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Mit der Juristin Barrett bekämen die Konservativen eine dominierende Mehrheit am Supreme Court.
© Manuel Balce Cenata/AFP

Supreme Court-Neubesetzung um jeden Preis: Die US-Republikaner wollen notfalls infizierte Senatoren zur Abstimmung holen

Mehrheitsführer im Senat Mitch McConnell möchte vor der Wahl die erzkonservative Amy Barrett als Richterin am Supreme Cour einsetzen. Trotz Corona-Infektionen.

Wenn nicht alles so dramatisch wäre, dürfte man es ironisch finden: Ausgerechnet eine Siegesfeier könnte als Anlass für eine große Krise der Republikanischen Partei in die Geschichte eingehen. Am Samstag vor einer Woche versammelten sich um US-Präsident Donald Trump und sein engstes Umfeld vor allem auch viele republikanische Senatoren im Rosengarten des Weißen Hauses, um die Nominierung der konservativen Richterin Amy Coney Barrett für den Supreme Court zu zelebrieren.

Die Militärkapelle spielte patriotische Lieder wie „Hail to the Chief“, die Stimmung war festlich und überschwänglich – denn in den vorausgegangenen Tagen hatte sich herauskristallisiert, dass die Republikaner die Mehrheit für Barretts Bestätigung zusammen hatten.

Viele der mehr als 150 Gäste umarmten sich, schüttelten Hände, kaum einer trug Maske, obwohl die Bestuhlung sehr eng war. Man feierte, dass Barrett, so der Senat zustimmt, noch vor den Wahlen am 3. November die Mehrheit der Republikaner im Supreme Court von fünf zu vier auf sechs zu drei ausbauen würde. Die 48-Jährige soll Nachfolgerin der liberalen Ikone Ruth Bader Ginsburg werden, die in der Woche davor verstorben war.

Doch nach der inzwischen als „Superspreading-Event“ geltenden Feier sind neben Präsident Trump, der seit Freitagabend im Krankenhaus behandelt wird, und First Lady Melania nun mindestens drei republikanische Senatoren positiv auf das Coronavirus getestet worden: Mike Lee (Utah), Thom Tillis (North Carolina) und Ron Johnson (Wisconsin). Lee und Tillis, die bei der Feier waren, sind auch Mitglieder im Justizausschuss. Johnson erklärte, er habe sich später in Washington angesteckt.

Zur Abstimmung über Barretts Berufung muss zunächst der Justizausschuss und dann der gesamte Senat zusammentreten. Die Republikaner verfügen mit 53 von insgesamt 100 Stimmen nur über eine knappe Mehrheit. Sollten die drei Senatoren also ernsthaft erkranken, ist diese Mehrheit gefährdet. Zwei moderate republikanische Senatorinnen, Susan Collins von Maine und Lisa Murkowski von Alaska, haben bereits klargemacht, dass sie gegen Barretts Bestätigung noch vor der Wahl sind.

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Als Reaktion auf die Infektionen setzte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, alle Plenarsitzungen für die nächsten zwei Wochen aus, um eine weitere Ausbreitung des Virus im Senat zu verhindern.

Aber der Machttaktiker McConnell, der das Verfahren offenbar um jeden Preis durchziehen möchte, verfügte, dass der Justizausschuss trotzdem wie geplant mit der mehrtägigen Anhörung Barretts am 12. Oktober beginnen soll. Die Abstimmung im Plenum des Senats ist dann für den 26. Oktober angesetzt, das wäre nur eine Woche vor der Präsidentschafts- und Kongresswahl.

Barrett soll eine Gruppe unterstützen, die extreme Anti-Abtreibungspositionen vertritt

Die Demokraten, die ohnehin fordern, dass erst der Sieger der Präsidentschaftswahl über die Besetzung des einflussreichen Postens entscheiden sollte, sind empört. Die Fortsetzung der Arbeit gefährde die Gesundheit der Beteiligten, argumentieren Mitglieder des Justizausschusses. Nach allem, was bisher bekannt ist, sind ihre Sorgen durchaus berechtigt.

Denn McConnell plant laut „New York Times“ bereits für den Fall, dass sich weitere republikanische Senatoren in Quarantäne begeben müssen oder Tillis, Lee oder Johnson erkranken. Überlegt werde, die Abstimmung des Justizausschusses im großen Plenarsaal abzuhalten. Dort könnten infizierte Senatoren in der Galerie platziert werden, um den nötigen Abstand einzuhalten.

Der republikanische Ausschusschef Lindsey Graham schlug vor, die Senatoren könnten auch per Videokonferenz an den Sitzungen teilnehmen. Anders als das demokratisch geführte Repräsentantenhaus, das seine Regeln in der Coronakrise so änderte, dass auch abwesende Abgeordnete abstimmen können, müssen Senatoren für eine Stimmabgabe physisch anwesend sein.

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Mit Barrett, die wie alle Richter auf Lebenszeit gewählt würde, bekämen die Konservativen eine dominierende Mehrheit im Obersten Gericht – eine Sicherheitsgarantie für den Fall, dass Trump die Wahl verliert und die Demokraten möglicherweise nach November neben dem Repräsentantenhaus auch die Mehrheit im Senat stellen.

Der Supreme Court verhandelt immer wieder über gesellschaftspolitisch enorm relevante Fragen, etwa bei den Themen Einwanderung, Gesundheitsversorgung oder dem Recht auf Abtreibung. Die Demokraten warnen unter anderem, dass Barrett vermutlich für die Abschaffung der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama stimmen würde. Auch ist durch einen Bericht des „Guardian“ bekannt geworden, dass Garrett zumindest im Jahr 2006 öffentlich eine Gruppe unterstützte, die extreme Anti-Abtreibungspositionen vertritt.

Die Gruppe „St Joseph County Right to Life“ aus South Bend im Bundesstaat Indiana argumentiert, Leben beginne bereits mit der Befruchtung und nicht erst mit der Einnistung des Embryos oder der Lebensfähigkeit des Fötus. Außerdem nehmen die Aktivisten den Standpunkt ein, dass Ärzte, die Abtreibungen durchführen, strafrechtlich belangt werden sollten, und auch das Entsorgen von eingefrorenen oder nicht verwendeten Embryos, die für eine In-Vitro-Fertilisation entstehen, unter Strafe stehen sollte. Barrett hatte damals eine von der Gruppe geschaltete Anzeige unterschrieben.

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