Agiles Arbeiten auch im Unterricht: Die Schuldigitalisierung muss endlich losgehen - nicht nur wegen Corona!
IT in der Schule? Wird nur schleppend ausgebaut. Digitaler Unterricht? Klappt oft nicht. Viele Probleme sind bekannt, sie müssen jetzt gelöst werden. Ein Kommentar.
Am Ende wird es wohl vor allem eine Frage der Haltung: Wenn wir erst auf die perfekte digitale Infrastruktur warten, auf die ausgereiften pädagogischen Konzepte und die endgültige Klärung aller datenschutzrechtlichen Aspekte, dann wird die Digitalisierung in den Schulen im neuen Jahr und in zehn Jahren noch nicht erfolgreich sein.
Nicht nur jetzt, da coronapolitische Schulöffnungsfragen am Digitalen hängen, müssen Design Thinking, Agiles Arbeiten und Kooperation im Bildungssystem endlich und rasch selbstverständlich werden. Heißt: Digitale Unterrichtsmethoden müssen ausprobiert und im Laufe der Zeit verbessert werden – und dazu muss die Digitalisierung jetzt wirklich losgehen. Wenn uns Corona etwas lehrt, dann ganz gewiss das.
Beispiel Berlin. 257 Millionen Euro stellt der Digitalpakt den Berliner Schulen für digitale Auf- und Ausrüstung bis 2024 zur Verfügung. Und? Ein Bruchteil wurde bisher abgerufen. Echter Hybridunterricht – ein Teil der Klasse arbeitet in der Schule, der andere per Livestream von Zuhause aus – ist technisch nach wie vor nicht möglich. Es fehlen mobile Endgeräte für Schüler und Lehrkräfte, zeitgemäße Glasfaseranschlüsse für Schulen.
Inzwischen werden zehntausende Geräte ausgegeben, die meisten Schüler und Schülerinnen sind weiter von privatem Equipment abhängig. Der Bedarf ist enorm: Inklusive Berufsschulen und Schulen freier Trägerschaft gibt es allein in Berlin rund 450.000 Schüler uns Schülerinnen und 33.000 Lehrern und Lehrerinnen.
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Die Digitalisierung der Schulen kommt insgesamt auch bundesweit schleppend voran. Das bedeutet: Schulen benötigen immer noch mehr Unterstützung, und zwar über einen langen Zeitraum, im Sinne der IT-Zukunftsplanung.
Lehrer und Schüler brauchen Notebooks, Schulen IT-Unterstützung - das kostet
Was das Finanzielle angeht: Das ginge – wie neulich Telefonica-Vorstand Valentina Daiber eindringlich für die Branche erklärt hat –, wenn zum Beispiel die Frequenzvergabe modernisiert würde. In den vergangenen 20 Jahren flossen in Frequenzauktionen rund 66 Milliarden Euro für Nutzungsrechte an den Staat. Wäre das Geld für Infrastruktur ausgegeben worden, gäbe es heute keine „weißen Flecken“ mehr, und jede Schule wäre mit einem Glasfaseranschluss versorgt.
Besser wäre es also, wenn Telekommunikationsunternehmen mehr von ihrem Budget direkt in digitale Infrastruktur investieren müssten; allerdings hätte das eine Abkehr von Auktionen hin zu alternativen Vergabeformaten zur Folge. Das muss der Staat wollen. Dabei bleibt es eine Herausforderung für Generationen: Jede Lehrkraft, jedes Schulkind braucht ein Notebook beziehungsweise Tablet – und jede Schule natürlich eine vernünftige IT-Unterstützung. Das kostet.
Die Wirtschaft könnte ihren Teil beitragen
Dazu kommt, dass bürokratischer Aufwand, Förderrichtlinien und Anforderungen an Schulen zu institutionalisierter Überforderung führen. Nötig ist dementsprechend eine Entbürokratisierung für schnellere Ausgabeprozesse. Und eine engere Zusammenarbeit der Länder. Anstelle von 16 unterschiedlichen Ausschreibungs- und Beschaffungsprozessen nur einer mit gemeinsamen Anforderungen – das wär’s.
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Nicht jedes Bundesland muss seine eigene Technologielandschaft aufbauen. Eine Bildungscloud und ein nur in Deutschland gehosteter Videokonferenzservice könnten am besten von allen Ländern gemeinsam betrieben und finanziert werden.
Ein Letztes: Medien- und Technologiekompetenz könnte, ja sollte verpflichtendes Schulfach und auch in die Lehrerausbildung aufgenommen werden. Warum nicht mit Hilfe der Wirtschaft?
Einige Firmen engagieren sich schon mit Nichtregierungsorganisationen beim Thema Medienkompetenzvermittlung. Da wurde Unterrichtsmaterial produziert, aber wegen gegenläufiger administrativer Vorgaben nicht abgerufen oder nicht genutzt. Aber keine Angst vor Kooperation! Deutschland für die Digitalisierung und mit ihr fit zu machen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auf diese Haltung kommt es an. Denn der Erfolg darf nicht erst in zehn Jahren zu sehen sein.