Kampagne in den USA stockt: Die Zerrissenheit der Republikaner beim Impfen
Die Deltavariante des Coronavirus breitet sich in den USA rasant aus. Manche Konservativen denken nun offenbar um – aber längst nicht alle.
War das der Beginn einer bedeutenden Richtungsänderung? Sean Hannity, der rechtspopulistische Talkmaster des US-Senders Fox News, zog vor wenigen Tagen mal wieder viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber auf für ihn eher ungewöhnliche Art und Weise.
„Bitte nehmen Sie Covid ernst“, erklärte Hannity am Montag in seiner Sendung. „Ich kann es nicht oft nicht genug sagen: Es sind schon genügend Leute gestorben. Wir brauchen nicht noch mehr Tote.“
Dann sagte der 59-Jährige, der selbst monatelang vor Millionen Zuschauern die Gefahr durch das Coronavirus heruntergespielt hatte: „Und es ist für viele Amerikaner absolut sinnvoll, sich impfen zu lassen. Ich glaube an die Wissenschaft, ich glaube an die Wissenschaft vom Impfen.“
Warum der Meinungsschwenk?
Auch wenn das noch keine eindeutige Impfaufforderung an alle Amerikaner war, so wurde Hannitys Meinungsschwenk doch aufmerksam registriert. Vor allem in der Anfangsphase der Pandemie hatte er ständig behauptet, die Demokraten würden das Virus, das nicht viel gefährlicher sei als eine Grippe, benutzen, um dem damaligen Präsidenten Donald Trump zu schaden.
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Nun wird darüber spekuliert, warum eines der prominentesten Gesichter vom Fox News jetzt so demonstrativ anders spricht – auch weil sein Star-Kollege Tucker Carlson weiter öffentlich Zweifel am Sinn von Impfungen schürt.
Fox News wird generell vorgeworfen, das Impfthema politisch zu instrumentalisieren, um die Bemühungen von Trumps Nachfolger Joe Biden zu untergraben, so viele Amerikaner wie möglich zu impfen.
Fox News fragt nach Impfstatus seiner Mitarbeiter
Dass der Sender inzwischen selbst seine Mitarbeiter ermutigt, ihren Impfstatus anzugeben – obwohl Tucker Stimmung gegen Impfausweise macht –, und auch Eigentümer Rupert Murdoch bereits im Dezember sicherstellte, eine Spritze verpasst zu bekommen, bringt dem Sender viel Spott ein.
Aber woher der Sinneswandel genau kommt, ist unklar. Liegt es an Biden selbst? Der erklärte bei einem CNN-Townhall am Mittwoch spöttisch, Hannity habe wohl ein „Erweckungserlebnis“ erfahren. CNN berichtete vor wenigen Tagen, dass das Weiße Haus regelmäßig den Kontakt zu Fox News suche, um auf den Sender einzuwirken, was dieser wiederum dementierte.
Die Impfkampagne stockt
Fakt ist: Nach anfänglichen großen Erfolgen ist die Impfkampagne in den USA ins Stocken geraten, unter anderem auch, weil republikanische Anhänger von Trump entweder bezweifeln, dass das Virus gefährlich ist, oder Verschwörungstheorien glauben, dass wiederum das Impfen Leben gefährdet.
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Nach Angaben des Weißen Hauses vom vergangenen Freitag sind es inzwischen fast ausschließlich Ungeimpfte, die ins Krankenhaus eingewiesen werden und sterben. Was derzeit zu sehen sei, sei eine Pandemie der Ungeimpften, warnte die Chefin der US-Gesundheitsbehörde CDC, Rochelle Walensky, am vergangenen Freitag.
Weniger Impfungen in Staaten, die Trump wählten
In fünf der sechs Bundesstaaten, die in den vergangenen zwei Wochen die meisten Neuinfektionen verzeichneten, lag die Impfquote unter dem landesweiten Durchschnitt – und diese Staaten haben im November für Trump gestimmt.
In einer Umfrage der Zeitung „Washington Post“ und des Senders ABC News vor drei Wochen erklärten 47 Prozent der Republikaner, dass sie sich eher nicht impfen lassen werden. Bei den Wählern der Demokratischen Partei waren es lediglich sechs Prozent.
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Weil sich auch in den USA die Deltavariante des Virus rasant verbreitet und die Infektionszahlen wieder ansteigen, birgt diese Impfskepsis große Gefahren – unter anderem auch die, dass die weitreichenden Öffnungen wieder zurückgenommen werden müssen. Im Kongress in Washington sieht man seit dieser Woche wieder deutlich mehr Menschen mit Masken.
Trump wirbt weiter nicht nachdrücklich fürs Impfen
Nicht jeder Republikaner ist gegen das Impfen. So erklärte der Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, am Dienstag erneut: „Diese Spritzen müssen so schnell wie möglich in jedermanns Arme“ – ansonsten drohe im Herbst ein Rückfall in die Shutdown-Zeit des vergangenen Jahres. Und der republikanische Fraktionsgeschäftsführer im Repräsentantenhaus, Steve Scalise, veröffentlichte ein Foto von sich, während er geimpft wurde.
Dass solche prominenten Republikaner öffentlich für das Impfen werben, ist Experten zufolge enorm wichtig. Es brauche „vertrauenswürdige Botschafter“, sagte etwa der Wissenschaftler Brendan Nyhan, die skeptische Menschen von den Vorteilen des Impfens überzeugten.
Republikanische Abgeordnete von Twitter gesperrt
Auch deshalb ist es so problematisch, dass Trump, der weiterhin großen Einfluss auf die Republikanische Partei hat, zwar die Erfolge der Impfstoffentwicklung für sich reklamiert, aber weiterhin nicht offensiv dafür wirbt, dass die Amerikaner sich impfen lassen.
Trump betont, er respektiere es, wenn Menschen sich nicht impfen lassen würden. „Wir haben unsere Freiheiten, danach müssen wir uns ausrichten“, sagte er Fox Business im März. Und widerspricht nicht, wenn aus den Reihen der Republikanischen Partei wilde Falschmeldungen über das Impfen verbreitet werden. Er selbst ließ sich klammheimlich impfen, kurz, bevor er das Weiße Haus verließ.
Alles nur Wahlkampf?
Besonders extrem treibt es etwa die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Giorgia. Sie wurde gerade erst bei Twitter gesperrt, weil sie immer wieder Fake News streut, die die Gefahr durch das Virus herunterspielen, das in den USA bereits mehr als 600.000 Menschen getötet hat. Auf Facebook kann sie indes weiter Verschwörungstheorien verbreiten.
Das Kalkül vieler Republikaner ist es ganz offensichtlich, die Glaubwürdigkeit der Biden-Regierung auf möglichst vielen Feldern zu erschüttern. So, wie Trump, Greene und andere die „big lie“ verbreiten, dass die Demokraten die Wahl gestohlen hätten, so wollen sie auch deren Werben fürs Impfen als „Zwangsmaßnahmen“ diskreditieren – um davon im Wahlkampf vor den Kongresswahlen im Herbst 2022 zu profitieren. Die Republikaner hoffen, dann zumindest die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückzuerobern.