Koalitionsfrage in Niedersachsen: Die SPD wünscht sich die Ampel - das wird schwer
Die FDP in Niedersachsen will keine Ampel, die Grünen kein Jamaika. Die CDU von Bernd Althusmann gibt sich dagegen staatstragend. Kommt in Hannover die große Koalition?
Gleich zwei Mal löst Niedersachsens FDP-Generalsekretär Gero Hocker großes Gelächter aus. „Wir lehnen eine Ampel ab – zu 100 Prozent“, bekräftigt der Parteimanager am Morgen nach dem niedersächsischen Wahlkrimi das kategorische ,Nein' der Liberalen zu einem Bündnis mit SPD und Grünen. Mit den Grünen gebe es viel zu viele Differenzen: Autobahnen, Windenergie, Förderschulen, Wölfe. Nur wenige Sekunden später erklärt Hocker der staunenden Presse, dass die FDP für Jamaika mit CDU und eben jenen Grünen aber offen sei. „Man darf sich durch Ausschließeritis nicht allem verweigern.“
Gefragt, ob die sture Absage an die Ampel das Land womöglich in eine große Koalition steuere, sorgt der FDP-General kurz darauf für den nächsten Heiterkeitsausbruch. „Am Ende hat der Wähler einen Anspruch darauf, dass das Land gut regiert wird.“ Schnell schiebt Hocker nach, dass eine Ampel keine gute Regierung sei, weil sie kaum fünf Jahre überstehen werde.
Der strahlende Wahlsieger muss sich da in seinen düsteren Vorahnungen bestätigt fühlen. „Die Regierungsbildung wird möglicherweise nicht so ganz einfach werden“, hatte SPD-Ministerpräsident Stephan Weil bereits nach den ersten Hochrechnungen in der ihm eigenen Art nüchtern prophezeit. Das um Mitternacht verkündete vorläufige amtliche Endergebnis bestätigt dies: Ein Fortsetzung von Rot-Grün ist wegen der starken Verluste der Grünen unmöglich, zwei Mandate fehlen zur Mehrheit. Die SPD kommt im Landtag auf 55 Sitze, die CDU auf 50, die Grünen auf zwölf, die FDP auf elf und die erstmals im Leineschloss vertretene AfD auf neun.
Erste Priorität hat für die SPD die Ampel
Damit blieben neben einer großen Koalition von SPD und CDU nur Ampel oder Jamaika. Man werde den Regierungsauftrag annehmen und mit allen demokratischen Parteien sprechen, betont SPD-Chef Weil am Montag. Sein Generalsekretär Detlef Tanke kündigt Zeitpläne noch für diese Woche an. Erste Priorität für die Genossen, daran lässt Tanke keinen Zweifel, habe die Ampel. Die FDP habe ja nur einer Fortsetzung von Rot-Grün eine Abfuhr erteilt. Wenn wichtige Vorstellungen der Liberalen umgesetzt würden, könne ja von Rot-Grün keine Rede mehr sein, meint Tanke und verweist auf die Bildungspolitik. Damit biete man der FDP freilich noch nicht das Kultusministerium an, fügt der General fix an.
Eine große Koalition dagegen stärke die Ränder und wäre schädlich für die Demokratie. „Die GroKo kann nur Ausnahme sein. Und eine Ausnahmesituation sehe ich für Niedersachsen nicht“, meint Tanke. Keinen Hehl macht er daraus, dass das Verhältnis zur CDU auch nach dem Ende des Wahlkampfs stark belastet sei – nicht zuletzt wegen der „Intrige im August“. Damals war die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU übergelaufen, hatte dadurch die rot-grüne Mehrheit gekippt und so die um drei Monate vorgezogenen Neuwahlen ausgelöst.
Den Twesten-Wechsel will CDU-Generalsekretär Ulf Thiele weder als Grund für den Absturz der Union um 3,7 Prozentpunkte noch als Hindernis für eine große Koalition verstanden wissen. Er wiederholt das Angebot von Spitzenkandidat Bernd Althusmann vom Vorabend, dass die CDU zu ihrer Verantwortung für das Land stehe. Niedersachsen brauche eine „stabile Regierung“. Und man stecke „in der Situation, dass die CDU maßgeblich an der nächsten Landesregierung beteiligt ist“, erklärt Thiele selbstbewusst. Ob große Koalition oder Jamaika, das lässt er offen. Menschliche wie politische Hürden sieht der General trotz der harten Bandagen im Wahlkampf nicht. „Wir sind durchaus in der Lage, mit den allermeisten der Akteure ordentliche Gespräche zu führen“, sagt Thiele und schließt dabei ausdrücklich die „allermeisten Grünen“ ein.
Die Grünen wollen kein Jamaika in Hannover
Deren Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz möchte sich auf dieses karibische Werben freilich nicht einlassen. „Der Ball liegt im Feld des Ministerpräsidenten. Die SPD hat den Regierungsauftrag“, wimmelt die Abgeordnete alle Fragen nach Jamaika ab. Vielmehr müssten die Liberalen ihr Nein zu Ampel überdenken, schließlich gebe es doch „jede Menge Schnittmengen“ zwischen Grünen und FDP, behauptet Janssen-Kucz und nennt Inklusion, Bildungsgerechtigkeit und Bürgerrechte. Dass die Grünen als Friedensangebot ihren bei Schwarz-Gelb höchst unbeliebten Agrarminister Christian Meyer opfern könnten, hält die Parteichefin für abwegig. Meyer selbst schaltet sich ebenfalls ein: „Die FDP sollte ihre Blockadehaltung überdenken.“ Eine Ampel sei schließlich eine „Koalition der progressiven Kräfte“.
Die Liberalen lassen sich freilich nicht erbarmen. „Ich bin schon erstaunt, wie man sich an uns heran wanzt“, ätzt Hocker. FDP-Landeschef Stefan Birkner und der gesamte Landesvorstand hätten sich vor der Wahl eindeutig gegen die Ampel ausgesprochen, weil man nicht „Steigbügelhalter“ von Rot-Grün sein wolle. „Das gilt nach der Wahl immer noch.“ Gleichwohl werde man einer Einladung von Ministerpräsident Weil zu Gesprächen beim Kaffee aus Höflichkeit folgen. Lange würden diese aber sicherlich nicht dauern. „Einen Espresso trinken Sie ja schnell aus.“ Dass hinter den Kulissen FDP-Bundeschef Christian Lindner kräftig in Niedersachsen mitmische, um Störmanöver gegen seine eigenen Jamaika-Sondierungen in Berlin zu verhindern, streitet Hocker ab. Zwar spreche man sich ab. „Aber bundespolitische Überlegungen spielen bei uns keine Rolle.“
Die AfD beschäftigt sich vor allem mit sich selbst
Die Landtagsneulinge von der AfD beschäftigten sich derweil vor allem mit sich selbst. Mit 6,2 Prozent und Platz fünf sind die Rechtspopulisten in Niedersachsen weit hinter dem Bundestagsergebnis und den eigenen Erwartungen zurückgeblieben. „Die Zahlen hätten ein bisschen besser sein können“, gibt ein etwas verkniffen wirkender Landeschef Paul Hampel zu. „Wir müssen uns im Nachhinein bei unseren Wählern für die Abgänge in unserer Bundestagsfraktion entschuldigen“, meint Hampel mit Blick auf Frauke Petry. Eigene Fehler in Niedersachsen mag der frühere Fernsehkorrespondent dagegen nicht erkennen. Einen Anlass für einen Rücktritt vom Landesvorsitz sieht er erst recht nicht. Hampel hatte bei der Listenaufstellung vergeblich versucht, seine Kritikerin Dana Guth als niedersächsische Spitzenkandidatin zu verhindern.
Noch am Wahlabend hatten Hampels Vorstandskollegen in einem Brandbrief einen personellen Neunanfang und einen Sonderparteitag gefordert. Sie werfen darin dem Landeschef einen diktatorischen „Alleinführungsanspruch“ vor: „Gleichzeitig stand gravierenden Fehlern, Versäumnissen und Eigenmächtigkeiten eine sehr geringe Bereitschaft zur Selbstreflexion gegenüber.“ Hampel wischt die Vorgänge als Geburtswehen einer jungen Partei beiseite; mit seinen Kritikern wolle er nicht länger zusammenarbeiten. „So masochistisch kann ich gar nicht sein, dass ich die, die versuchen, mir das politische Leben schwerzumachen, jetzt noch als meine Partner anerkenne.“