zum Hauptinhalt
Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny, hier kurz nach seiner Entlassung aus der Charité im September.
© dpa

Neue Erkenntnisse im Fall Nawalny: Die Spur führt zu Moskaus Geheimdienst

Hinter dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny soll der FSB stehen – dessen Agenten verfolgten ihn offenbar über Jahre.

Alexej Nawalny konnte an diesem Montag eine besondere Neuigkeit in eigener Sache verkünden: „Ich weiß, wer mich töten wollte“, schreibt der russische Oppositionsführer in seinem Blog. Nawalny war im August auf einem russischen Inlandsflug zusammengebrochen und ins Koma gefallen, nachdem er mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden war. Der Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin war zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen worden. Die Bundesregierung verlangte vergeblich Aufklärung von Russland.

Nun nimmt der Nawalny-Krimi eine neue Wendung: Nach umfangreichen Recherchen kommen mehrere Medien zu dem Schluss, dass Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB den Anschlag auf Russlands bekanntesten Oppositionellen verübt haben. Es gebe „kaum vernünftige Zweifel an der Identifizierung“ der Männer, die Nawalny mit einem chemischen Kampfstoff vergifteten, berichtete der „Spiegel“, der am Montag gemeinsam mit der Plattform Bellingcat, dem russischen Onlinemedium „The Insider“ und dem US-Sender CNN umfangreiche Recherchen vorlegte.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Schon kurz nach der Tat war der russische Staat in Verdacht geraten, hinter dem Anschlag zu stehen. Dafür sprach vor allem die Wahl des Gifts. Nowitschok wurde in der Sowjetunion entwickelt, der Einsatz dieses verbotenen Kampfstoffes wäre ohne Beteiligung staatlicher Stellen kaum vorstellbar. Auch die anfängliche Weigerung der Ärzte in der russischen Stadt Omsk, Nawalny zur Behandlung nach Deutschland reisen zu lassen, sowie deren Diagnose, die im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Berliner Charité stand, ließen auf staatliche Einflussnahme schließen.

Dass die Spur zum FSB führt, davon waren wohl bereits westliche Geheimdienste ausgegangen. Denn als die EU im Oktober Sanktionen wegen des Anschlags auf Nawalny verhängte, setzte sie auch den FSB-Chef Alexander Bortnikow auf die Liste. In Russland wurde bis heute kein offizielles Ermittlungsverfahren im Fall Nawalny eröffnet.

Agenten begleiteten Nawalny auf mehr als 30 Reisen

Den nun vorgelegten Recherchen zufolge sollen acht FSB-Agenten Nawalny über Jahre verfolgt haben. Sie werden von den an der Recherche beteiligten Medien sogar namentlich genannt. Dafür wurden Mobilfunkverbindungen und GPS-Daten ebenso ausgewertet wie die Passagierlisten russischer Inlandsflüge. Auf mehr als 30 Reisen innerhalb Russlands wurde Nawalny demnach heimlich von FSB-Agenten begleitet, die einen medizinischen Hintergrund oder sogar Erfahrung mit chemischen Kampfstoffen haben.

Im Januar 2017 tauchten die Verfolger das erste Mal auf. Vier Wochen zuvor hatte Nawalny angekündigt, bei der Präsidentenwahl 2018 gegen Wladimir Putin antreten zu wollen. Wie erst jetzt bekannt wurde, gab es möglicherweise in diesem und im vergangenen Jahr zwei weitere Anschlagsversuche auf Nawalny. Bisher hatte er darüber öffentlich nicht gesprochen.

Bellingcat untersuchte auch andere spektakuläre Fälle

Bellingcat hat sich in der Vergangenheit mit ungewöhnlich detailreichen Untersuchungen einen Namen gemacht. Rechercheure der privaten Organisation hatten 2014 nach dem Abschuss von MH17 über der Ostukraine die Spur der offenbar benutzten Buk-Rakete bis in die russische Stadt Kursk zurückverfolgt. Nach dem Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia 2018 in Großbritannien deckten Bellingcat-Mitarbeiter die Identität der mutmaßlichen Täter auf, die dem russischen Militärgeheimdienst angehörten. Auch bei dieser Tat war Nowitschok zum Einsatz gekommen.

Bellingcat-Recherchen trugen schließlich entscheidend zur Aufklärung im Fall des im 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin ermordeten Georgiers Selimchan Changoschwili bei. Die Rechercheure griffen bei diesen Ermittlungen bereits auf russische Datenbanken zurück, die öffentlich nicht zugänglich sind, beispielsweise Passdaten.

Im Fall Nawalny bleibt auch nach den neuen Enthüllungen eine Frage offen. Unklar ist noch immer, wann und wie dem russischen Oppositionellen das Gift verabreicht wurde.

Zur Startseite