Europäische Agrarreform: Die Ungunst der Stunde
Der Ukrainekrieg sollte Brüssel nicht dazu verleiten, den Green Deal in der Landwirtschaft auszusetzen. Ein Kommentar.
Lass keine Krise ungenutzt verstreichen! Beherzt hat die Bundesregierung seit Beginn des Ukrainekrieges nach diesem Motto gehandelt. Der Abschied vom russischen Gas und der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien sind auf den Weg gebracht.
Anders läuft es in der Landwirtschaft. Durch fehlende Exporte von Getreide, Raps- und Sonnenblumenöl gibt es heftige Preissteigerungen wie beim Sprit. Statt darauf mit nachhaltigen Strategien zu reagieren, fordern Interessenvertreter mehr vom Alten: Die EU möge Teile des europäischen Green Deal aussetzen, um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern.
Die geplanten Stilllegungen von vier Prozent der Ackerfläche sollen um zwei Jahre verschoben werden, sagte der Vorsitzende des Agrarausschusses im Europaparlament, Norbert Lins (CDU).
Doch diese Flächen sind nicht einfach nur Brachen. Es sind auch Hecken, Sölle, Feldränder und Uferstreifen dabei – Hotspots der Artenvielfalt. Der Anteil von vier Prozent war bei den Verhandlungen um die Agrarpolitik der EU heiß umkämpft. Eigentlich müsste es noch viel mehr Schutzflächen geben. Wenn sie nun dem Anbau von Getreide dienen sollen, wird die Ernährungskrise gegen die Biodiversitätskrise ausgespielt.
Ökologische Vorrangflächen
Auch die sogenannten ökologischen Vorrangflächen sollen angeknabbert werden. Normalerweise dürfen Bauern die dort angebauten Hülsenfrüchte nicht ernten, sondern müssen sie unterpflügen, um den Boden zu verbessern. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski will diese Vorschrift kommende Woche aussetzen, wurde vorab aus einem Notfallplan bekannt.
Der Bauernverband fordert nun, wenigstens einmal ein Unkrautbekämpfungsmittel auf den Vorrangflächen spritzen zu dürfen, um bessere Erträge zu erzielen. Das ist genau die Logik eines Agrarsystems, das zu einer geringeren Artenvielfalt beigetragen hat.
Die Landwirte selbst sind aber auch nicht zu beneiden. Nicht nur Diesel, auch Dünger ist teurer geworden, hier besteht ebenso eine große Abhängigkeit von Russland. Nun will Wojciechowski wohl mit Subventionen helfen. Insgesamt aber ist eine Transformation des Ernährungssystems nötiger denn je. Das ist keine Luxusdebatte, weil der Schutz von Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt die Produktionsgrundlagen für die Zukunft sichert.
Außerdem ist Europa von den Preissteigerungen gar nicht so schwer betroffen. Die Ausgaben der privaten Haushalte für Lebensmittel machen bei uns nur 10 bis 20 Prozent des Einkommens aus. Und wir essen viele stark verarbeitete Nahrungsmittel, an deren Wert die Rohstoffe nur einen kleinen Anteil ausmachen. Hinzu kommen aber Preissteigerungen für Strom und Brennstoffe, so dass es für Menschen mit geringem Einkommen eng wird. Hier wäre eine Erhöhung der Hartz 4-Sätze die bessere Reaktion als ein Aufweichen von ökologischen Standards.
Abhängig von Importen
Hungern werden arme Menschen in Ländern, deren Ernährungssicherheit stark von Importen abhängt. Grund sind gar nicht so sehr die geringeren Lieferungen aus der Ukraine oder Russland, sondern die damit zusammenhängende globale Preisentwicklung. Besonders Ostafrika steht vor einer humanitären Katastrophe.
Äthiopien, Kenia und Somalia werden von einer anhaltenden Dürre heimgesucht, während der Südsudan schon wieder unter schweren Überschwemmungen leidet. Auch hier braucht es Geld zur Unterstützung, diesmal für das unterfinanzierte World Food Programme der Vereinten Nationen.
Grundsätzlich gibt es jedenfalls genug zu essen für alle. Die Produktion wird nur falsch genutzt. In Deutschland geht mehr als die Hälfte des Getreides in die Tierfütterung. In den USA wird knapp die Hälfte der Maisernte zu Ethanol verarbeitet und landet im Tank statt auf dem Teller.
Nutzung von Brachen
Viel mehr Fläche für die Lebensmittelproduktion als durch die Nutzung von Brachen könnte auch in Deutschland geschaffen werden, wenn man die Produktion von Agrokraftstoffen für eine Weile aussetzen würde. Für den Klimaschutz ist der Biosprit ohnehin nicht so nützlich, wie man lange Zeit dachte.
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Langfristig wäre eine geringere Verschwendung von Lebensmitteln und eine gesündere Ernährung mit weniger Fleisch die Antwort. Das heißt nicht, dass 2035 alle Deutschen Veganer sein müssen, so, wie im gleichen Jahr 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen soll. Jede Regierung, die das anstreben würde, wäre wohl im Nu hinweggefegt.
Eine geduldige Aufklärungsarbeit dürfte aber auf ein gewisses Wohlwollen stoßen. Schließlich braucht es auch in der Ökolandwirtschaft Tiere, die Dünger produzieren. Eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten mit Augenmaß wäre da eine gute Sache und könnte auf Dauer zur Ernährungssicherheit auf der Welt beitragen. Diese Chance sollte die Politik jetzt ergreifen.
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