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Luftaufnahme von dem durch einen Brandanschlag zerstörten Asylbewerberheim in Tröglitz.
© Hendrik Schmidt/dpa

Nach dem Brandanschlag in Tröglitz: Die Spur des Fremdenhasses durch Deutschland

Der Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft im sachsen-anhaltischen Tröglitz ist kein Einzelfall – Angriffe auf solche Einrichtungen haben in erschreckendem Maß zugenommen. Was steckt dahinter?

„Tröglitz ist überall“ – sagt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). „Tröglitz ist kein Einzelfall, sondern die Spitze eines gewaltigen Eisberges“ – der Satz stammt von der Grünen- Politikerin Monika Lazar. Nach dem Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft im sachsen-anhaltischen Tröglitz sind Politik und Zivilgesellschaft alarmiert. Es geht die Sorge um, dass Fremdenfeindlichkeit tiefer in der Bevölkerung verwurzelt ist als bislang angenommen.

Ist generell ein Anstieg auf Ausländereinrichtungen zu verzeichnen?

Die Zahl der Fälle von Kriminalität gegen Asylunterkünfte hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Das Bundeskriminalamt (BKA) zählte im vergangenen Jahr 162 Straftaten, davon 22 Gewaltdelikte. In den anderen Fällen handelt es sich laut BKA meist um rechtsextreme Propaganda und Sachbeschädigungen. Im Jahr 2014 wurden somit weit mehr Straftaten gegen Ausländerheime verübt als in den Jahren zuvor: Für das Jahr 2012 weist das BKA 24 Straftaten aus, im Jahr 2013 waren es 58 Straftaten.

Wie verbreitet sind Taten mit ausländerfeindlichem Hintergrund?

Nach der Auflistung auf der Website von „Mut gegen rechte Gewalt“, ein Portal „gegen Neonazis“, das die Zeitschrift „Stern“ gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung betreibt, gab es im Verlauf des vergangenen halben Jahres etwa 120 Vorkommnisse quer durch Deutschland, die man als ausländerfeindliche Taten bezeichnen kann und die zudem meist einen mutmaßlich rechtsextremen Hintergrund hatten. Darunter fallen Anschläge auf Asylantenunterkünfte oder Flüchtlingsheime, auch auf Gebäude, die als solche vorgesehen waren wie jetzt in Tröglitz. Aber auch direkte körperliche Angriffe auf Ausländer oder Drohungen gegen sie gehören dazu.

Brandanschläge sind eher selten, in diesem Jahr waren es bisher drei. In Sachsen gab es 28 Vorfälle, in Bayern und Berlin je 20. Für Rheinland-Pfalz, das Saarland und Bremen sind keine Vorkommnisse aufgelistet.

Auch in Brandenburg verzeichnet das Innenministerium einen Anstieg bei der Zahl der Straftaten gegen Asylunterkünfte und Asylbewerber. So wurden im vergangenen Jahr 14 politisch rechtsmotivierte Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert – sieben Sachbeschädigungen, drei Körperverletzungen, zwei Volksverhetzungen, ein Hausfriedensbruch und eine Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten.

Welche Regionen sind besonders von Fremdenfeindlichkeit betroffen?

Es gibt erhebliche regionale Unterschiede. Am stärksten ist die Ablehnung von Fremden nach einer neuen Studie von Sozialforschern der Universität Leipzig in Sachsen-Anhalt, am geringsten ist sie in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Während im „Land der Frühaufsteher“ (so ein Landeswerbungsslogan der sachsen-anhaltischen Regierung) 42 Prozent der Bevölkerung ausländerfeindlichen Thesen zustimmen, ist das im Südwesten nur bei etwa jedem siebten Befragten der Fall. Höhere Raten der Zustimmung zu fremdenfeindlichen Äußerungen gibt es auch in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern (je 33 Prozent), in Thüringen (31 Prozent) und in Brandenburg (30 Prozent). Etwa im Bundesschnitt (gut 24 Prozent) liegen Sachsen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen, etwas unterdurchschnittlich sind die Zahlen für Berlin (22 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (20 Prozent).

Der Psychologe und Soziologe Elmar Brähler, einer der Autoren der Studie, führt den hohen Wert für Sachsen-Anhalt vor allem auf die strukturellen Bedingungen des Landes zurück. Sachsen-Anhalt sei ökonomisch schwach und erlebe eine relativ hohe Abwanderung vor allem von jüngeren Frauen. Mehr als anderswo habe sich in der Region nach dem Ende der DDR ein „Gefühl des Zukurzgekommenseins“ etabliert. Da es hier wie im gesamten Osten nur wenige Ausländer gebe, gerieten diese schnell in die Rolle von „Sündenböcken“.

Neben Sachsen-Anhalt gibt es besonders in Bayern Ausländerfeindlichkeit. Warum?

Bayern hat mit 9,5 Prozent einen relativ großen Ausländeranteil, in etwa so hoch also wie in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, wenn auch mehr in den Großstädten als auf dem Land. Der zweithöchste Wert bei der Zustimmung zu ausländerfeindlichen Sprüchen fällt daher besonders auf, denn oft wird gesagt, dass Fremdenfeindlichkeit zurückgehe, je mehr Kontakt zu Ausländern oder Zuwanderern in einer Region bestehe. Dies bestätigt sich in Bayern nicht, und ein Grund dafür könnte darin liegen, dass die Zustimmung zu nationalen Thesen - dass Deutschland sich Macht und Geltung verschaffen, dass es seine Interessen gegenüber dem Ausland mit Härte vertreten müsse - in Bayern relativ hoch ist. Jeder vierte Befragte in Bayern stimmte solchen Sätzen zu, mit der höchste Wert, während es in Sachsen nur etwa zehn Prozent sind.

Das Leipziger Forscherteam um Brähler misst seit 2002 rechtsextreme Einstellungen. Diese sind insgesamt in dieser Zeit deutlich zurückgegangen: Konnte man vor dreizehn Jahren noch bei knapp zehn Prozent der Befragten eine zumindest latente Zustimmung zu rechtsextremem Gedankengut feststellen, waren 2014 nur noch 5,6 Prozent dafür offen. Allerdings ist nach der so genannten „Mitte-Studie“ der Leipziger Forscher noch immer jeder fünfte Deutsche ausländerfeindlich eingestellt, jeder siebte stimmt nationalen oder chauvinistischen Aussagen zu, fünf Prozent lassen sich als antisemitisch einstufen. Insgesamt sind diese Einstellungen in Ostdeutschland häufiger festzustellen als im Westen. Die stärkste Ablehnung erfahren Asylsuchende, Sinti und Roma sowie Muslime.

Wie geht es in Tröglitz nun weiter?

„Übergangslösung“ nennt es Susanna Nierth, die Ehefrau des zurückgetretenen Ortsbürgermeisters von Tröglitz. 40 Flüchtlinge sollen in das Dorf im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis kommen, allerdings später als geplant. Bis Juni wird sich in Wohnungen, die von Einwohnern zur Verfügung gestellt wurden, Platz für etwa zehn Asylbewerber finden lassen. „Vielleicht ist das auch ganz gut so“, sagt sie. Denn noch befinde sich Tröglitz in einer „Schockstarre“. Familie Nierth selbst hat eine Wohnung angeboten, die für maximal acht Leute Platz bieten könnte – noch prüfen die Behörden, ob sie geeignet ist. Die Verunsicherung sei nach wie vor groß, sagt Susanna Nierth. Vielen Leuten im Ort sei die Entwicklung unheimlich – schon nach dem Rücktritt ihres Mannes vom Amt des Ortsbürgermeisters Anfang März, erst recht nach dem Brandanschlag am Osterwochenende. Sie seien „eingeschüchtert“. Viele Einwohner begrüßten, dass das für die Flüchtlinge vorgesehene Haus, dessen Dachstuhl vollständig abgebrannt ist, wieder hergestellt wird. „Es wäre ein fatales Signal gewesen, wenn das nicht geschehen wäre.“ Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), will sich bei einer Pressekonferenz in Magdeburg nicht festlegen – weder sei klar, wann die 40 Flüchtlinge nach Tröglitz kommen könnten noch aus welchen Herkunftsländern sie kommen. Ulrich gibt zu, dass sich Flüchtlinge in Tröglitz angesichts der bisherigen Geschehnisse durchaus bedroht fühlen könnten. Er hofft, dass engagierte Bürger dem entgegenwirken.

Zur Ergreifung der Täter des Brandanschlags auf die geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz wurde inzwischen vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt eine Belohnung von 20 000 Euro ausgelobt.

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