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Auf Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, warten große Aufgaben.
© Olivier Matthys/AP/dpa

Brexit, China, Trump: Diese Großkonflikte muss die EU 2020 meistern

Die EU hat im neuen Jahr viele Herausforderungen zu bestehen – vor allem will die Gemeinschaft weltpolitisch neben den USA und China zur Geltung kommen.

Eines steht schon fest: Den Brexit werden die Europäer auch 2020 als Thema nicht los. Es ist absehbar, dass die Briten Ende Januar die EU nach einer 47-jährigen Mitgliedschaft verlassen. Weniger klar ist allerdings, wie es nach dieser Zäsur in den folgenden Monaten genau weitergehen wird.

Das liegt vor allem an der Sprunghaftigkeit des britischen Premierministers Boris Johnson. „Wir wissen nicht genau, welchen Johnson wir bekommen werden“, fasst Christos Katsioulis, der Leiter des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in London, die Lage zusammen.

Was Katsioulis damit meint: Es ist völlig unklar, ob Johnson nach seinem Wahlsieg vom Dezember im Stil eines „Trump light“ die Machtprobe mit der EU suchen oder eine eher pragmatische Politik verfolgen wird, wie er dies seinerzeit als Londoner Bürgermeister getan hat. Johnson muss nach dem EU-Austritt über ein Handelsabkommen mit den verbleibenden 27 EU-Staaten verhandeln.

Der britische Premier Boris Johnson während einer Sitzung des Unterhauses vor Weihnachten.
Der britische Premier Boris Johnson während einer Sitzung des Unterhauses vor Weihnachten.
© AFP

Dabei hat sich der Premier selbst einen äußerst engen Zeitrahmen gesetzt: Bis Ende 2020 soll der Vertrag unter Dach und Fach sein.

Viele Experten halten es für unmöglich, innerhalb von nur elf Monaten ein Handelsabkommen abzuschließen. Die Tatsache, dass Johnson die enge Fristsetzung sogar gesetzlich zementieren will, sieht Katsioulis als einen Hinweis darauf, dass es die Europäer in den kommenden Monaten eher mit einem „Trump light“ zu tun haben werden.

Johnson will Druckmittel gegen die EU

Das Problem besteht darin, dass Johnson versprochen hat, ein Handelsabkommen ohne Zölle mit der EU hinzubekommen, ohne sich an die Regulierungsvorgaben des europäischen Binnenmarktes zu halten. Doch ein solches Geschenk dürften die Europäer dem Hausherrn in der Downing Street kaum so ohne Weiteres machen.

Katsioulis erwartet, dass Johnson relativ früh im neuen Jahr eine Absichtserklärung für ein Handelsabkommen mit den USA abgeben wird. „Ich vermute, dass er dies als Druckmittel gegenüber der EU benutzen wird“, sagt der Experte. Nach seiner Ansicht sollte die EU pragmatisch darauf reagieren. „Die Auswirkungen des Brexit werden aufseiten der EU weniger gravierend sein als in Großbritannien“, sagt er voraus.

Damit beide Seiten auch künftig zu einem tragfähigen Miteinander kommen, könne es sinnvoll sein, statt eines globalen Handelsabkommens mehrere bilaterale Verträge mit London etwa in Bereichen wie dem Datenaustausch zur Terrorbekämpfung oder der Wissenschaftskooperation zu schließen, schlägt er vor. Dabei käme das Modell des Umgangs der EU mit der Schweiz zum Tragen.

Ob ein Schottland-Referendum kommt, ist unklar

Was die britische Innenpolitik anbelangt, so dürfte auch 2020 für genügend Schlagzeilen gesorgt sein. Weil die Schotten den Brexit nicht unterstützen, strebt Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon bereits in diesem Jahr ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands an.

Eine derartige Volksabstimmung hatte es bereits 2014 gegeben – allerdings war damals noch keine Rede davon, dass Großbritannien in absehbarer Zeit aus der EU austreten würde. Vor fünf Jahren hatten sich die Schotten gegen die Unabhängigkeit ausgesprochen.

Die in Edinburgh regierende Schottische Nationalpartei (SNP) kann sich allerdings auch unter den neuen Vorzeichen nicht sicher sein, dass ein Referendum diesmal in ihrem Sinne ausgehen würde.

Ohnehin ist es fraglich, dass sich der Wunsch der SNP erfüllt und im Jahr 2020 eine Volksabstimmung nördlich des Hadrianswalls tatsächlich zu Stande kommt. Denn Premierminister Johnson, von dessen Zustimmung ein zweites Referendum abhängt, will eine Loslösung Schottlands in jedem Fall verhindern.

Die Ausgangslage der EU ist schwierig

Jenseits des Brexit muss sich die EU im Jahr 2020 indes auf ihr eigentliches Kerngeschäft konzentrieren. Die Hauptaufgabe für die Europäer wird nicht nur in diesem, sondern auch in den kommenden Jahren darin bestehen, sich weltpolitisch neben den USA und China zu behaupten. Die beiden Mächte verfolgen zunehmend den Weg der handelspolitischen Abschottung, während die EU den Multilateralismus hochhält.

Die Ausgangslage ist für die EU dabei keineswegs einfach.

Das Europaparlament, das im vergangenen Jahr neu gewählt wurde, ist stärker zwischen den Fraktionen zersplittert als in der letzten Legislaturperiode. Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der eine einheitliche EU-Politik in vielen Punkten ablehnt, sitzt in seinem Land weiterhin fest im Sattel. Immerhin haben sich inzwischen in Italien die Rechtspopulisten nach dem Abgang des früheren Innenministers Matteo Salvini von der Macht verabschiedet.

Ungarns Regierungschef Viktor Orban.
Ungarns Regierungschef Viktor Orban.
© REUTERS

Ungarn und Italien gehören zu den EU-Staaten, die besonders auf chinesische Investitionen hoffen und ein einheitliches Auftreten der Gemeinschaft gegenüber Peking in der Vergangenheit gelegentlich erschwert haben. Wie weit die Einigkeit im neuen Jahr reicht, wird sich beim EU-China-Gipfel zeigen, der während des deutschen EU-Vorsitzes in der zweiten Jahreshälfte im September in Leipzig geplant ist.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits gefordert, dass Europa „die Sprache der Macht lernen“ müsse. Das könnte sich beispielsweise in einem offensiveren handelspolitischen Auftreten gegenüber Peking ausdrücken.

Bereits von der alten EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker war China gleichermaßen als Freihandelspartner und wirtschaftlicher Konkurrent eingestuft worden. Mit Spannung wird zu verfolgen sein, ob die Europäer demnächst eine gemeinsame Linie beim Ausbau des 5-G-Netzes und einer Beteiligung des umstrittenen chinesischen Ausrüsters Huawei finden.

Wie sich das Verhältnis zu Donald Trump entwickeln wird, dürfte unter anderem an einem Treffen mit dem US-Präsidenten abzulesen sein, das von der Leyen Anfang des Jahres plant. Eindeutig ist dabei die Interessenlage der EU-Kommission, wenn es darum geht, US-Strafzölle für Autos aus Europa zu verhindern. Komplizierter wird es beim Streit um die zwischen Russland und Deutschland verlaufende Gaspipeline Nord Stream 2, die bis Ende 2020 fertiggestellt werden soll.

Trump versucht das Projekt vor dem Hintergrund amerikanischer Exportinteressen zu torpedieren. Zahlreiche Europapolitiker kritisieren die Gaspipeline ebenfalls, allerdings aus einem anderen Grund: Sie befürchten einen zu großen Einfluss Russlands auf die europäische Energieversorgung. Die EU-Kommission belässt es derweil bei der Feststellung, dass die US-Sanktionen gegen europäische Unternehmen, die an den Projekt beteiligt sind, nicht hinzunehmen seien.

Klima, Haushalt, Migration: Überall werden Kompromisse gesucht

Neben dem Verhältnis zu China und den USA muss die EU in diesem Jahr im Innern vorrangig Kompromisse bei drei Themen hinbekommen: der Klimapolitik, der Verteilung von Flüchtlingen und den Finanzen – sprich: dem Budget der Gemeinschaft für die Jahre zwischen 2021 und 2027. Bei der Klimapolitik hat von der Leyen im Dezember bereits einen Aufschlag gemacht. Vor drei Wochen stellte die Kommissionschefin die Grundzüge ihres „Green Deal“ vor, der Europa im Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen soll.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Straßburg im vergangenen Juli.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Straßburg im vergangenen Juli.
© imago images/ZUMA Press

Die unmittelbare Herausforderung wird aber darin bestehen, den Plan der EU-Kommission für die kommenden Jahre zu verwirklichen. Dieser Plan sieht vor, die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. „Wenn es um die Umsetzung geht, wird es ziemlich schwierig werden“, prognostiziert Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik „European Policy Centre“ (EPC).

Das liegt nach seinen Worten nicht nur an den Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten – vor allem Polen steht auf der Bremse –, sondern auch an innerstaatlichen Debatten darüber, was man den Bürgern beim Klimaschutz zumuten kann. Auch das deutsche Klimapaket hält Emmanouilidis für unzureichend.

Die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, sieht Deutschland in einer Schlüsselrolle, wenn es um ein effektives Auftreten der Europäer bei der nächsten UN-Klimakonferenz Ende 2020 in Glasgow geht.

Dort sollen konkrete Schritte zur Umsetzung verschärfter Klimaziele beschlossen werden. „Wenn Deutschland nicht die anderen Staaten nach oben zieht, wird nichts daraus“, so Brantner.

100 Milliarden Euro für den Klimaschutz

Dabei gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Klimaschutz und den europäischen Budgetverhandlungen, die 2020 möglicherweise erst während des deutschen EU-Vorsitzes zu einem Ergebnis kommen werden. Von der Leyen hat gefordert, dass für einen Übergangsfonds, mit dem von der Kohle abhängige Regionen unterstützt werden sollen, zwischen 2021 und 2027 bis zu 100 Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen.

Die benötigten Mittel sollen unter anderem im EU-Haushalt eingestellt werden. Die Crux besteht allerdings darin, dass mit dem Austritt der Briten in der nächsten Finanzperiode weniger Geld für die Gemeinschaft zur Verfügung steht als bisher.

Bleibt als europäisches Dauerthema noch die Migrationspolitik. Für das kommende Frühjahr hat von der Leyen einen Entwurf für einen neuen EU-Asylpakt angekündigt, mit dem sie den Widerstand einzelner Länder gegen eine gemeinsame Migrationspolitik überwinden will. Ungarn, Polen und Tschechien sperren sich weiter gegen ein System zur EU-weiten Verteilung von Flüchtlingen. Es bleibt offen, welchen Weg von der Leyen wählt, um das Dilemma zu lösen.

Denkbar wäre es, die Vergabe von EU-Fördergeldern künftig an die Aufnahme von Flüchtlingen zu koppeln oder Staaten wie Ungarn und Polen die Möglichkeit zu geben, sich finanziell beim Schutz der EU-Außengrenzen stärker zu engagieren – und sich damit gewissermaßen von der Aufnahme von Flüchtlingen freizukaufen.

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