Diesel-Skandal: Die Zeit ist reif für ein Update der Verkehrspolitik
Immer häufiger wird ein Ausstiegsdatum aus dem Verbrennungsmotor gefordert, doch die Regierung zögert. Dabei wäre jetzt der richtige Moment zum Umsteuern. Ein Kommentar.
Anfang der 1970er Jahre ließ sich der ADAC mitten in der Ölkrise zu einer Forderung hinreißen: „Freie Fahrt für freie Bürger.“ Während sich die Autofahrernation erstmals Gedanken über ein drohendes Ende des Verbrennungsmotors machte, weil die Scheichs den Ölhahn zudrehten, plädierte der Auto-Club fürs Gasgeben. Ein Reflex auf (erfolglose) politische Forderungen nach einem Tempolimit und Fahrverboten.
Die Tage des Verbrennungsmotors sind gezählt
Fast 50 Jahre später wird wieder über das Ende von Benzinern und Dieselmotoren und über Verbote diskutiert. Statt um knappes Öl geht es heute um knappe Luft. Der Dieselskandal hat einen Paradigmenwechsel eingeleitet, das Auto als Garant individueller Mobilität wird neu bewertet, die Hersteller stehen unter Trickser-Verdacht. Für den gasgebenden Bürger würde sich heute nicht einmal der ADAC ins Zeug legen.
Die Tage des Verbrennungsmotors sind gezählt. Frankreich und Großbritannien wollen ihn ab 2040 nicht mehr zulassen, die Grünen und der Bundesrat zehn Jahre eher. Selbst die Kanzlerin findet, dass irgendwann Schluss sein sollte mit dem Verbrennen von Diesel und Benzin. Wann genau, das sagt sie nicht. Die Gegner eines festen Ausstiegstermins argumentieren, es sei heute unmöglich, die Entwicklung der kommenden 15 bis 20 Jahre genau vorauszusagen. So viele interessante Technologien seien noch nicht hinreichend erforscht, da sei es fahrlässig, sich auf eine zu fixieren. Zumal Elektroautos vielleicht gar nicht so sauber sind wie angenommen. Womöglich werde sogar der alte Verbrenner noch gebraucht, wenn er mit synthetischen, klimaneutralen Kraftstoffen liefe. Viele der 600.000 Jobs, die in Deutschland am Verbrennungsmotor hängen, könnten gerettet werden. „Technologieoffen“ sollten wir bleiben, heißt es. So gelinge dann auch Klimapolitik.
Für den Klimaschutz braucht es die Verkehrswende
Doch diese Klimapolitik, die von einer Wende im Verkehrssektor abhängt, funktioniert nicht. 2016 haben Autos, Lastwagen und Flugzeuge mehr klimaschädliches CO2 ausgestoßen, nicht weniger. Auf der Straße wurden mehr Güter transportiert, nicht weniger. Das Verkehrsaufkommen insgesamt stieg, die Autos wurden größer und stärker. Und die Hersteller halten, wer kann es ihnen verdenken, am Bestehenden fest, weil sie damit das Geld verdienen, das sie für Investitionen brauchen. Wenn nötig, das zeigt Dieselgate, mit illegalen Methoden. Die Bereitschaft zu einer Verkehrswende sieht anders aus. Dabei drängt die Zeit.
Deutschland muss bis 2020 seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent unter den Wert von 1990 drücken. Aber nicht einmal 28 Prozent sind geschafft. Zur Erinnerung: Das Pariser Klimaabkommen, dem die Bundesregierung den Klimaschutzplan 2050 folgen ließ, ist völkerrechtlich verbindlich. Das heißt, die Autohersteller werden sich so oder so auf eine strengere Regulierung einstellen müssen. Die Lobbyarbeit werden sie nicht überreizen dürfen, denn nach dem Dieselskandal brauchen sie international ein neues Saubermann-Image. Die Zeit ist also günstig für ein Update des politischen Navigationssystems. Ähnlich wie eine Quote für Elektroautos sollte es der Industrie ein kalkulierbares Ziel vorgeben. Ein Ausstiegsziel für den Verbrennungsmotor – mit flexiblen Routen. 2030 gäbe der Branche fast zwei Fahrzeuggenerationen Zeit.
Henrik Mortsiefer