Berlins Luftverkehr: Die Zukunft war gestern
Die Berliner Politik und die Wirtschaft machen sich zu wenig stark dafür, dass in der deutschen Hauptstadt ein Drehkreuz entsteht. Ein Kommentar.
Da Deutschland ein ordentliches Land ist, beginnt hier jede Sitzung mit Formalien. Das geschieht auch so, wenn ein Gläubigerausschuss das erste Mal tagt. Die Beratungen über die Zukunft der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin brauchen einen Zeitrahmen und die Zustimmung der Ausschussmitglieder, dass der Flugbetrieb fortgesetzt werden darf. Beides gibt es nun – und dann doch noch einen kleinen Hinweis, dass es bald zur Sache geht: Die Lufthansa hat offenbar ihr Angebot zur Übernahme der Air-Berlin-Tochter Niki und weitere Teile der Gesellschaft – noch erfolglos – konkretisiert, nicht jedoch für das komplette Unternehmen.
Dem würden aber vermutlich nicht einmal ein mit Blindheit geschlagenes Kartellamt und ein sehr der Lufthansa geneigtes Verkehrs- oder Wirtschaftsministerium zustimmen können. Es reicht dennoch schon, aus der Air-Berlin-Substanz (die mager genug ist) Niki herauszubrechen, die Linie, die die gewinnträchtigen Flüge zu den Balearen bedient, um den Restwert des Pleitiers vollends zu ruinieren. Ohne die Mallorca-Verbindungen wird Air Berlin wirklich zur Resterampe. So deutet sich denn auch das klare Signal der Gläubiger: Wir wollen Air Berlin weg haben vom Markt, und ob sich Hans Rudolf Wöhrl für das Gesamtunternehmen interessiert, ist uns auch egal.
Was passiert, kann man sich ausrechnen
Man wundert sich. Wenn dem Flughafen Frankfurt oder dem in München einer der wichtigsten Kunden wegzubrechen droht, stünde ein Ministerpräsident Bouffier oder Seehofer vermutlich schon vor Sonnenaufgang vor dem Kanzleramt und würde klingeln – oder suchte das Gespräch mit KLM und Air France, um nur zwei zu nennen. Gefällt es der Berliner Wirtschaft, der Berliner Wissenschaftslandschaft wirklich, dass sie alle ihre globalen Kontakte immer über Frankfurt oder München abwickeln müssen? Warum steht da keiner auf und sagt: Wir mögen die Lufthansa und schätzen ihre Dienste, aber die Hauptstadt ist nun einmal Berlin, und wenn der Kranich nicht von der Spree in die Welt fliegt, müssen wir eben jemand anders finden. Air Berlin hat zumindest den Versuch gemacht. Richtung USA klappte das ja auch, Richtung Asien verbot Etihad aber das vorher so einträgliche Geschäft, weil die Golf-Airline es selber machen wollte.
Verkehrsminister Dobrindt hat in seiner hintersinnigen Art die Marschrichtung für die Gespräche vorgegeben: Wir brauchen einen deutschen Champion im internationalen Luftverkehr, Monopolfragen können nicht mehr durch die rein regionale Brille auf einzelne Standorte betrachtet werden, deshalb ist es dringend geboten, dass Lufthansa wesentliche Teile von Air Berlin übernimmt. Was passiert, wenn Lufthansa und Eurowings zentrale Bestandteile der Deutschland- und Europaverbindungen übernehmen, kann man sich im Wortsinne ausrechnen. Ältere haben die Flugpreise jener Verbindungen noch im Kopf, bei denen sich zum Beispiel Lufthansa und die Swissair den Markt aufteilen konnten: Da kostete ein Hin- und Rückflug zwischen Zürich und Berlin in der Economy leicht mal 1200 bis 1400 D-Mark.
Kein Drehkreuz im Osten Europas
Die Berliner Politik, die Wirtschaft und die Wissenschaft müssen aufwachen. Sie müssen der Politik deutlich machen, dass das, was Dobrindt „regionale Brille“ nennt, die der Hauptstadt einer der wichtigsten Industrie- und Forschungsnationen der Welt ist. Schlafen wir weiter, ist im Luftverkehr unsere Zukunft mit dem Ende von Air Berlin zur Vergangenheit geworden. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass der Norden und Osten Mitteleuropas kein Drehkreuz haben. Paris, Amsterdam und München sind weit weg, Frankfurt hoffnungslos überlastet. Tausende von Fluggästen aus Polen und Tschechien kommen heute schon mit dem Auto nach Berlin, um von hier aus zu fliegen. Wenn es eine regionale Brille gibt, dann ist es Dobrindts – eine Münchner Brille. Das ist ihm nachzusehen, die Heimat der CSU ist Bayern und nicht Berlin und Brandenburg. Aber deswegen müssen wir doch nicht blind sein.
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