Zum Klimaschutz-Sofortprogramm der Grünen: Die Veto-Macht ist eine Idee von radikaler Tragweite
Die Grünen fordern ein Ministerium mit Veto-Recht – und dehnen sich weiter rein in den Spagat zwischen Klimaschutz und Koalitionsfähigkeit. Ein Kommentar.
Sofortprogramme sind beliebt in der Politik, ganz besonders vor Wahlen. Sie klingen nach Handfestigkeit, nach Konkretem, nach „jetzt aber!“. Und dass es in Sachen Klimaschutz keine Zeit zu verlieren gibt, haben die Hochwasserschäden der vergangenen Wochen gerade noch einmal in die kollektive Wahrnehmung gedrängt. Inmitten dieser Stimmungslage haben die beiden Parteichefs der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, nun das „größte Klimaschutzpaket, das es jemals gegeben hat“ vorgestellt.
Das ist zum einen ein kleiner Etikettenschwindel, denn die allermeisten Vorhaben aus dem Sofortpaket finden sich bereits im Wahlprogramm. Zum anderen ist es mutig, denn die Grünen scheuen offensichtlich nicht ihren, selbst oft bedauerten, Ruf als Verbotspartei und fordern ein Klimaschutzministerium, das ein absolutes Veto-Recht haben soll, wenn andere Ministerien Entscheidungen treffen, die dem Klima schaden.
Das Echo der Konkurrenz ist negativ: "grüne Verhinderer"
Abgesehen davon, dass eine solche Vetomacht den ohnehin schon langsamen Politik-Apparat noch stärker ausbremsen könnte, ist die Idee von potenziell radikaler Tragweite. Nähme so ein Ministerium seine Aufgabe ernst, müsste es jede neue Autobahn, jede Förderung von Erdgas verbieten. Das dürfte die Koalitionsarbeit mit egal welcher Partei massiv belasten. Entsprechend auch das Spontanecho, das sich auf den Nenner „grüne Verhinderer“ bringen ließe.
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Andererseits ist die Idee geradezu zwingend konsequent. Die Grünen spüren den Druck der Umweltorganisationen und jungen Wähler. Die fordern eine Politik, die sich streng nach dem Pariser Kimaabkommen ausrichtet, wonach die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden soll.
Obwohl Deutschland diese Verpflichtung immer gern betont, hat bislang keine Partei ihr Wahlprogramm konsequent darauf ausgerichtet, wird die Fridays-for-Future-Bewegung nicht müde zu betonen. Und auch das neue Sofortprogramm der Grünen würde dafür nach Berechnungen des Weltklimarates nicht ausreichen.
Klimamaßnahmen sind politisch belastend, das wissen sie
Ihm zufolge stünde Deutschland seit 2020 nur noch ein Kohlenstoffbudget von allerhöchstens 6,6 Gigatonnen CO2 zur Verfügung. Geht es so weiter wie bisher, wäre es bis 2035 aufgebraucht. Ein klimaneutrales Deutschland bis zu dem Jahr fordert politisch bislang nur die Linke. Die Grünen wollen dagegen in 20 Jahren klimaneutral werden – sprich etwa 2040.
Aber Spitzenkandidatin Annalena Baerbock weiß längst, dass radikale Klimamaßnahmen nicht nur finanziell, sondern auch politisch belastend sind. Zu spüren bekam sie das im Juni, als sie die von der Bundesregierung nach 2025 eingeplante Benzinpreiserhöhung um 16 Cent auf 2023 vorziehen wollte. Der Aufschrei war groß, die Grünen verloren prompt zwei Prozentpunkte.
[Lesen Sie hier bei T-Plus: Was der CO2-Preis die Bürger kosten könnte.]
Das zeigt den breiter werdenden Spagat, den die Partei schaffen muss. Auf der einen Seite stehen die Wissenschaft mit den Fakten und die daran ausgerichtete Umweltbewegung. Auf der anderen Seite steht die Wählbarkeit als mögliche Regierungspartei, die es sich nicht erlauben kann, mit Verboten und Teuerungsankündigungen abzuschrecken.
Die Grünen verlieren an Zustimmung
Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warnte schon in der Debatte um höhere CO2-Preise, man dürfe die Bereitschaft der BürgerInnen zu mehr Klimaschutz nicht überreizen.
Fünf Wochen vor der Bundestagswahl liegen die Grünen in den Umfragen bei etwa 17 Prozent. Vor ziemlich genau einem Jahr hatten sie noch bei 24 Prozent gelegen. Jetzt muss die Partei sich entscheiden, ob sie wirklich die knallharte Verfechterin des Pariser Klimaabkommens sein und für den unangenehmen 1,5-Grad-Weg kämpfen möchte oder ob sie Kompromisse eingehen und versuchen wird, möglichst viele hinter sich zu vereinen und in einer Koalition umzusetzen, was politisch möglich ist. Erfahrungen aus Baden-Württemberg, wo die Grünen mit der CDU regieren, zeigen: Am Ende bleibt meist der Kompromiss.
Florence Schulz