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Abstimmung in Moskau. Viele Oppositionelle wurden als Kandidaten gar nicht erst zugelassen.
© Pavel Golovkin,dpa

Russischer Oppositionspolitiker klagt an: „Die schärfsten Repressionen seit dem Tod Stalins“

Nawalnys Stabschef Sergej Wolkow über gefälschte Wahlen, den Zustand der russischen Opposition und Putins Vertrauenswürdigkeit.

Leonid Wolkow ist der engste Vertraute des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. Dessen Stiftung zum Kampf gegen die Korruption war im Sommer von den russischen Behörden zur extremistischen Organisation erklärt worden. Gegen den IT-Spezialisten Wolkow gibt es in Russland einen Haftbefehl. Er konnte sich in letzter Minute einem Zugriff in Moskau entziehen und lebt inzwischen in Litauen.

Herr Wolkow, die jüngsten Duma-Wahlen waren mutmaßlich gefälscht, doch es gab kaum Proteste. Was sagt das über den Zustand der Opposition in Russland?

Die Fälschungen gab es ja nicht nur bei der Abstimmung und den Auszählungen. Sie begannen Monate vorher, im Juni, als die Nawalny-Stiftung zur extremistischen Organisation erklärt und alle Kandidaten, die auch nur irgendwie in Verbindung mit uns standen, von den Wahlen ausgeschlossen wurden. Protest gegen die Wahl zeigte sich diesmal darin, dass die Kreml-Partei „Einiges Russland“ nun keine absolute Mehrheit mehr hat. Auf die Straße ging nach den Wahlen kaum jemand, weil heftige Repressionen des Regimes drohten. Es war zu gefährlich. Mehr als 70 Aktivisten sind vor der Wahl zu Haftstrafen verurteilt worden. Es ist Unsinn, die Politik von Präsident Wladimir Putin als Stalinismus zu bezeichnen. Aber wahr ist, wir erleben in Russland die schärfsten Repressionen seit dem Tod Stalins.

Was riskiert jemand, der gegen den Kreml opponiert?

Wir haben die Anti-Korruptionsstiftung inzwischen aufgelöst. Aber wenn sie jemand finanziell unterstützen wollte, drohten ihm bis zu acht Jahren Lagerhaft. Wir reden hier von mehr als 150000 Menschen, die für uns gespendet haben. Mit Haftstrafen mussten auch die Mitarbeitern der Stiftung rechnen – und deren Zahl ging in die Tausenden.

Leonid Wolkow
Leonid Wolkow
© Frank Herold

Warum hat Putin das Vorgehen gegen die Opposition gerade jetzt verschärft?

Putin folgt Lukaschenko. Aus Putins Sicht war es der größte Fehler Lukaschenkos, dass er die Opposition zu den Wahlen überhaupt zuließ. In Russland kannst du deine Unzufriedenheit inzwischen nicht mehr mit Demonstrationen zeigen, nicht mehr in sozialen Netzwerken, nicht mehr bei Wahlen – Putin hat alle Ventile geschlossen, über die Unzufriedenheit auf zivilisierte Weise entweichen kann. Das ist gefährlich, der Druck steigt und wird sich wohl irgendwann entladen.

Die Nawalny-Stiftung hat die schamlose Bereicherung der politischen Klasse Russlands offengelegt. Warum findet das so wenig Widerhall in der Bevölkerung?

Da widerspreche ich. Das Video über den Putin-Palast am Schwarzen Meer haben 120 Millionen Menschen in den sozialen Netzwerken gesehen. Als wir vor gut zehn Jahren mit der Arbeit begannen, hielten in Umfragen 17 Prozent die Korruption für das größte Problem Russlands, jetzt sind es über 60 Prozent. Ich habe schon gesagt: Es ist zu gefährlich, öffentlich zu protestieren. Aber unter der Oberfläche steigt die Spannung.

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Alexej Nawalny sitzt seit Monaten in Lagerhaft. Wie geht es ihm?

Wir sind im Kontakt mit ihm über seine Anwälte und befinden uns derzeit in einem Stadium, in dem keine Nachrichten gute Nachrichten sind. Es gibt keine Drangsalierungen mehr gegen Nawalny, wie noch am Anfang der Haft als er krank war und in den Hungerstreik trat.

Putin hält sich nicht an Verträge

Sie leben in Litauen, wo auch Aktivisten der belarussischen Opposition Asyl finden. Jüngst hat sich das Land mit China gestritten. Können Sie erklären, woher dieses kleine Land die Courage nimmt, sich mit autoritären Regimen anzulegen?

Wir sind sehr dankbar, dass Litauen sich nicht fürchtet und klar antitotalitäre Positionen bezieht. Offensichtlich funktioniert dort das historische Gedächtnis sehr gut. Die Entwicklungen in den Nachbarländern Russland und Belarus beunruhigen die Litauer sehr.

Einige westliche Politiker argumentieren, man müsse mit Putin im Gespräch bleiben, das sei ein Gebot der Realpolitik. Ist das nicht nachvollziehbar?

Für mich nicht. Wir brauchen Putin für den Kampf gegen Terrorismus, für die Klimarettung – das höre ich oft, aber es überzeugt mich nicht. Die Liste der Verträge, die Putin gebrochen hat, ist lang. Russland ist im Europarat und hat damit vertraglich zugesichert, die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umzusetzen – und tut es nicht. Das zeigt der Fall Nawalnys. Russland garantierte 1994 im Budapester Memorandum die Unverletzlichkeit des Territoriums der Ukraine – und dann hat Putin die Krim okkupiert. Russland hat die Minsker Vereinbarung über den Donbass, die Ost-Ukraine, unterschrieben und tut nichts für deren Umsetzung. Mehr noch: Putin unterstützt die Separatisten weiter. Ich könnte die Liste fortsetzen. Denjenigen, die jetzt für neue Abkommen mit Putin sind, möchte ich mit Einstein sagen: Dumm ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Putin kann man nicht vertrauen, er ist erst einmal den Beweis schuldig, dass er geschlossene Vereinbarungen auch einhält.

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