Vorwärts – aber wie?: Die vier ungelösten Probleme der SPD
Beim SPD-Bundesparteitag können die Konflikte halbwegs zugekleistert werden – aber die grundlegenden Probleme bleiben. Und es droht ein Machtkampf.
Beschädigungen sind eine Spezialität der SPD. Heiko Maas, deutscher Außenminister, fällt im ersten Durchgang der Vorstandswahl durch – im zweiten Wahlgang schafft er es mit 409 Stimmen doch noch in den Vorstand. Ein Raunen geht durch die Halle in der Messe Berlin beim Bundesparteitag.
Das passt so gar nicht zum Beschwören der Harmonie und innerparteilicher Solidarität. Die eigenen Spitzenleute zumindest vorübergehend zu demütigen – es ist nicht die einzige Ungereimtheit der SPD. Ein Überblick über ungelöste Probleme.
SPALTUNG:
Aus dem Regierungslager der Sozialdemokraten sind wenig schmeichelhafte Urteile über die neuen Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu hören. Dieser Teil der SPD wollte Klara Geywitz und Olaf Scholz an der Spitze sehen, ebenso wie viele andere Pragmatiker.
Andere Delegierte feiern dagegen den Linkskurs als Aufbruch, der aber mit der Union kaum durchsetzungsfähig sein dürfte. In zentralen inhaltlichen Punkten scheint es nicht eine, sondern mindestens zwei Sozialdemokratien zu geben: Die einen sind stolz auf die Wirkung der Agenda- Politik, die anderen verdammen Hartz IV.
Die einen sind stolz auf das in der großen Koalition von der SPD Durchgesetzte, die anderen halten es für viel zu wenig, manche gar für Verrat. Die einen kümmern sich um die Verteilung des erarbeiteten Wohlstands, die anderen befürchten, ohne mehr Wirtschaftskompetenz gehe die Partei unter. Zudem wird viel über die Basis geredet, aber viele der 425.000 Mitglieder, gerade Ältere, fühlen sich ungehört und schlecht eingebunden.
MACHTPROBE:
Schon an der Spitze der Partei können Esken und Walter-Borjans nicht schalten und walten, wie sie wollen. Unter den fünf Stellvertretern der beiden Vorsitzenden sind die Groko-Befürworter in der Mehrheit (Klara Geywitz, Hubertus Heil, Anke Rehlinger). Zum SPD-Präsidium gehört auch Schatzmeister Dietmar Nietan, der angesichts der desolaten Finanzlage keinerlei Interesse an Neuwahlen haben kann.
Bis zur Wahl der neuen Parteivorsitzenden hatten sich nur sechs von 152 Bundestagsabgeordneten öffentlich zu Esken und Walter-Borjans bekannt – viele fürchten Neuwahlen und befinden die Koalition für besser als ihr Ruf. Offiziell bekennen sich auch die Fraktionsvertreter zu den neuen Parteichefs, doch wissen sie genau um ihre Macht.
Nur sie können im Bundestag die Hand heben oder gegen eine Initiative stimmen. Der Ausgleich zwischen beiden Machtzentren muss nicht in offener Konfrontation erfolgen. Fraktionschef Rolf Mützenich kommt vom linken Parteiflügel und gilt als sehr ausgleichend und fair.
Er könnte eine befriedende Wirkung entfalten. Auch die SPD-Ministerpräsidenten sind bisher gegen einen Ausstieg aus der Groko. Esken und Walter-Borjans haben klargemacht, dass sie keine Alleingänge wollen, aber nun die Linie bestimmen, so wie sie auch das Vorschlagsrecht bei der Kanzlerkandidatur beanspruchen.
Aber sicherlich ist eine programmatisch geklärte und definierte SPD besser als ein Gemischtwarenladen aus mehr oder weniger guten Traditionen.
schreibt NutzerIn PTT
VERHEDDERT IM SOZIALDICKICHT:
Nur noch drei Prozent trauen der SPD laut einer Forsa-Umfrage zu, die Probleme des Landes zu lösen, besonders dramatisch ist es um die Wirtschaftskompetenz bestellt. Beim Parteitag wird fünf Stunden über das neue Sozialstaatskonzept und Korrekturen bei Hartz IV diskutiert, sicher ein wichtiges Thema und ein Trauma der SPD.
Aber die Themen Wirtschaft und Innovation, etwa wie der Automobilstandort Deutschland zu sichern ist, kommen nur ganz am Rande vor. Der SPD-Mittelstandsbeauftragte, der Unternehmer Harald Christ, hat zum Parteitag seine Tätigkeit aufgegeben. Und vorerst soll der Posten unbesetzt bleiben.
Christ rechnet mit dem Kurs der neuen Führung ab. Es gebe in der parteipolitischen Polarisierung den Versuch, die Wirtschaft und den Mittelstand quasi zum Gegner zu erklären. Das sei eine neue Qualität. „Die so gern zitierten einfachen Leute verstehen sehr wohl, dass es gerade die Mittelstands-Expertise braucht, um den Wohlstand im Land zu erarbeiten“, betont Christ. „Die SPD flüchtet sich in eine sozialromantische Politik, die mit der Realität im Land nichts zu tun hat“, sagt der Wirtschaftsexperte. „Die SPD war mal die Zukunfts- und Innovationspartei, davon verabschiedet sie sich gerade.“
Die Befürworter des neuen Kurses votieren dagegen für eine stärkere Besteuerung von Vermögen und mehr Umverteilung von oben nach unten. Die scharfe Kritik von vielen Seiten, gerade auch von FDP-Chef Christian Lindner, sehen Delegierte als Bestätigung, dass es neuen Respekt vor der neuen SPD gebe.
IN MERKELS HAND:
Ein Kernkonflikt wird in nächster Zeit der um die „schwarze Null“, auch um das finanz- und wirtschaftspolitische Profil zu schärfen. Walter-Borjans verweist auf Ökonomen, die 450 Milliarden Euro an Investitionen bis 2030 fordern. Bundesfinanzminister Olaf Scholz könnte sich hinter Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer verstecken, die neue Schulden nicht wollen.
Wenngleich auch der BDI und der DGB eine Milliardenoffensive fordern, um Deutschland zu modernisieren. Jedoch fehlt es oft nicht an Geld, sondern an Planungskapazitäten. Die neue Spitze steht unter dem Druck ihres Lagers, einen Teil ihrer Versprechungen einzulösen.
Es ist aber völlig unklar, ob und wo die Union der SPD entgegenkommen wird – sie könnte im Gegenzug etwa eine komplette Abschaffung des Soli und eine Unternehmenssteuerreform fordern. Scheitern die Nachverhandlungen, hat nun der neu gewählte SPD-Vorstand das Mandat bekommen, über einen Ausstieg aus der Koalition zu entscheiden. Entschieden ist also auch hier noch nichts.
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