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Manuela Schwesig im Oktober 2020 in Lubmin, wo sich die Gas-Anlandestation der Ostseepipeline Nord Stream 2 befindet.
© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa
Update

Verschleierung russischer Einflüsse?: Die wichtigsten Fakten zu Manuela Schwesig und Nord Stream 2

Aufgrund der russlandpolitischen Verstrickungen ihrer Landesregierung steht die Ministerpräsidentin in der Kritik. Was ihr angelastet wird – ein Überblick.

Wie eng hat die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern mit dem von Russland kontrollierten Unternehmen Nord Stream 2 zusammengearbeitet? Welche politische Hilfe gab es für den Bau der Pipeline Nord Stream 2 aus Schwerin? Manuela Schwesig, Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsidentin, ist in den vergangenen Tagen schwer in Bedrängnis geraten – die wichtigsten Fragen und Antworten.

Der Ministerpräsidentin wird eine zu enge Bindung zum Unternehmen Nord Stream 2 angelastet, dessen Eigentümer der staatliche Gaskonzern Gazprom ist. Aus Sicht von Grünen, CDU und FDP hat die von ihr geführte Landesregierung – sie war bis Mitte November in einer Koalition mit der CDU, seither koaliert sie mit der Linken – eine zu russlandfreundliche Politik betrieben. Dabei geht es vor allem um die landeseigene Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“ – ein Konstrukt, das Russlands Interessen vor US-Sanktionen schützen sollte.

Die Stiftung wurde Anfang 2021 von Schwesig und ihrer Regierung gegründet – zu einem Zeitpunkt, als in Washington gerade weitere Strafmaßnahmen gegen Nord Stream 2 diskutiert wurden. Offiziell sollte sie Klima-Projekte fördern. Gleichzeitig hatte sie aber einen von Nord Stream geführten wirtschaftlichen Auftrag, der die Fertigstellung der Gasleitung unter Umgehung der US-Sanktionen unterstützten sollte.

Wie jetzt bekannt wurde, war die Nord Stream 2 AG – ein in der Schweiz registriertes Unternehmen – auch direkt an den Vorbereitungen für die Landesstiftung beteiligt.

Warum ist die Stiftung so problematisch?

Die Nichtregierungsorganisation Transparency Deutschland vermutet bei der Stiftung Verstöße gegen Transparenzvorgaben und das Geldwäschegesetz. Die Organisation wirft der Regierung Schwesig vor, Geldgeber zu verschleiern. Die hinter der Nord Stream 2 AG stehenden Entscheidungsträger von Gazprom müssten demnach im Registereintrag der Stiftung aufgrund ihrer erheblichen Einflussmöglichkeiten auf die Stiftung eingetragen werden.

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20 Millionen Euro Startkapital hat Nord Stream 2021 in die Stiftung investiert, die Landesregierung beteiligte sich mit 200.000 Euro. Für Transparency befindet sich die Stiftung in einem „klaren Abhängigkeitsverhältnis“ zur Nord Stream AG „und in letzter Konsequenz zur Russischen Föderation“.

Das Gebäude des Landgerichts in dem entschieden wurde, ob die Klimastiftung MV Details über die Arbeit ihres Geschäftsbetriebs herausgeben muss.
Das Gebäude des Landgerichts in dem entschieden wurde, ob die Klimastiftung MV Details über die Arbeit ihres Geschäftsbetriebs herausgeben muss.
© Jens Büttner/dpa

Abgesehen davon steht nun auch der Verdacht der Steuerhinterziehung im Raum: Wie das Magazin „Cicero“ berichtet, hätte die 20-Millionen-Euro-Schenkung für die Stiftung eigentlich versteuert werden müssen. Doch die Steuererklärungen sind angeblich verloren gegangen.

Da die Stiftung keine gemeinnützige ist, wäre eine Steuer von 50 Prozent fällig, also zehn Millionen Euro. Eine Schenkung müsste innerhalb von drei Monaten dem Finanzamt gemeldet werden, ansonsten drohen Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung.

Wie viel Einfluss hatte Nord Stream 2 auf die Landesregierung?

Aus den Akten, die die Staatskanzlei der Transparenz-Organisation „FragDenStaat“ auf Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz aushändigen musste, wird deutlich, wie fordernd das Unternehmen auftrat.

Die „Zeit“ berichtet, die Gazprom-Tochterfirma habe bereits 2016 um „politische Flankierung“ gebeten, als es um das Genehmigungsverfahren für das Milliarden-Projekt der Pipeline ging. Damals war noch Schwesigs Vorgänger Erwin Sellering im Amt, der später Vorstand der Stiftung wurde und für seinen moskaufreundlichen Kurs bekannt ist.

[Lesen Sie auch: Interne Akten zeigen Nähe zu Gazprom: Wie Schwerin zum „Vorposten des Kremls“ wurde (T+)]

In einer Präsentation, die von Nord Stream 2 an das zuständige Energieministerium in Schwerin ging, heißt es etwa: „Ein entsprechender Kabinettsbeschluss ist in der laufenden Legislaturperiode wünschenswert.“

Zudem schrieb das Energieministerium für das Bergamt Stralsund als zuständiger Genehmigungsbehörde zwei Stellen aus, um den Zeitplan der Nord Stream 2 AG erfüllen zu können. Der damals zuständige Energieminister Christian Pegel (SPD) sieht im Gespräch mit der „Zeit“ darin offenbar kein Problem – solche Stellenbeschaffungen seien bei Projekten dieser Dimension üblich, sagte er.  

Ein Schild mit der Aufschrift Nord Stream 2 hängt im Gewerbegebiet Lubmin an einem Container von einem Infopunkt zur Gas-Pipeline Nord Stream 2.
Ein Schild mit der Aufschrift Nord Stream 2 hängt im Gewerbegebiet Lubmin an einem Container von einem Infopunkt zur Gas-Pipeline Nord Stream 2.
© Stefan Sauer/dpa

Mit Blick auf die Vorbereitung der Stiftung gab Pegel zu, dass er während der Arbeit an der Satzung regelmäßig Kontakt zu Nord Stream 2 hatte – und Wünsche des Unternehmens einfließen ließ. Bei den Gesprächen ging es auch um die Frage, wie ein Schutzschirm für von US-Sanktionen bedrohte Unternehmen gespannt werden kann. Nord Stream hatte einen eigenen Ansprechpartner, mit dem wiederholt die Sanktionsgesetzgebung gegen am Pipeline-Bau beteiligte Firmen ausgewertet worden sei, sagte Pegel.

Gespräche wurden auch von Schwesig bestätigt, allerdings bestreitet sie, dass Nord Stream 2 bei der Stiftung die Federführung inne gehabt habe.

Wie intensiv das Unternehmen dann doch einwirken wollte, zeigen Recherchen der „Welt am Sonntag“. Demnach schlug Nord Stream vor, einen Vertreter bei Hintergrundgesprächen mit Journalisten einzuschleusen. Darauf soll man nicht eingegangen sein, heißt es.

Welche Konsequenzen hat die Ministerpräsidentin versprochen?

Schwesig sprach kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges von zahlreichen Schritten zu einer anderen Russlandpolitik. Sie kündigte zunächst nicht nur die Auflösung der umstrittenen Stiftung an, sie bat auch den Verein „Deutsch-Russische Partnerschaft in Mecklenburg-Vorpommern“ darum, seine Arbeit ruhen zu lassen.

Allerdings bewilligte das Finanzministerium NDR-Recherchen zufolge fast vier Wochen später noch eine Tranche „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 600.000 Euro für den Verein.

Der Verein steht ebenfalls in Verbindung zu Sellering, Schwesigs Vorgänger und Mentor, der den Vorsitz innehat. Es war auch seine Initiative, den Verein 2018 zu gründen. Ziel sei es gewesen: „Verständnis für Deutschland in Russland ebenso wie das Verständnis für Russland in Deutschland zu fördern“.

Die wichtigsten Fakten zu Nord Stream 2:

  • Baubeginn für die etwa 1200 Kilometer lange russisch-deutsche Leitung war 2018.
  • Nord Stream 2 verläuft parallel zur 2011 fertiggestellten Gaspipeline Nord Stream 1.
  • Sanktionsdrohungen durch die USA verzögerten den Bau der neuen Pipeline.
  • Nord Stream 2 wurde auch mit Hilfe einer von Mecklenburg-Vorpommern gegründeten Stiftung 2021 fertiggestellt.
  • Als Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine erhielt die Gasleitung aber keine Betriebserlaubnis.

Die Grünen-Spitze im Bund hat sich am Freitag für eine sofortige Auflösung der Klimastiftung ausgesprochen. „Nord Stream ist tot. Jetzt kann man die Landesstiftung auch sofort auflösen“, sagte der Bundesvorsitzende Omid Nouripour im Deutschlandfunk. Er hoffe, dass dies „so schnell wie möglich passiert“.

Zwar hat der Landtag in Schwerin die Auflösung bereits beschlossen und auch Schwesig ist dafür. Doch ihr Amtsvorgänger Erwin Sellering als Stiftungsvorstand wehrt sich weiterhin dagegen. Die geforderte Auflösung sei stiftungsrechtlich und aus Haftungsgründen nicht möglich, erklärte der SPD-Politiker am Freitag in Schwerin.

Warum kann Manuela Schwesig die Stiftung nicht einfach auflösen?

Über die Auflösung der Stiftung wird derzeit noch rechtlich gestritten. Offen ist auch, ob die Stiftungseinlage – wie vom Landtag befürwortet – für humanitäre Hilfe in der Ukraine eingesetzt werden kann.

Zudem hat Schwesig, so berichtet es die „Zeit“, mittlerweile Probleme mit Stiftungsvorstand Sellering, das Verhältnis soll zerrüttet sein. Während sie eine schnelle Abwicklung der Stiftung ankündigte, ließ er wissen, dass dies rechtswidrig sei. In einer Mitteilung auf der Homepage der Stiftung weist Sellering auf juristische Gründe hin, die es unmöglich machen, sie aufzulösen.

Manuela Schwesig wird 2017 auf dem SPD-Sonderparteitag nach ihrer Wahl zur neuen Landesvorsitzenden von Vorgänger Erwin Sellering beglückwünscht.
Manuela Schwesig wird 2017 auf dem SPD-Sonderparteitag nach ihrer Wahl zur neuen Landesvorsitzenden von Vorgänger Erwin Sellering beglückwünscht.
© Jens Büttner/dpa

Die Rechtslage sei eindeutig. „Damit ist für uns als Stiftung eine Auflösung vom Tisch“, betonte Sellering unter Verweis auf ein vom Stiftungsvorstand bei der Bochumer Rechtswissenschaftlerin Katharina Uffmann in Auftrag gegebenes Gutachten.

Gleichzeitig argumentiert er mit dem Aspekt Klimaschutz: „Die Stiftung hat umgehend jede Tätigkeit für die Pipeline eingestellt und wickelt den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ab. Allerdings sehen wir kritisch, dass wir jetzt auch die wichtige Arbeit im Klima- und Umweltschutz einfach einstellen sollen. Das erscheint sinnlos, weil es – anders als das ,Aus´ für die Pipeline – keinerlei Wirkung hätte auf Putin-Russland und seine Fähigkeit, diesen Krieg fortzusetzen.“

Ihre Unterstützung der russischen Gaspipeline sei ein Fehler gewesen, gestand Schwesig schon vor Wochen ein. Es sei klar, dass nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar das Verhältnis Mecklenburg-Vorpommerns zu Russland ein anderes geworden sei, erklärte sie.

Wie reagiert die Ministerpräsidentin auf die Vorwürfe?

Nach Aufkommen der Vorwürfe in Zusammenhang mit der Stiftung und der anhaltenden Kritik ging sie nun in die Offensive – und verwies auf den breiten politischen Konsens für das Vorhaben. „Deutschland hat viele Jahrzehnte bei der Energieversorgung stark auf Erdgas aus Russland gesetzt“, erklärte sie. Das Projekt sei von der Bundesregierung aus Union und SPD immer befürwortet worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe zuletzt sogar mit US-Präsident Biden persönlich verhandelt.

Gründe auf ihr Amt zu verzichten, sieht sie keine: „Vor einem halben Jahr gab es eine Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, und die Bürgerinnen und Bürger haben mich mit großer Mehrheit in meinem Amt bestätigt, mit einem starken Bürgervotum“, sagte sie am Donnerstag bei einem Treffen der norddeutschen Landesregierungen in Kiel.

Schwesig (SPD) besichtigt mit dem russischen Botschafter in Berlin die Gasanlandestation von Nord Stream 2.
Schwesig (SPD) besichtigt mit dem russischen Botschafter in Berlin die Gasanlandestation von Nord Stream 2.
© Jens Büttner/dpa

Während die Union im Bund weiter ihren Rücktritt fordert, stärkte der Sprecher der Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion, Frank Junge, Schwesig den Rücken. Die Rücktrittsforderungen der CDU würden „nicht nur an den Haaren herbeigezogen, sondern auch verlogen“ klingen, sagte er der „Rheinischen Post“.

Die Fraktionen von CDU, Grünen und FDP im Schweriner Landtag wollen indessen die Causa aufklären. Im Mai soll ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu den langjährigen Kontakten Schwesigs und der SPD zum russischen Staatskonzern Gazprom eingesetzt werden. Zudem will man sich mit den genaueren Umständen der Gründung und Arbeit der Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“ beschäftigen. (mit Agenturen)

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