Drachme oder Euro in Griechenland?: Die wilden Planspiele von Yanis Varoufakis
Der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis hatte konkrete „Grexit“-Ideen. Premier Alexis Tsipras waren sie wohl zu heikel.
Ein Hacker im Athener Finanzministerium, der unbemerkt sensible Daten der Finanzverwaltung auf einen Laptop herunterlädt; Vorbereitungen für die Ausgabe von Schuldscheinen, wenn das Bargeld ausgeht; ein virtuelles Zahlungssystem, das auf Knopfdruck vom Euro auf eine neue Drachme umgestellt werden kann – der Bericht der Athener Zeitung „Kathimerini“ klang unglaublich. Jetzt bestätigte der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis den Bericht höchstpersönlich: Er habe im Auftrag von Premierminister Alexis Tsipras Pläne für eine Rückkehr zu einer eigenen Währung entwickelt, falls es dazu komme. Es sei aber nie seine Absicht gewesen, Griechenland in einen „Grexit“ zu führen, sagte er dem „Daily Telegraph“.
Varoufakis selbst hatte die Pläne am 16. Juli in einer Telefonkonferenz mit internationalen Analysten ausgeplaudert: Bereits im Dezember 2014, einen Monat vor dem Wahlsieg von Syriza, habe Tsipras ihn als Wirtschaftsberater mit den Plänen beauftragt. Als Finanzminister habe er dann eine „kleine, sehr fähige Mannschaft zusammengestellt, die unter größter Geheimhaltung arbeitete“. Damit die Troika keinen Wind von den Plänen bekomme, habe er einen Jugendfreund als Hacker engagiert, der sich unbemerkt Zugriff auf alle erforderlichen Daten der Finanzverwaltung verschaffte.
Er habe Tsipras von Anfang an gesagt, dass es „schwierig werden könnte“, aber das sei nun mal „der Preis der Freiheit“, sagte Varoufakis jetzt. Als es dann so weit gewesen sei, habe der Premier sich nicht getraut und habe die Schwierigkeiten wohl „für zu groß gehalten“. Er habe von seinem Entschluss, keinen „Grexit“ zu wagen, nachts nach der Volksabstimmung vom 5. Juli erfahren und seinen Rücktritt angeboten.
Dabei waren die Pläne offenbar weit gediehen: Aus den Erfahrungen der Iren und Zyprer wussten die griechischen Rebellen, dass die Europäische Zentralbank drohen würde, den Banken keine weiteren Euro-Kredite zu gewähren, wenn die Regierung sich den Forderungen der Kreditgeber widersetzen würde. Das hätte, so wie derzeit ja auch, den Bargeldumlauf ausgetrocknet und das Wirtschaftsleben drastisch gebremst. Dem wollten Varoufakis und sein Team begegnen.
Die Staatskasse sollte eine zweite Zentralbank werden
Ausgangspunkt war die Überlegung, dass die meisten erwachsenen Griechen und alle Unternehmen eine Steuernummer und somit auch ein Konto bei der Staatskasse haben. Gleichzeitig ist der Staat aber der größte Sender und Empfänger von Zahlungen. Darum plante das Varoufakis-Team de facto die Umwandlung der Staatskasse in eine zweite Zentralbank, die gleichzeitig auch als Geschäftsbank operiert hätte.
Dafür hätten alle staatlichen Behörden von der Stunde null an ihre Zahlungen als Gutschrift auf die Steuerkonten der Empfänger gebucht. Diese sollten zwar in Euro denominiert sein, rechtlich hätte es sich aber um elektronische Schuldscheine gehandelt, also nur den Anspruch auf Auszahlung in Euro zu einem späteren Zeitpunkt. Über die Steuerkonten hätten Geschäftsleute ihre Zahlungen auch untereinander mit diesen Parallel-Euros abwickeln können, und genauso hätten alle Steuerpflichtigen ihre Zahlung an die Staatskasse auch auf diesem Wege begleichen können.
Für den Zahlungsverkehr mit dem Ausland wäre das nutzlos gewesen
Ob diese vom griechischen Staat ausgegebene Parallelwährung die griechische Wirtschaft hätte stabilisieren können, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Denn für den Zahlungsverkehr mit dem Ausland wären die elektronischen Schuldscheine nutzlos gewesen. Der gesamte Zahlungsverkehr in der Euro-Zone läuft über die Konten der Banken im System der EZB, aus deren Sicht die elektronischen Zahlungsverpflichtungen aber kein legales Zahlungsmittel gewesen wären. Einer Verrechnung hätten EZB-Chef Mario Draghi und seine Kollegen ganz sicher nicht zugestimmt.
Alle importierten Güter, also vor allem Benzin und Erdgas sowie Nahrungsmittel und Medikamente, hätten weiter mit echten Euro bezahlt werden müssen. Das gilt auch für Vorprodukte und Rohstoffe der verbliebenen Industrie für Metall- und Versorgungsgüter. Unvermeidlich hätte sich ein Verrechnungskurs auf dem Schwarzmarkt ergeben, bei dem jede elektronische Euro-Einheit aus der Staatskasse einen weit geringeren Wert erzielt hätte als die Euros im offiziellen Bankensystem.
Dennoch wäre die Hilfe der EZB nötig gewesen
Eher früher als später hätte die Regierung darum das ganze Währungsregime einschließlich der eigentlichen Zentralbank übernehmen müssen, um Chaos zu vermeiden. Darum ist die Behauptung von Varoufakis, man hätte das System notfalls „mit einem Knopfdruck auf Drachmen umstellen“ können, nur die halbe Wahrheit. Denn wäre es zum Ausscheiden aus dem Euro gekommen, wäre Griechenland auf die Hilfe der EZB angewiesen gewesen: Die neue griechische Zentralbank hätte für die Zahlungsabwicklung der wichtigen Importe einen Puffer von mehreren Milliarden Euro benötigt.
Zudem hätte allein die EZB durch die Garantie eines Mindestkurses verhindern können, dass die neue Drachme unter dem Angriff von Spekulanten so weit abstürzt, dass die Versorgung zusammenbricht. Gleichzeitig deutet Varoufakis in dem Gespräch nicht einmal an, wie er hätte verhindern können, dass ausgerechnet Griechenlands Steuer- und Kapitalflüchtlinge als Gewinner aus der Währungsumstellung hervorgehen: Mit ihren im Ausland gebunkerten Euros hätten sie nach einer Abwertung der neuen Drachme ihr Heimatland zum Schnäppchenpreis kaufen können. Alexis Tsipras hatte viele gewichtige Gründe, den Varoufakis-Plan abzulehnen.