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Perfekte Täuschung. Dass er eine Attacke plante, konnte Amedy Coulibaly bis zuletzt verbergen.
© Reuters

Nach den Attentaten von Paris: Die Wut des Amedy Coulibaly

Amedy Coulibaly hat bei den Anschlägen in Paris fünf Menschen getötet. Seine Biografie zeigt: Er war jemand, der sich nicht helfen ließ – und dem man nicht helfen konnte. Eine Spurensuche.

Eine der acht Coulibaly-Schwestern hastet durch den Pariser Vorort Grigny. Sie fühlt sich vom langen Schatten der Ereignisse, von der Gesellschaft, von Journalisten verfolgt. Und dann läuft sie ausgerechnet in die Arme eines Reporters. „Ich trauere mehr über die Menschen, die er getötet hat“, antwortet sie auf die Frage, ob sie auch an ihren toten Bruder denke. Amedy Coulibaly hat in Paris fünf Menschen getötet, bevor er von der Polizei nach der Geiselnahme im jüdischen Supermarkt an der Porte de Vincennes erschossen wurde. Seine Familie war nie streng gläubig, geschweige denn radikal.

Die Coulibalys reagierten spät auf die Attentate mit 17 Toten, an denen ihr Sohn maßgeblich beteiligt war. „Wir distanzieren uns von diesen schrecklichen Taten“, schrieben sie dann in einem offenen Brief. Die Schwester sagt noch: „Ich muss den Namen Coulibaly bis an mein Ende tragen.“ Dann hastet sie weiter und verschwindet hinter einer Bushaltestelle. Der Name Coulibaly ist sehr verbreitet unter malischen Einwanderern in Frankreich.

Hier in Grigny südlich von Paris ist Amedy Coulibaly geboren. Es ist die idealtypische Banlieue: graue Plattenbauten, so gut wie keine Kulturangebote für Jugendliche, ein heruntergekommenes Einkaufszentrum. Vor dem schmuddeligen Discounter steht ein kleiner Pavillon, das „Café Grigny“. Malischstämmige Muslime trinken ihren Tee neben zwei Französinnen, die ihren Wein genießen. Wie konnte das nur passieren, wie konnte sich ein Franzose hier nur so radikalisieren? Die Antwort ist mittlerweile klar: Amedy Coulibaly war jemand, dem man nicht helfen konnte.

De-Charles Claude Aka ist Coulibalys ehemaliger Lehrer in einer Sonderschule in Grigny. „Er war als kleines Kind schon sehr auffällig“, erinnert sich der Pädagoge. Aka will aufklären, gibt Interviews und Einblicke in das frühe Leben des Attentäters. Coulibaly sei als Kind schon aggressiv gewesen, habe immer Streit gesucht. Alle pädagogischen Ansätze seien gescheitert. Auf den Klassenbildern lächelt der kleine Amedy brav in die Kamera. Täuschung perfektionierte Coulibaly als junger Erwachsener.

Drogen, Gangs und Terror

Er klaute, er verkaufte Drogen, machte die Siedlungen von Grigny mit seiner Gang unsicher, er liebte den Rap, der ihm so sehr aus dem Herzen sprach. Sein bester Kumpel starb in jungen Jahren bei einer Verfolgungsjagd. Sie luden gestohlene Motorräder auf einen Lastwagen. Amedy Coulibaly, so erzählen es mehrere Personen aus seinem Umfeld, hasste danach die Polizei, den Staat, das System aus vollem Herzen. Da half auch der Rap nicht mehr als Ventil.

Es folgten Ermahnungen, Sozialstunden, dann musste er ins Gefängnis. Im Jahr 2009, nachdem er immer mal wieder im Knast gelandet war, kam er wieder ganz frei. Er wurde in ein Resozialisierungsprogramm aufgenommen, bekam eine Ausbildung und einen Job. Er machte sich so gut, dass er sogar als Vorzeigebeispiel für die Wiedereingliederung von auffälligen Jugendlichen in den Élysée-Palast eingeladen wurde. Amedy Coulibaly schüttelte damals die Hand von Nicolas Sarkozy. Französische Medien empören sich nun nachträglich, dass ein zukünftiger Attentäter weniger als zwei Meter vom damaligen Präsidenten der Republik entfernt war. Der Handschlag Coulibaly-Sarkozy erschien damals in den Abendnachrichten, als habe man sagen wollen: Frankreich macht alles richtig. Doch im Fall von Amedy Coulibaly konnte man nichts richtig machen.

Fonteney-aux-Roses liegt etwas weiter westlich von Grigny. Es ist die andere Art von Banlieue in der Peripherie von Paris. Hier sind die Straßen sauber, man kümmert sich um das bisschen Grün auf den öffentlichen Plätzen, die Feinschmeckerrestaurants sind einzeln ausgeschildert. Ein schmuckes Örtchen, in dem der Attentäter zuletzt wohnte. Gegenüber vom Rathaus liegt sein Wohnhaus. An einer Klingel im Treppenhaus stehen noch die Namen, die Frankreich nie vergessen wird: Coulibaly/Boumeddiene.

Der Attentäter und seine nach Syrien geflüchtete Frau hätten sich nie in die Nachbarschaft integriert, nie integrieren wollen. In der Waschküche des Mehrfamilienhauses lästern die Nachbarinnen über das Terrorpaar. Hayat Boumeddiene tauchte eines Tages im Ganzkörperschleier im Treppenhaus auf, die Burka ist in Frankreich per Gesetz verboten. Die Nachbarinnen tuschelten, und die sonst so zurückgezogen lebende Hayat Boumeddiene bekam die Lästereien mit. „Ihr habt nicht das Recht über mich zu urteilen“, soll sie gesagt haben. Danach fanden sie alle nur noch suspekter. „Die sahen schon nach Kriminalität aus“, sagt eine Nachbarin, während sie ihre saubere Wäsche faltet.

Amedy Coulibaly will stark sein, im Mittelpunkt stehen

Amedy Coulibaly habe auf dem Bolzplatz gegenüber immer Klimmzüge am Torrahmen gemacht. Von ihrem Fenster konnte die eine Nachbarin alles gut sehen. „Der war schon ein bisschen heiß“, sagt sie. Ein bisschen können sie weiterhin lachen in Frankreich. Aber sie hoffen darauf, dass die Adresse des ehemaligen Hauses der Attentäter nie öffentlich wird. „Sonst haben wir Islamisten, die hier Blumen oder Korane oder sonst was niederlegen“, das wäre nicht so lustig, sagt eine Nachbarin. Die Wäsche ist fertig, die Kinder müssen aus der Schule abgeholt werden, das Leben geht in Fonteney-aux-Roses weiter. Hier, im schmucken Örtchen, täuschte Coulibaly nur einen Neuanfang vor.

In Gentilly, ein paar Stationen mit dem Vorortzug B Richtung Paris, hat Amedy Coulibaly in einer Fabrik von Coca-Cola gearbeitet. Einige Wochen vor seinem Attentat mietete er hier eine „Planque“, ein Versteck, in dem er sein Waffenarsenal aufbewahrte. Im scheinbar unbewohnten Apartment fanden Ermittler Schusswaffen, Handgranaten und kiloweise TNT. Das Geld, wie Coulibaly in mehreren Bekennerbotschaften berichtete, habe er von dem Terrornetzwerk Al Qaida im Jemen erhalten, die illegalen Kriegswaffen kamen aus Belgien.

Im Park von Buttes-Chaumant, im Gefängnis von Fleury-Mérogis, in den Untergrundmoscheen von Paris traf er auf Mitglieder von  Al Qaida oder solche, die mit dem Terror zumindest sympathisieren. Auf Djamel Beghal zum Beispiel, der ihn und die Brüder Kouachi, die Attentäter von „Charlie Hebdo“, indoktrinierte. Im Internet lernte er den „Islamischen Staat“ kennen. Es ist schwer zu sagen, wann er sich zusammen mit den Kouachis zum Attentat entschieden hat. Amedy Coulibaly wollte damit aber wohl auf jeden Fall in die Geschichte eingehen. Seine Bekennervideos mit IS-Logo und sein Propagandamaterial lassen es vermuten.

Macht und Wut

Amedy Coulibaly, so erzählt es die Fernsehjournalistin Agnès Vahramian, habe einen Drang zur Selbstinszenierung gehabt. Sie traf den frisch entlassenen Häftling Coulibaly im Jahr 2009. Damals bekam Vahramian von Amdey heimlich gedrehte Bilder aus dem Gefängnis zu sehen. Eine Reportage entstand, die vom harten Alltag hinter französischen Gittern erzählt. „Entweder du bist bei den Starken oder du bist erledigt“, sagte Amedy Coulibaly damals mit der Kapuze im Gesicht. Seine Stimme war verzerrt, dem Publikum wurde er unter dem Pseudonym „Hugo“ vorgestellt.

Amedy Coulibaly inszeniert sich in der Reportage. Er filmte sich und seine Mitinsassen dabei, wie sie Sachen von Zelle zu Zelle schmuggelten, wie sie kämpften, wie sie duschten. Ihn selbst sieht man bei Klimmzügen am grauen Vordach im Hof des Gefängnisses. Er spielt dabei gezielt mit seinen Muskeln. So, als wollte er es allen zeigen: dass nichts vorbeiführt an seiner Macht, an seiner Wut.

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