für Restaurants mit Sperrfristregelung, für Freizeit- und Vereinssport vor allem draußen und in Gruppen bis 10 Personen und zum Beispiel für Indoor-Kulturveranstaltungen bis 150 Personen. Voraussetzung wäre, dass die 7-Tage-Inzidenz zwei Wochen lang durchschnittlich unter 35 liegt. Zudem wird überlegt - auch bei der Gastronomie - stärker zwischen Draußen-. und Drinnenöffnungen zu unterscheiden.

Weitere zwei Wochen später mit Halten der 35-er-Inzidenz könnte es c) zu umfangreicheren Öffnungsschritten etwa auch für Hotels, Clubs, Kneipen und größere Kulturveranstaltungen kommen.

Und weitere 14 Tage später mit stabiler 35er-Inzidenz könnte es dann d) zur weitgehenden Aufhebung von Einschränkungen kommen, allerdings soll es für Drinnen-Veranstaltungen weiter Abstands-, Hygiene- und Personenzahlauflagen geben.

Alle Schritte sollen unterlegt werden mit guten Hygienekonzepten einer flächendeckenden Schnelltest-Offensive.

Die entscheidende Frage wird sein, ob es nationale Vorgaben oder regional differenzierte Lösungen gibt, zuletzt waren für den Handel regionale Lösungen, orientiert an der 35er- Inzidenz beschlossen worden.

Mit den 2-Wochen Schritten in dem vom Berliner Senat federführend erarbeiteten Vorschlag soll genug Zeit bleiben, um die Auswirkungen der zuvor erfolgten Öffnungen auf das Infektionsgeschehen zu eruieren.

Die 2-Wochen-Öffnungsschritte hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schon in einem ZDF-Interview angedeutet. Und es passt sich in die aktuellen Bund/Länder-Verhandlungen ein, dass auch Merkel am Montag im CDU-Präsidium mehrstufige Paketlösungen beim Öffnen vorgeschlagen hat, dabei war sie bei Stufenplänen bisher skeptisch.

Und bei einer bundesweiten Inzidenz von 61 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen kann es wegen der aktuell gestoppten Abwärtsbewegung noch Monate dauern, bis alle Öffnungsschritte vollzogen sind, in Großbritannien, das schneller mit dem Impfen ist, wird für Ende Juni mit einer weitgehenden Aufhebung der Einschränkungen gerechnet. Entsprechend tritt Merkelparallel zu Äffnungsperspektiven weiterhin stark auf die Bremse, gerade weil die Entwicklung sich wegen der B.1.1.7.-Ausbreitung aktuell eher ins Negative wieder dreht.

Merkel führt das Team „Umsicht und Vorsicht“ an

„Es gibt eine berechtigte Sehnsucht nach einer Öffnungsstrategie", sagte die Kanzlerin nach Teilenehmerangaben.

Klar ist, dass mit ersten Öffnungen auch Kontaktbeschränkungen gelockert werden sollen, zudem hat Merkel den Bereich von Schulen und Berufsschulen und den Bereich Freizeitsport, Restaurants und Kultur in der Öffnungsabfolge im Blick.

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) zeigte sich besorgt über die aktuelle Seitwärtsbewegung der Zahlen und warnte vor einem „Jojo“-Effekt, also Aufmachen und schnell steigende Zahlen. Was mache man, wenn Restaurants sich mit viel frischer Waren eindecken und dann wieder zumachen müssen, wurde in der Union gefragt. Fast zur gleichen Zeit betonte CSU-Chef Markus Söder in München, dass es einen Dreiklang brauche, „aus Impfen, Testen und Erleichtern“. Die neuen Schnelltests seien eine Art Sicherheitsschranke: „Deswegen brauchen wir täglich Millionen in Deutschland. Und wir brauchen eine verlässliche App, um Testergebnisse zu erfassen.“

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Streit um zu viel Datenschutz und zu wenig Impftempo

Doch genau das ist das Problem, es fehlt zum einen bisher ein klarer Testplan.

Im Bundesgesundheitsministerium ist man irritiert über das Reingrätschen durch das Kanzleramt, die versprochenen kostenlosen Schnelltests sollen nun erst am 8. März statt wie von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 1. März starten.

Auch weil viele organisatorische Fragen ungeklärt sind. „Unser Plan ist zum 1. März realisierbar", wird dennoch weiter in Spahns Ministerium betont. Die Idee von Kanzlerin Angela Merkel und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) ist, die für den 3. März geplanten Beschlüsse von Bund und Ländern mit umfangreichen Schnelltests abzusichern. In dem Sinne, dass es vor allem flächendeckende Tests bei allen wieder zu öffnenden Einrichtungen geben soll und womöglich nicht ganz so ungezielt wie bei Spahns Plan für jedermann, der will.

Da die Beschlüsse hierzu erst am 3. März fallen, könnte so eine gekoppelte Schnelltest-Strategie auch erst ab 8. März in Kraft treten. Geplant ist, dass der Bund pro Test und seine Durchführung 18 Euro zahlt, bei 100 Millionen Tests also 1,8 Milliarden Euro.

Und zweiter Unsicherheitsfaktor: Wo andere Länder wie Israel mit digitalen Impf- und Testnachweisen Öffnungen absichern, hat die Corona-Warn-App in Deutschland nie die mit ihr verbundenen Hoffnung erfüllt.

„Sie ist wirkungslos“; sagt ein CDU-Vorstandsmitglied. „Wir stellen uns ein Bein. Wenn mal Gesundheit statt Datenschutz Vorrang hätte, könnten wir auch mehr Öffnung zulassen“, wird in einer Staatskanzlei mit Blick auf die App moniert.

Denn wenn zum Beispiel ein Landkreis mit der Inzidenz unter 20 sinkt, wie soll verhindert werden, dass es durch die Öffnungen zu einem Sogeffekt und wieder hohen Zahlen kommt? Eine App, auf der negative Testergebnisse hinterlegt sind, könnte hier mehr Sicherheit und Kontrolle schaffen.

Dritter Unsicherheitsfaktor: Da auch das Impfen noch wochenlang zäh laufen wird, wächst der Druck, die Öffnungs- auch mit einer neuen Impfstrategie zu unterfüttern. Die EU habe die älteste Bevölkerung, sie könne sich dieses Impftempo nicht lange in einer beginnenden 3. Welle leisten, betont der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Auch weil B.1.1.7. tödlicher sei. Ein „Gamechanger“ könne nur ein pragmatisches Vorziehen der ersten Dosis für mehr Menschen sei, also statt drei Wochen zwischen der ersten und zweiten Impfung von Biontech/Pfizer und Moderna sechs bis zwölf Wochen Zeit zu lassen, da bereits nach der ersten Impfung die Schutzwirkung sehr hoch sei.

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Angela Merkel und Markus Söder zerbrechen sich den Kopf über den Öffnungsplan
Angela Merkel und Markus Söder zerbrechen sich den Kopf über den Öffnungsplan
© imago images/IPON

Das 35-Kommunikationsdebakel als Lehre

Die unterschiedlichen Vorschläge muss nun die intern „4er-Bande“ genannte Koordinierungsgruppe zusammenführen: Kanzleramtschef Braun, Finanz-Staatssekretär Wolfgang Schmidt (SPD), der Chef der Berliner Senatskanzlei Christian Gaebler (SPD) und die Bevollmächtigte Bayerns, Karolina Gernbauer (CSU).

Wie immer gilt: es ist alles im Fluss, bis in einer Woche eine konkrete Beschlussvorlage vorliegt. Ein Punkt zeichnet sich aber neben dem Vorlegen eines Öffnungsplan deutlich ab. So ein kommunikatives Debakel wie mit der 35 soll es nicht noch einmal geben. Für viele Bürger war das plötzliche Anführen dieses Werts für Öffnungen durch Kanzlerin Merkel nach der letzten Runde völlig unverständlich, das Vertrauen in das Krisenmanagement litt nach den Enttäuschungen über den schlechten Impfstart noch einmal erheblich.

War doch monatelang kommunikativ von einer 50er-Inzidenz für ein schrittweises Aufheben des Lockdowns die Rede. Zwar steht der Wert von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen seit Monaten im Infektionsschutzgesetz, aber als eine Vorwarnstufe.

„Wir werden keine weiteren Inzidenzstufen einführen“, wird deshalb in SPD-Kreisen betont, dass noch tiefere Werte bisher nicht zur Debatte stünden. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller will auch nur noch mit den 35- und 50er-Werten arbeiten und fordert zudem, dass die Öffnungsstrategie auch Parameter wie die Auslastung der Intensivbetten berücksichtigt, denn bei den Inzidenz-Grenzwerten wurde auch immer mit der Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems argumentiert. Auch die Berliner Amtsärzte hatten argumentiert, Inzidenzen bildeten nicht das wirkliche Infektionsgeschehen ab. Sie seien von Testkapazitäten und dem Testwillen der Menschen abhängig.

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Koordiniert die finalen Vorschläge für das Corona-Treffen am 3. März: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller.
Koordiniert die finalen Vorschläge für das Corona-Treffen am 3. März: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller.
© AFP

Osterreisen kaum möglich

Fraglich ist noch, ob konkrete Daten für die Öffnungsschritte schon genannt werden können. Nur eines zeichnet sich deutlich ab: Große Osterreisen werden angesichts der Infektionslage und bei womöglich mit je zweiwöchigen Pausen versehenen Öffnungsschritten immer unwahrscheinlicher.

Zumal für die deutschen Küsten und ihre Inseln zwar halbwegs positive Inzidenzen verwiesen wird, wenn diese nun aber von Reisenden aus anderen Bundesländern zu Ostern gestürmt würden, wäre man schnell wieder in einem Schließungsszenario. Und das ist genau das Horrorszenario: mit einem Öffnungsplan gleich wieder im nächsten Lockdown zu landen.

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