CDU-Fraktionschef Volker Kauder: "Die SPD macht Rot-Rot-Grün, wenn es möglich ist"
Vor der Bundestagswahl zieht Kauder eine Bilanz der Koalition mit der SPD. Er wirft dem Partner Vertrauensbruch vor - und fordert zwei Flughäfen für Berlin.
- Robert Birnbaum
- Antje Sirleschtov
Die sogenannte „Ehe für alle“ hat der Bundestag gegen Ihre Stimme beschlossen, Herr Kauder. Sowohl in Bayern als auch in Ihrer Fraktion gibt es Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes. Warum klagen Sie nicht?
Die bayerische Staatsregierung prüft die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Das Ergebnis dieser Prüfung werde ich abwarten und rate auch allen anderen dazu, die über eine Klage nachdenken.
Sie könnten als Bundestagsfraktion auch ohne Bayern aktiv werden …
158 Abgeordnete könnten diese Klärung in Karlsruhe herbeiführen. Man darf jedoch nicht aus dem Blick verlieren, dass unsere Abgeordneten hier frei nach ihrem Gewissen entschieden haben. Wenn, dann könnte deshalb nur eine entsprechende Gruppe von Abgeordneten klagen. Die Gegner und die Befürworter unter uns haben sich aber gegenseitig Respekt zugesichert. Zur rechtlichen Verunsicherung in dieser Frage hat kein Geringerer als der Bundesjustizminister beigetragen. 2015 hat das Justizministerium noch erklärt, die „Ehe für alle“ sei ohne Verfassungsänderung nicht zu machen. Wenige Tage vor der Befassung des Bundestages hat Minister Maas das Gegenteil gesagt, und unmittelbar vor der Abstimmung äußerte er wiederum im Fernsehen die Ansicht, eine Änderung des Grundgesetzes wäre „schöner“, um so rechtliche Unsicherheiten auszuräumen. Was soll ich von einem solchen Hin und Her des Justizministers halten? Bei mir drängt sich der Eindruck auf, dass mit diesem Gesetz verfassungsrechtliche Kompetenz politischer Opportunität geopfert wurde.
Hat es Sie überrascht, dass die Kanzlerin die Entscheidung zur Gewissensfrage erklärt hat?
Nein, es gab schon länger Überlegungen, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare als Gewissensfrage behandelt werden sollte. Die Bundeskanzlerin hat aber Wert darauf gelegt, die Frage aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Sie und ich fanden es wichtig, dass wir uns genügend Zeit nehmen, ein Thema von solch gesellschaftlicher Tragweite ausreichend zu diskutieren. Das hätten wir dann in der nächsten Legislaturperiode in einem geordneten Verfahren gemacht. Nun hat die SPD die Situation genutzt, um die Abstimmung über das Gesetz in ungebührender Eile voranzutreiben. Um eine Gewissensfrage scheint es weder der SPD noch der Opposition wirklich gegangen zu sein. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ausschließlich in unserer Fraktion Abgeordnete aus Gewissensgründen mit Nein gestimmt haben. Bei einer echten Gewissensentscheidung hätte es auch möglich sein müssen, wie sonst üblich fraktionsübergreifend Gruppenanträge zu stellen. Auch hier Fehlanzeige. So etwas habe ich in meinem politischen Leben noch nie erlebt.
War das ein parlamentarisches Schurkenstück der SPD?
Nein. Diese Wortwahl mache ich mir nicht zu eigen. Aber meine Schlussfolgerung aus diesem Vorgang ist eindeutig: Wenn es der SPD in den Kram passt, dann macht sie mit den Linken gemeinsame Sache. Jede Aussage aus der SPD, eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl käme für sie nicht infrage, ist seit gut einer Woche nicht mehr glaubwürdig. Das hat dieser Freitag gezeigt: Wenn Rot-Rot-Grün rechnerisch möglich ist, dann macht es die SPD.
Kann ein Konservativer nicht eigentlich froh sein, dass das Institut der Ehe über die Verbindung von Mann und Frau hinaus Strahlkraft hat und mit diesem Gesetz nun auch die Gräben der Vergangenheit zugeschüttet sind?
Für mich geht es hier nicht um eine konservative Haltung, sondern um meinen christlichen Glauben. Im christlichen Sinne ist die Ehe ein Bund zwischen Mann und Frau. Allein deshalb hätte ich einer Erweiterung des Ehebegriffs nicht zustimmen können. Und gerade weil es sich um eine Wertentscheidung handelt, hätte ich mir gewünscht, dass wir in der nächsten Legislaturperiode im Parlament offen über die unterschiedlichen Standpunkte gesprochen hätten, bevor wir gemäß unserem Gewissen abstimmen würden. Denn mit der SPD war in den Koalitionsgesprächen verabredet: nicht mehr in dieser Legislaturperiode.
War das ein Vertrauensbruch des Regierungspartners?
Ja, das war es.
Sie haben schon einige Koalitionen zu Ende gehen sehen, Herr Kauder. Ist das normal, dass Partner zum Schluss mit solch einem Knall auseinandergehen?
Das kann man so nicht sagen. Denn wir haben in den letzten Wochen trotz dieser Auseinandersetzung noch riesengroße Projekte abschließen können. Das waren zum Teil sehr schwierige und anspruchsvolle Gesetzgebungsverfahren – zum Beispiel die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen oder das Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet. Wir haben bis zum Schluss vernünftig gearbeitet, auch wenn natürlich der nahende Wahlkampf die Debatten nicht leichter gemacht hat. Insgesamt kann ich aber eine positive Bilanz der letzten Monate ziehen.
Das hört sich so an, als könnten Sie nach der Wahl wieder miteinander koalieren.
Wir gehen jetzt in den Wahlkampf hinein und unser Ziel als Union ist es, dass wir als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgehen und Angela Merkel Kanzlerin bleiben kann. Darüber hinaus wiederhole ich gern meine Überzeugung, nach der es für die Demokratie nicht gut ist, wenn große Koalitionen zum Standard werden und es keine starke Opposition gibt.
Das Wahlprogramm der Union lässt auf jeden Fall Raum für ganz verschiedene Koalitionen.
Wir sagen in unserem Regierungsprogramm, wie wir uns die Arbeit in den nächsten vier Jahren vorstellen. Darin enthalten sind ganz klare Aussagen zu den verschiedensten Themen, also zum Ziel der Vollbeschäftigung, zur Stärkung von Familien oder zur Förderung wirtschaftlicher Innovationen. Über dieses Programm werden wir jetzt mit den Menschen sprechen.
Wen will die Union nach der Wahl konkret steuerlich entlasten?
Unsere Botschaft im Regierungsprogramm ist klar: Wir entlasten die Steuerzahler bei der Einkommensteuer um 15 Milliarden Euro jährlich, und zwar mit einem Schwerpunkt bei den Arbeitnehmern mit unteren und mittleren Einkommen, bei Handwerk und Mittelstand. Dafür werden wir die Progression abmildern und den sogenannten Mittelstandsbauch in der Steuerkurve abbauen. Das nennt man Entlastung. Im Gegensatz dazu verringert die SPD die Steuerlast zwar unten ein wenig, dafür erhöht sie sie aber oben. Das nennt man Umverteilung. Außerdem sagen wir klar zu, dass wir die Familien unterstützen. So werden wir den steuerlichen Grundfreibetrag für Kinder stufenweise auf das Niveau von Erwachsenen anheben und das Kindergeld um 25 Euro pro Monat erhöhen. Familien erhalten zudem zehn Jahre lang 1200 Euro jährlich für jedes Kind, wenn sie Wohneigentum erwerben. Und zu guter Letzt werden wir den Solidaritätszuschlag in mehreren Schritten abbauen.
Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie die geplanten Änderungen nicht konkretisieren, weil am Ende gar keine Entlastung von 15 Milliarden Euro herauskommt. Warum legen Sie keine Steuer-Kurve vor und jeder kann sich ausrechnen, was für ihn rauskommt?
Das ist ganz klar eine Aufgabe für das Gesetzgebungsverfahren. Dort kümmern wir uns um die konkrete Ausgestaltung. Die Menschen können sich darauf verlassen, dass es zu einer Entlastung von 15 Milliarden Euro im Jahr kommen wird. Das Geld ist da.
Man muss mehr als 30000 Euro Einkommen pro Jahr haben, um Steuern zu zahlen. Diese kleinen Einkommensbezieher erreichen Sie mit einer Steuersenkung nicht. Hat die Union für Kleinstverdiener nichts übrig?
Wir haben Stabilität bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Jede Entlastung dort müsste über Steuern finanziert werden. Wir können das Geld aber nur einmal ausgeben. Deshalb haben wir uns gegen solche Verschiebungen entschieden. Außerdem erhalten die wenig verdienenden Familien gezielte Unterstützung durch die Anhebung des Kindergeldes – immerhin 300 Euro im Jahr pro Kind.
Warum verzichtet die Union darauf ein Rentenkonzept zu erarbeiten, obgleich Handlungsbedarf schon jetzt erkennbar ist?
Wir haben in der letzten großen Koalition ein gemeinsames Rentenkonzept mit der SPD verabschiedet – es fußte übrigens auf den Plänen von Franz Müntefering. Bis 2030 haben wir das Rentensystem auf diese Weise zukunftsfest gemacht, wie man an den jüngsten Rentenerhöhungen auch sieht. Nun meint die SPD dennoch, sie müsste sich von diesem Konzept Münteferings verabschieden. Das ist deren Entscheidung, hat aber offensichtlich Wahlkampfgründe. Und das kostet: Steuer- und Beitragszahler werden zur Kasse gebeten werden. Dass wir ganz untätig bleiben wollen, stimmt außerdem nicht. So streben wir noch Verbesserungen für die Erwerbsunfähigen an, schließlich steigt ja die Lebensarbeitszeit infolge der bereits beschlossenen Einführung der Rente mit 67. Außerdem werden wir eine Kommission einsetzen, die Vorschläge für die Weiterentwicklung des Rentensystems nach 2030 machen wird. Von der SPD kenne ich keinen einzigen Vorschlag für die Zeit danach.
In Ihrem Wahlprogramm bekennen Sie sich dazu, die Sicherheitsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent der Wirtschaftskraft zu erhöhen. Braucht das Land zusätzlich 70 Milliarden Euro pro Jahr mehr Verteidigungsausgaben?
Alle Nato-Mitglieder haben auf dem Gipfel 2014 in Wales miteinander vereinbart, dass sie angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage darauf hinarbeiten wollen, innerhalb von zehn Jahren zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufzuwenden. Das war keine Forderung von US-Präsident Donald Trump, das wurde lange vorher vereinbart. Auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich zu diesem Ziel bekannt. Im Übrigen: Schon der damalige Verteidigungsminister Peter Struck, bekanntlich ein weiteres SPD-Mitglied, hat 2002 im Auftrag der rot-grünen Regierung das Zwei-Prozent-Ziel auf den Weg gebracht. Ich finde es nicht in Ordnung, dass sich die SPD jetzt von allem verabschieden will, was sie einmal selbst mitbeschlossen hat. Erst von der Agenda 2010, dann von der gemeinsamen Rentenpolitik und jetzt auch noch von den Vereinbarungen der Bündnispartner. Wir hingegen stehen zu unseren Zusagen. Wir werden das Zwei-Prozent-Ziel wie vereinbart bis 2024 anstreben. Parallel dazu werden wir die Leistungen für Entwicklungshilfe eins zu eins anheben, bis wir die von den Vereinten Nationen gesetzte Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht haben. Wenn die Amerikaner sagen, wir sind nicht mehr bereit, die Hauptlast der Verteidigung zu tragen und überall auf der Welt einzuspringen, dann müssen auch die Europäer ihre Beiträge leisten.
Herr Kauder, das politische Berlin ringt mit der Frage, ob der Flughafen Tegel doch nicht geschlossen werden soll. Was denken Sie darüber?
Die Hauptstadt eines wirtschaftlich starken Landes wie Deutschland braucht zwei Flughäfen. Alle großen europäischen Hauptstädte haben zwei.