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Nach achtwöchiger Fahrt von Hamburg Richtung Mittelmeer erreichte die "Sea Watch" ihr Ziel: die Insel Lampedusa.
© Sea Watch

Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer / Private Hilfsaktionen: Die "Sea Watch" des Brandenburgers Höppner startet ihre Rettungsmission

Im November hatte Harald Höppner eine Idee: ein Schiff kaufen und im Mittelmeer Flüchtlinge retten. Im April erzwang er bei „Jauch“ eine Schweigeminute für die Ertrunkenen – und jetzt geht es wirklich los. Über eine wilde Zeit.

Acht Wochen ist es her, da erzwang der Brandenburger Harald Höppner in der Talkshow von Günther Jauch eine Schweigeminute für die mehr als tausend Bootsflüchtlinge, die in der Woche davor im Mittelmeer ertrunken waren – und machte damit sich und seinen Kutter „Sea Watch“ berühmt. Mit dem wolle er, erzählte er Jauch, Flüchtlingsboote in Seenot ansteuern, Erste Hilfe leisten, Rettung rufen und Öffentlichkeit herstellen. Was ihm insofern bereits gelungen ist, als dass über seinen Jauch-Auftritt kaum ein Medium nicht berichtete.

Dann wurde es wieder etwas stiller, aber nur nach außen. Die Aktion lief weiter und nahm Form an. Am vergangenen Donnerstag ist Höppner nun auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa geflogen, wo in der Nacht auch die „Sea Watch“ angelegt hat, die sich vor knapp acht Wochen von Hamburg aus um das Festland herum auf den Weg gemacht hatte. Heute und morgen üben die Mitglieder der ersten Crew – acht Männer und Frauen – ihre Einsätze, vor allem das Handhaben des Beiboots, mit dem sie sich den Flüchtlingsschiffen nähern wollen, und ein Arzt bereitet sie auf den Umgang mit dehydrierten und hoch gestressten Menschen vor. Mitte kommender Woche soll dann die erste Rettungsfahrt losgehen – Richtung libysche Küste.

Höppner selbst wird nur bei der ersten Fahrt dabei sein. Danach wird er sich in Lampedusa um das Basislager kümmern.

Sind Sie aufgeregt, weil es jetzt losgeht?

Bei mir brodelt’s schon. (Er deutet auf sein rechtes Auge, das immer wieder zuckt.)

Das sieht nicht gut aus!

Dieses Zucken ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass mein Adrenalinspiegel ziemlich hoch ist. Zwei Wochen war die „Sea Watch“ ja schon im potenziellen Einsatzgebiet unterwegs, seit die Mannschaft Ende Mai die Straße von Gibraltar durchquert hat. Wir haben den Tag damit gerechnet, dass etwas passiert. Die Leute von Watch the Med ...

... ein Netzwerk, das ein Notruftelefon für Bootsflüchtlinge in Seenot betreibt ...

... haben uns in der Zeit schon alle Notrufe weitergeleitet, die bei ihnen eingegangen sind. Aber keiner kam aus der Nähe der „Sea Watch“. In den vergangenen Wochen haben bei Watch the Med vor allem Flüchtlinge um Hilfe gebeten, die vor der türkischen und griechischen Küste in Seenot geraten waren.

Sie werden bei der ersten Fahrt in Richtung libysche Küste dabei sein. Sie haben keine Ahnung von Schiffen, haben sich selbst mal als Landratte bezeichnet. Wieso ist es für Sie wichtig, selbst dabei zu sein?

Wir müssen jetzt zeigen, dass wir einlösen, was wir angekündigt haben. Wenn wir nur fünf Tage mit der „Sea Watch“ draußen waren, haben wir das geschafft. Dann können wir sagen: Es geht. Man kann im November die Idee haben, ein Schiff zu kaufen und Menschen zu retten. Man kann das Schiff ausrüsten, Leute suchen, das Schiff ins Mittelmeer bringen. Und man kann rausfahren. Wenn wir die erste Fahrt gemeistert haben, ist der Druck erst mal weg. Für mich ist das jetzt der Höhepunkt des Ganzen.

Was könnte schiefgehen?

Die „Sea Watch“ ist 150-prozentig dafür geeignet, um das Problem im Mittelmeer glaubhaft in die Öffentlichkeit zu bringen, und um eine Besserung der Situation zu fordern. Das ist ja das Hauptanliegen der „Sea-Watch“.

Aber?

Sie ist nur mittelmäßig als Rettungsschiff geeignet.

Könnte es gefährlich werden?

Dass das Schiff fährt, haben wir bewiesen. Es ist sicher durch die Nordsee und durch den Golf von Biskaya gekommen. Das waren wettertechnisch zwei schwierige Passagen.

Im Mittelmeerraum hat niemand auf noch mehr Retter gewartet

In der "Jauch"-Sendung am 19. April erzwingt Harald Höppner eine Schweigeminute, in der an die Tausend Ertrunkenen der Vorwoche gedacht werden soll. Die Aktion ist tags darauf Gesprächsthema im ganzen Land.
In der "Jauch"-Sendung am 19. April erzwingt Harald Höppner eine Schweigeminute, in der an die Tausend Ertrunkenen der Vorwoche gedacht werden soll. Die Aktion ist tags darauf Gesprächsthema im ganzen Land.
© dpa

Ein Kapitän und vier Bootsleute, darunter zwei Maschinisten, haben die „Sea Watch“ von Hamburg ins Mittelmeer gebracht. Die fünf Männer haben sich auch den ganzen Sommer für das Projekt freigenommen. Die Zahl der Seeleute, die bei dem Projekt mitmachen wollen, ist mittlerweile groß. Nach Höppners TV-Auftritt haben sich viele Freiwillige gemeldet. Auch für Ausfälle ist Ersatz da.

Die Überfahrt, die ohne Sie stattfand, hat drei Wochen länger gedauert als angekündigt.

Anderthalb Wochen hat die „Sea Watch“ allein in Brest gewartet, bis der Wetterdienst für drei Tage am Stück gutes Wetter vorhersagte. So lange brauchte das Schiff durch das Gebiet. Unter Seglern heißt es übrigens, man solle die Biskaya nie vor Juni durchqueren. Weil erst dann das Wetter stabil genug ist.

Und bis dorthin lief alles planmäßig?

Es ist jedenfalls nichts Dramatisches passiert. Die Fahrt von Helgoland nach Borkum war wohl am krassesten. Die vier großen Rettungsinseln, von denen jede 150 Menschen aufnehmen kann, waren am Anfang auf der Kommandobrücke befestigt, also dem höchsten Punkt des Schiffs. Damit war der Schwerpunkt zu weit oben. Das Boot schaukelte extrem. Selbst die hartgesottensten Segler wurden seekrank. Die Mannschaft hat die Inseln dann aufs Deck verlagert, um den Schwerpunkt niedriger zu legen.

Die Überfahrt war wichtig, um das Schiff richtig kennenzulernen, um seine Grenzen zu testen. In der Zeit haben wir auch viel von unserem Equipment ausgetauscht und ergänzt. Wir haben anfangs an allem gespart und auf einiges verzichtet, was vielleicht nicht unbedingt notwendig aber sehr sinnvoll ist.

Und inzwischen ist das Schiff ja auch in Lampedusa angekommen.

Und jetzt warten ganz andere Herausforderungen auf uns. Wir fahren mitten durch ein Krisengebiet. Zwischen Italien, Malta und Libyen sind ein Haufen Kriegsschiffe unterwegs, außerdem Flüchtlingsboote, und vielleicht auch irgendwelche Bewaffnete. Wir hoffen einfach, dass alles gut geht, dass wir nicht die falschen Leute treffen, dass die Behörden uns nicht als Schlepper abstempeln. Und natürlich wünsche ich mir außerdem, dass auf Lampedusa alles gut läuft. Wir haben uns da ja einfach eingeladen.

Nicht immer einfach war die Überfahrt, aber alles hat geklappt. Ernst im Sinne der Projektidee wird es erst jetzt, wenn Richtung libyscher Küste gefahren wird.
Nicht immer einfach war die Überfahrt, aber alles hat geklappt. Ernst im Sinne der Projektidee wird es erst jetzt, wenn Richtung libyscher Küste gefahren wird.
© Sea Watch

Ursprünglich sollte die „Sea Watch“ auf Malta ihr Basiscamp errichten. Doch vor rund zwei Wochen zogen die Vermieter, mit denen Harald Höppner im Gespräch war, plötzlich ihre Angebote zurück. Sie würden ihre Häuser und Wohnungen lieber tageweise vermieten, sagten sie, um mehr Geld zu verdienen.

Schon davor hatte sich abgezeichnet, dass die Malteser dem „Sea Watch“-Projekt skeptisch gegenüberstehen. Laut Umfragen finden weit mehr als die Hälfte der Malteser, dass zu viele Flüchtlinge auf ihrer Insel leben. Malta stand 2014 – nach Schweden, Ungarn und Österreich – auf dem vierten Platz, was die Zahl der Asylanträge pro Einwohner betrifft: 30 auf 1000 Einwohner. Auch gab es auf politischer Ebene zwischen Italien und Malta wegen der Seenotrettung immer wieder Konflikte. Dabei ging es auch darum, unter welchen Bedingungen Malta sich an der Aktion „Mare Nostrum“ beteiligt, die vom Oktober 2013 bis Ende 2014 lief, und an wessen Küste die geretteten Menschen gebracht werden sollten. Seit die Schiffe der Grenzschutzmission Triton – dem Nachfolger von „Mare Nostrum“ – im Mittelmeer patrouillieren, kommen auf Malta wieder mehr Flüchtlinge an.

Vor anderthalb Wochen, kurz nachdem Sie beschlossen haben, das Basiscamp nach Lampedusa zu verlegen, waren Sie zwei Tage dort. Wie wurden Sie empfangen?

Ich habe sofort ein Haus anmieten können und einen Ankerplatz klargemacht. Dann bin ich zum Kommandeur der Küstenwache, der gleich hinterm Hafen sitzt. Der hat nur freundlich gelächelt, als ich ihm erklärt habe, was wir vorhaben, und uns viel Glück gewünscht. Am Abend habe ich dann noch die Bürgermeisterin getroffen, auf ein Bier in einem Hafenlokal. Ihre erste Frage war: Wie wollen Sie mit der Aktion Geld verdienen? Als ich ihr sagte, dass unser Ziel ist, den Menschen in Deutschland das Drama vor ihrer Insel näherzubringen und die Politik zum Handeln zu bewegen, hat sie gegrinst. Aber ich weiß nicht, wie uns die Bevölkerung aufnimmt.

Kurz nach Ihrem Auftritt in der Sendung von Günther Jauch hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zwei Marineschiffe ins Mittelmeer geschickt, um „Menschen zu retten, die in akuter Not sind“. Seit Anfang Mai sind die dort und konnten bereits viele Menschen retten. Haben Sie da daran gedacht, ihr Projekt zu beenden?

Nein. Die beiden Schiffe sind ja nur ein kleiner Anfang. Und langfristig brauchen wir im Mittelmeer auch keine Seenotrettung, sondern eine neue Politik, nämlich legale Einreisewege.

Ich verstehe es eher als Ansporn, dass jetzt Bundesmarineschiffe Flüchtlinge retten. Denn: Zusammen mit Flüchtlingshilfsvereinen wie Watch the Med, Pro Asyl und Borderline haben wir ja vielleicht ein wenig dazu beigetragen, dass die deutschen Kriegsschiffe im Mittelmeer Menschen retten.

Von der Schwierigkeit, so ein Projekt zu managen - und nicht völlig abzuheben

Harald Höppner ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder.
Harald Höppner ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder.
© picture alliance / dpa

Harald Höppner hat bis zum Auftritt bei Günther Jauch das Projekt „Sea Watch“ gemeinsam mit seinem Geschäftspartner und besten Freund Matthias Kuhnt aus eigener Tasche finanziert. Insgesamt haben die beiden, wie Höppner sagt, mehr als 150 000 Euro ausgegeben.

Nach seinem Auftritt bei Jauch, da war der Kutter schon auf seiner Fahrt, kamen viele Spenden, von denen eine größere Radaranlage und ein Kartenplotter, also ein modernes Schiffsnavigationsgerät, gekauft wurden. Auch die Unterstützergruppe ist gewachsen, darunter sind inzwischen auch Vertreter großer Hilfsorganisationen und Menschenrechtsanwälte.

Neben der Arbeit für „SeaWatch“ kümmert der 42-jährige Höppner sich weiterhin um das Geschäft – zwei Läden und ein Onlineversand –, über das er mit seiner Frau und seinem Geschäftspartner Kleidung, Schmuck und Lampen aus Asien und Südamerika verkauft.

Haben Sie keine Angst, dass Ihnen das alles zu viel wird?

Nein, gar nicht. Ich kann mich sehr gut fokussieren. Alles, was gerade nicht wichtig ist, blende ich einfach aus. Das habe ich immer schon so gemacht. Mit 16 habe ich beschlossen, Geige zu spielen. Zwei Jahre lang habe ich nichts anderes gemacht, bis ich es ziemlich gut konnte. Als ich programmieren lernen wollte, habe ich mir ein paar Lehrbücher gekauft und nichts anders gemacht. Als ich beschloss, ich bau ein Haus, habe ich eben ein Haus gebaut.

Ist „Sea Watch“ also Ihre neueste Geige?

Ich habe in meinem Leben immer Projekte gehabt. Wenn mich ein Thema packt, dann schmeiße ich mich drauf und mache das. Es muss etwas sein, was mir Spaß macht. Ich würde nie was machen, was keinen Spaß macht. Und ich finde es spannend, neue Sachen zu entdecken. Wo ich am Ende stehe, weiß ich nicht.

Sie haben eine Frau und zwei Kinder. Zieht Ihre Familie immer mit?

Bis jetzt haben sich meine Projekte immer 100-prozentig mit den Vorstellungen meiner Frau gedeckt. Jetzt ist es zum ersten Mal anders. Meine Frau stand nie so richtig dahinter, eher hinter mir. Das tut sie natürlich immer noch. Aber sie will, dass ich mich nicht zu sehr reinhänge, dass ich es nicht übertreibe. Was mir zugegebenermaßen schwerfällt. Ich muss aufpassen, dass ich mit meinen Scheuklappen das andere Leben, vor allem die Menschen, die mir nahestehen, nicht ausblende.

Hatte es mit Ihrer Familie zu tun, dass Sie sich nach Ihrem Jauch-Auftritt zurückgezogen haben?

Danach verging zunächst kaum ein Tag, an dem ich kein Interview gegeben habe – und da hat meine Frau gesagt, dass sie mein Gesicht nicht mehr jeden zweiten Tag im Fernsehen oder in der Zeitung sehen will.

Wie geht es nach dem Sommer weiter?

Mein Auftrag ist dann irgendwann abgeschlossen. Davor will ich das Projekt in jedem Fall weitergeben, an motivierte Leute, die Menschen retten wollen. Ich würde mir wünschen, dass aus dem Funken „Sea Watch“ eine Flamme wird.

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