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Ist Syriens Machthaber Assad am Ende?
© REUTERS
Update

Syrien: Die USA suchen ihren Kurs in der Syrien-Politik

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen fordert einen Regimewechsel in Syrien. Ist ein Sturz von Präsident Assad wahrscheinlich? Fragen und Antworten zum Thema.

Nach dem US-Angriff auf den Militärstützpunkt Schayrat in Syrien sorgt Washington mit immer neuen Ankündigungen für Verwirrung. So gehört die Ablösung des syrischen Staatschefs Baschar al Assad nach Aussage von UN-Botschafterin Nikki Haley jetzt zu den Prioritäten der US-Politik in Syrien – obwohl die Administration noch vor Kurzem gesagt hatte, Assads Entmachtung zu fordern sei „albern“. Am Sonntag erklärte Außenminister Rex Tillerson dann, der Kampf gegen die Terrormiliz IS habe weiter Vorrang. Der Luftangriff bedeute keine Änderung der „militärischen Positur“ der USA. Er habe sich ausschließlich auf den Giftgasangriff bezogen. Und am Ende werde das syrische Volk über das Schicksal von Präsident Baschar al Assad entscheiden. Was Trump wirklich will, ist schwer zu sagen.

Was ist seit dem US-Angriff vom Freitag geschehen?

Wenn der Präsident geglaubt haben sollte, dass sein Raketenangriff in Schayrat irgendetwas am Grauen des syrischen Bürgerkrieges ändern würde, dann hat er sich getäuscht. Am Tag nach der Attacke der US-Marschflugkörper starteten in Schayrat schon wieder die ersten syrischen Kampfflugzeuge. Die Stadt Chan Scheichun, wo vergangene Woche mehrere Dutzend Menschen durch Giftgas aus Flugzeugen getötet wurden, erlebte neue Luftangriffe.

Die 59 Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, die am frühen Freitagmorgen in Schayrat einschlugen, zerstörten nach US-Regierungsangaben etwa 20 Kampfjets der syrischen Armee. Allerdings blieben die Startbahnen der Basis entgegen ersten Meldungen unversehrt. Trump betonte, die Tomahawks hätten nicht auf die Startbahnen gezielt, weil diese ohnehin leicht zu reparieren seien. Den Militärschlag rechtfertigte er in einem Brief an den Kongress mit dem Schutz amerikanischer Interessen. Sollte es die Lage erfordern, werde er „zusätzliche Handlungen“ anordnen. Auch UN-Botschafterin Haley sagte, die Vereinigten Staaten seien bereit, „mehr zu tun“.

Wie sind die Reaktionen in den USA?

Anders als in den ersten Stunden nach dem Tomahawk-Angriff, als die amerikanische Öffentlichkeit und die meisten Politiker dem Präsidenten den Rücken stärkten, werden inzwischen kritische Töne lauter. Die „Washington Post“ meldete, Trump habe seine Entscheidung getroffen, nachdem er im Fernsehen die schrecklichen Bilder von Kindern gesehen habe, die durch das Giftgas getötet worden waren. Der Präsident habe engen Beratern gegenüber betont, wie „fürchterlich“ die Bilder gewesen seien. Trump sei nicht nur ein Präsident, sondern eben auch ein „Vater und ein Großvater“, sagte Beraterin Kellyanne Conway der Zeitung zufolge.

Kritiker sind empört. Der Angriff in Schayrat habe nur die Heuchelei der Nahostpolitik unter Trump offengelegt, erklärte der demokratische Senator Chris Murphy. Trump habe keine Strategie für Syrien. Murphy und andere verweisen darauf, dass sich Trump durch das Leid der Syrer zwar zu einem Militärschlag hinreißen lasse, aber nicht dazu, syrische Flüchtlinge in die USA aufzunehmen.

Wie wichtig sind Haleys Äußerungen zur Ablösung Assads?

In dieser Situation sorgte Haley für weitere Verwirrung. Die USA wollten erstens den IS besiegen, doch zweitens gebe es keine friedliche Lösung für Syrien mit Assad im Amt, sagte die UN-Botschafterin dem Nachrichtensender CNN. Erst vor einer Woche hatte Haley erklärt, „regime change“ gehöre nicht mehr zu den amerikanischen Zielen in Syrien. Auch Trump hatte mehrfach erklärt, die Zeit, in der die USA aktiv die Ablösung von Regierungen anderer Länder betrieben, sei vorbei.

Auch wenn Haley keine Details nannte, ist die Positionsveränderung mit Blick auf Assad von hoher Bedeutung. Mit ihr nähert sich Washington den syrischen Rebellen und regionalen Partnern wie den Golfstaaten und der Türkei an. Dagegen wächst die politische Distanz zwischen den USA und Russland – falls Haley nicht ungeschützt vorgeprescht sein sollte.

Wie könnte die „Trump-Doktrin“ in Syrien und auf anderen außenpolitischen Gebieten aussehen?

Über Jahre hatten die USA alles getan, um sich aus dem Syrien-Krieg so gut es ging herauszuhalten. Trump, der selbst lange gegen eine Syrien-Intervention war, hat diese Position mit seiner emotional begründeten Aktion aufgegeben. Doch was an die Stelle der bisherigen Abwartehaltung treten soll, ist unbekannt.

Seit dem Einsatzbefehl für die Tomahawks haben weder Trump noch seine Berater den Amerikanern erläutert, von welchen Prinzipien die neue Syrien-Politik der Supermacht geleitet werden soll. Außenminister Tillerson wird in wenigen Tagen in Moskau erwartet, wo die über den Tomahawk-Angriff verärgerte russische Führung auf Erklärungen pocht. Was Tillerson im Gespräch mit dem Kremlchef Wladimir Putin sagen wird, ist nicht bekannt. Moskau kritisiert bereits die „Unberechenbarkeit“ der USA.

Erst vor wenigen Tagen sagte Trump von sich selbst, er sei „flexibel“, was sein Handeln angehe. Trumps Außenpolitik werde aber wohl einige der persönlichen Charakterzüge des Präsidenten selbst tragen, sagte die frühere Pentagon-Mitarbeiterin Kathleen Hicks in der „New York Times“ voraus: „unberechenbar, instinktgeleitet, undiszipliniert“.

Welche Haltung nehmen die EU-Staaten ein?

Unter den 28 EU-Staaten lautet die vorrangige Lesart von Haleys Äußerungen, dass ein Sturz Assads nur mit Russlands Unterstützung möglich wäre. So sagte der dienstälteste Außenminister in der Europäischen Union, Luxemburgs Chefdiplomat Jean Asselborn, dass Moskau eine entscheidende Rolle spiele, wenn es darum gehe, „Assad in die Schranken zu weisen“. Vor den ab Dienstag geplanten Gesprächen des amerikanischen Außenministers Tillerson in Moskau setze er auf die Einsicht in Washington, „dass Militärschläge das Drama in Syrien nicht beenden werden“, sagte Asselborn dem Tagesspiegel weiter.

Aus Sicht des außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), hat das Festhalten an einer Friedenslösung mit dem syrischen Machthaber Assad immer weniger Sinn. „Von Monat zu Monat wird es unwahrscheinlicher, dass eine akzeptable Friedenslösung unter Assad gefunden wird“, sagte Hardt dem Tagesspiegel. Niemand könne dem syrischen Volk zumuten, „dass ein Herrscher an der Macht bleibt, der das eigene Volk mit Giftgas bekämpft“. Als Reaktion auf einen Giftgas-Angriff in der Kleinstadt Chan Scheichun hatte US-Präsident Trump einen Militärschlag gegen den syrischen Luftwaffenstützpunkt Schayrat angeordnet.

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sagte dem Tagesspiegel, dass die Äußerungen der ranghohen US-Diplomatin Haley den Konflikt in Syrien einer Lösung nicht näherbringen würden. „Natürlich hat Syrien keine Zukunft mit Assad, aber die Vorstellung, ein von Russland unterstützter Staatschef könne einfach so gestürzt werden, ist politisch entweder naiv oder gefährlich“, sagte der FDP-Politiker.

Deutlich konfrontativer gegenüber Moskau hören sich hingegen die Äußerungen aus der Regierung in London zu den jüngsten Entwicklungen in Syrien an. „Russland ist stellvertretend verantwortlich für den Tod sämtlicher Zivilisten in der vergangenen Woche“, schrieb der britische Verteidigungsminister Michael Fallon in einem Beitrag für die „Sunday Times“ mit Blick auf den Giftgasangriff in Chan Scheichun. Die offenen Worte aus London an die Adresse Moskaus kommen insofern nicht überraschend, als das Verhältnis zwischen Großbritannien und Russland seit dem Giftmord an dem russischen Regierungskritiker Alexander Litwinenko in London im Jahr 2006 angespannt ist.

Auf diplomatischer Ebene will derweil der britische Außenminister Boris Johnson in der Syrien-Politik erst einmal seinem US-Amtskollegen Tillerson das Feld überlassen. Seine für diesen Montag geplante Moskau-Reise sagte Johnson wieder ab. Der Brite will sich stattdessen dafür einsetzen, dass die internationale Staatengemeinschaft beim G-7-Außenministertreffen an diesem Montag und Dienstag in Italien eine gemeinsame Linie in der Syrien-Politik findet.

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