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Druck auf den Schultern: SPD-Chefin Andrea Nahles am Abend der verlorenen Bayern-Wahl.
© Tobias Schwarz/AFP

Vor der Hessen-Wahl: "Die SPD braucht neue Leute"

Der niederländische Politologe Cuperus über die Erosion der politischen Mitte - und warum Kevin Kühnert nicht der Richtige für die SPD-Spitze ist. Ein Interview.

Herr Cuperus, welches Ergebnis hat die Partij van de Arbeit bei der niederländischen Parlamentswahl 2017 erzielt?

Wir sind auf 5,7 Prozent abgestürzt.

Halten Sie es für möglich, dass die SPD einmal auf ähnliche Werte fällt?

Ausgeschlossen ist das nicht. Bei den Landtagswahlen in Bayern hat die SPD weniger als zehn Prozent erreicht. Das erinnerte an den Absturz der Sozialdemokraten in Frankreich oder Holland.

Was passiert in der Bundes-SPD, wenn bei der Landtagswahl am Sonntag auch die hessischen Genossen stark verlieren?

Dann wird es ein politisches Erdbeben in der deutschen Politik geben, dann wird es kaum mehr möglich sein, die SPD in der großen Koalition zu halten. Ich habe eine Erosion der Volksparteien und ein Erstarken der Grünen in Deutschland schon lange vorhergesagt, aber ich bin dafür verspottet worden. Was nun stattfindet, ist eine Europäisierung der deutschen Politik. Mit Verspätung erleben die Deutschen eine Entwicklung, die sich anderswo in der EU längst vollzogen hat, nämlich die Erosion der politischen Mitte.

Der Niederländer René Cuperus ist Politikwissenschaftler und Research Fellow am Deutschland-Institut der Universität Amsterdam sowie Senior Fellow des Instituts „Clingendael“. Foto: privat
Der Niederländer René Cuperus ist Politikwissenschaftler und Research Fellow am Deutschland-Institut der Universität Amsterdam sowie Senior Fellow des Instituts „Clingendael“. Foto: privat
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Was ist der Grund für diese Erosion?

Die lange Zeit ziemlich egalitäre Mittelstandsgesellschaft in Europa steht unter Druck der Globalisierung, der Migration und der Wissensökonomie. Die Trennungslinie verläuft zwischen den hoch und den schlecht Gebildeten. Das wollen Populisten ausnutzen. In Deutschland hat die AfD viel Zulauf, auf der anderen Seite profitieren die Grünen. Sie sind das umgekehrte Spiegelbild der Populisten Es gibt eine Spaltung der Mitte, das lässt sich auch an der Union beobachten. Dort gibt es in der CDU einen europafreundlichen Macron-Flügel und in der CSU einen europaskeptischen Orban-Flügel. Diese Spaltung ist sehr gefährlich, denn seine Kraft bezog Europa aus der politischen Mitte. Sie war Garant des Sozial- und Rechtsstaats.

Sie haben im Februar gesagt, die SPD brauche eine starke Führung. Hat sie mit Andrea Nahles und Olaf Scholz eine starke Führung bekommen?

Nein, die SPD hat keine starke Führung. In dieser schnelllebigen Zeit brauchen die Sozialdemokraten frisches Personal, neue Leute. Andrea Nahles ist eine Frau des Apparats. Heute haben in Europa Politiker wie Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz Erfolg. Die SPD kann da nichts bieten. Die Grünen erneuern ihr Personal, haben frischere Leute an der Spitze, die Kontakt mit den gesellschaftlichen Trends der Gegenwart halten.

Woher soll die SPD neues Personal rekrutieren, soll sie den 29-jährigen Juso-Chef Kevin Kühnert zum Chef machen?

Nein. Kevin Kühnert ist jung und hat einen modernen Stil, aber er hat keine modernen Inhalte. Deshalb redet er auch so viel über Stilfragen.

Was kann die SPD ändern, um mehr Wähler zu überzeugen?

Das große Problem der SPD ist: Es gibt keinen Ausweg. Wenn die Partei zum Beispiel nach links rücken will, um ihre alten Stammwähler wieder anzusprechen, verliert sie in der Mitte Wähler. Umgekehrt würde die Parteiführung die eigenen Funktionäre vor den Kopf stoßen, wenn sie zum Beispiel in Migrationsfragen einen härteren Kurs fahren würde. Denn die meisten SPD-Funktionäre haben in Wirklichkeit ein grünes Weltbild.

Das sagt Sigmar Gabriel auch, seitdem er nicht mehr Parteichef ist…

Sigmar Gabriel hat als Vorsitzender versucht, potenzielle Wähler der AfD zurückzugewinnen. Aber das wollte die SPD nicht mitmachen, er hat deswegen viel Rückhalt in der eigenen Partei verloren.

Welche Fehler der Partij van de Arbeid sollte die SPD vermeiden?

Die SPD hat diese Fehler doch schon längst gemacht. Wer zu oft und zu lange in eine große Koalition geht, verliert seine eigene Identität und stärkt die politischen Ränder. Große Koalitionen machen die Behauptung der Populisten plausibel, wonach es keine Unterschiede zwischen den Volksparteien gebe. Deshalb war es der größte Fehler der SPD, wieder in die große Koalition zu gehen, ohne wirklich einen Plan zu haben, wie die Sozialdemokraten eigenständig und erkennbar bleiben.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die SPD in der Opposition erneuern kann?

Die SPD sollte keine falschen Erwartungen haben: Der Gang in die Opposition macht die Erneuerung der Partei kein bisschen leichter. Die Probleme sind die gleichen, ob man in der Regierung oder in der Opposition ist. Es fehlt der SPD an frischem Personal, es fehlt ihr an frischen Ideen, und es fehlt ihr an Mut.

Die SPD ist sehr stolz, darauf, dass sie eine liberale Flüchtlingspolitik verteidigt. Kommt das beim Wähler an?

Eindeutig nein. Das ist eher einer der Gründe für die Probleme der SPD. Es gibt keine internationale Solidarität ohne gefühlte nationale Solidarität. Das hat die heute SPD nicht verstanden. Olaf Scholz will nun eine Europäische Arbeitslosenversicherung. In einem Land mit zunehmender Ungleichheit, mit einer gespaltenen Mittelschicht und populistischem Unbehagen spielt er mit dem Feuer.

Darf die SPD das Risiko von Neuwahlen eingehen, die ein halbes Jahr Stillstand für Europa bedeuten würden?

Das wäre die Folge. Aber Europa ist auch nicht geholfen, wenn Union und SPD dauerhaft geschwächt werden. Europa zittert davor, dass Deutschland instabil wird. Als Europäer sage ich: Die deutsche Politik richtet ihre ganze Energie nach Innen und nutzt sie nicht, um Europa zu gestalten. Solange wir Angela Merkels Endspiel erleben und die SPD mit sich selbst beschäftigt ist, können wir lange auf eine Stabilisierung Europas mit deutscher Hilfe warten.

Das bedeutet?

Die Stabilisierung Deutschlands ist die Voraussetzung für die Stabilisierung Europas. Für die SPD und die große Koalition müsste die Lehre heißen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

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