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Trümmerteile des Passagierflugzeugs, das am 17.Juli 2014 über der Ostukraine abgeschossen wurde.
© dpa

Abschuss von MH17 über der Ukraine: Die Spur der Raketen

Nach dem Abschuss von Flug MH17 über der Ostukraine machen sich Rechercheure auf die Suche nach möglichen Tätern - mit Hilfe von Fotos in sozialen Netzwerken.

Die Fotos der jungen Soldaten waren wohl als Erinnerungen gedacht, stolz wurden sie in sozialen Netzwerken veröffentlicht. Sie zeigen Männer in russischen Uniformen mit einer Kalaschnikow in der Hand oder vor Militärfahrzeugen. Der russische Soldat Vitaly beispielsweise postete auf VKontakte, dem russischen Pendant zu Facebook, am 24. Juni 2014 ein Foto, das ihn auf einem Armeelastwagen zeigt. „Ich gehe nach Rostow“, schrieb er dazu. Außerdem veröffentlichte er ein Foto eines Militärkonvois, in dem auch ein Flugabwehrraketensystem vom Typ Buk zu sehen war. Damals konnte der Soldat nicht ahnen, dass seine Bilder später als mögliche Beweisstücke gelten würden. Denn drei Wochen nach Aufnahme der Fotos wurde über der Ostukraine das Passagierflugzeug MH17 abgeschossen. Alle 283 Menschen an Bord starben. Das Recherchenetzwerk „Bellingcat“ untersucht in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht die mögliche Beteiligung russischer Soldaten an dem Kriegsverbrechen.

Eine internationale Untersuchungskommission kam bereits zu dem Schluss, dass die Boeing 777 mit einer Boden-Luft-Rakete vom Typ Buk abgeschossen worden war. Das Team von „Bellingcat“ um den britischen Blogger Eliot Higgins hat bereits in früheren Berichten mithilfe öffentlich zugänglicher Quellen versucht, den Weg der Buk-Einheit nachzuzeichnen. „Bellingcat“ kam zu dem Schluss, dass der mutmaßliche Absturzort in der Nähe des Dorfes Snischne liegen müsse. Ein Reporter des Recherchebüros Correctiv überprüfte die Angaben vor Ort und konnte dies nach Gesprächen mit Augenzeugen bestätigen. Das Gebiet war im Juli 2014 unter Kontrolle der von Russland direkt mit Kämpfern und Waffen unterstützten Separatisten. Journalisten der Nachrichtenagentur AP hatten zudem am Morgen des 17.Juli 2014 eine Buk-Einheit in Snischne gesehen. Die Männer in dem Konvoi hätten Uniformen ohne Hoheitszeichen getragen, die sich von der Tarnkleidung der Separatisten unterschied. Die BBC zitierte einen Augenzeugen später mit den Worten, die Männer hätten Russisch nicht so gesprochen wie in der Ostukraine üblich, sondern mit „Moskauer Akzent“.

Soldaten löschen Bilder später aus sozialen Netzwerken

Das Team von „Bellingcat“ verfolgte auf der Grundlage von Fotos und Videos den Weg der Buk-Einheit zurück bis ins russische Kursk, zur 53. Russischen Luftabwehrbrigade. Mit dieser Einheit befasst sich der neue „Bellingcat“-Bericht ausführlich. Akribisch werten die Rechercheure, die weitgehend ehrenamtlich arbeiten, Fotos aus, die russische Soldaten in sozialen Netzwerken gepostet haben. Ein Soldat veröffentlichte sogar eine Anwesenheitsliste mit Namen seiner Kameraden. Aus solchen Bruchstücken versuchen die Rechercheure ein Bild zusammenzustellen. Während sich Soldaten des dritten Bataillons im Sommer 2014 offenbar nur am Standort Kursk aufhielten, begleitet das zweite Bataillon den Recherchen zufolge im Juni 2014 einen Konvoi mit Buk-Raketen nach Rostow, in die Region an der Grenze zur Ukraine. Von dort, so die These des Teams, sei der Konvoi weiter in die Ostukraine gefahren.

Vitaly zumindest löscht das Foto des Konvois mit der Buk-Einheit, nachdem es „Bellingcat“ in einem früheren MH17-Bericht veröffentlicht hat. Er entfernt auch andere Bilder und ändert sogar seinen Namen in dem sozialen Netzwerk. Ein anderer Russe löscht eilig sein gesamtes Profil, nachdem eines seiner Bilder in den Medien veröffentlicht wurde. Das Foto zeigt, wie sein Sohn mit Uniform und Kalaschnikow posiert, darunter steht nur „2014-Grenze“. Im Oktober 2014 berichtet ein Angehöriger der Brigade auf Twitter, er sei „drei Monate an der Grenze zur Ukraine“ gewesen. Auf die Nachfrage, wie es dort sei, antwortet er, dort sei es schrecklich, „sie schießen“. Mehr werde er nicht sagen, dazu habe er nicht das Recht. Klar ist, dass es auf russischem Boden keine Kämpfe gab.

Beweise für direkte Beteiligung gibt es aber nicht

In dem Bericht werden die Nachnamen der Soldaten abgekürzt und Gesichter verpixelt. Denn letztlich kann „Bellingcat“ nicht beweisen, dass die Männer auf den Fotos etwas mit dem Abschuss des Passagierflugzeugs zu tun haben. Das geben die Autoren auch offen zu: „Es sollte angemerkt werden, dass es keinen direkten Beweis dafür gibt, dass einer dieser Soldaten am Abschuss von MH17 beteiligt ist.“ Aber zumindest einige dieser Soldaten wüssten möglicherweise, wer die betreffende Buk-Einheit bediente. Deswegen hat „Bellingcat“ den Bericht mit vollständigen Namen an die holländischen Staatsanwälte übergeben, die derzeit eine strafrechtliche Untersuchung leiten. Ein Ergebnis wird im Laufe des Jahres erwartet.

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