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Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman betreibt eine äußerst aggressive Außenpolitik, wie jetzt der Umgang mit Kanada zeigt.
© Charles Platiau/REUTERS

Diplomatische Krise: Die Saudis trauen sich jetzt alles

Weich nach Innen, hart nach Außen - so ist der neue Kurs des saudischen Kronprinzen. Dass er nun Kanada attackiert, liegt auch an US-Präsident Trump. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sigmar Gabriel

Prinz Mohammed bin Salman hat in seinem Land einen radikalen Reformkurs eingeschlagen – dass Frauen Auto fahren dürfen, ist nur ein besonders plakativer Beleg dafür –, und das ist erst mal positiv und begrüßenswert. Er bekämpft die Korruption, er will sein Land wirtschaftlich modernisieren und unabhängiger vom Öl machen, und vor allem: Er bricht mutig mit der in Saudi-Arabien so schwierigen Verbindung von Staat und Religion. Vor allem dieser Bruch ist auch eine Kampfansage an den radikalisierten politischen Islam und deshalb gerade im westlichen Interesse. Für den Kronprinzen ist das alles nicht ganz ungefährlich, denn das Land ist extrem vermachtet, und es gibt natürlich auch viele „Verlierer“ in dieser Entwicklung. Umso mehr verdient Mohammed bin Salman unseren Respekt und unsere Unterstützung für diesen Reformprozess.

Aber der neue junge Machthaber verbindet seinen innenpolitischen Wagemut leider mit einer zum Teil hochaggressiven Außenpolitik. Nicht nur gegen den Iran, der dafür immer wieder selbst Anlass bietet, sondern auch im Jemen, gegenüber Katar und dem Libanon. Gestärkt in dieser Haltung fühlt er sich vor allem durch die massive politische Unterstützung des US-Präsidenten.

Mit seiner ersten Auslandsreise hat Trump das Königreich aufgewertet

Dass Donald Trumps erste Auslandsreise im Mai 2017 nach Saudi-Arabien ging, hat das Königreich ungeheuer aufgewertet. Dazu kommt die wieder wachsende Verbindung, die der gemeinsame Feind Iran schafft, den Trump inzwischen unmissverständlich ins Fadenkreuz seiner aggressiven Politik gezogen hat. Jenseits von dem, was öffentlich wird, gibt es seit Jahren bereits Annäherungen zwischen den USA, Saudi-Arabien und Israel, die ebenfalls vor allem der gemeinsame Gegner Iran einander aushalten lässt. Das aktuelle Ergebnis dieser US-amerikanischen Aufwertungsgesten ist: Die Saudis trauen sich alles. Auch einen direkten Angriff auf Kanada, weil die dortige Außenministerin Chrystia Freeland die Menschenrechtslage im Königreich kritisiert hat. Genauer: Sie hat auf Twitter die Verhaftung der Bürgerrechtlerin Samar Badawi kritisiert und deren Freilassung gefordert. Die Reaktion: Abzug des Botschafters und Androhung wirtschaftlicher Repressionen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Saudis so massiv auf Kritik an der Menschenrechtssituation in ihrem Land reagieren. Sie haben das auch mit Deutschland so gemacht.

Unser Konflikt eskalierte allerdings nicht abrupt, sondern stufenweise. Die erste große Irritation zwischen Saudi-Arabien und Deutschland verband sich mit dem Stopp einer Genehmigung für eine Lizenzfertigung von immerhin 250 000 deutschen G36-Sturmgewehren in Saudi-Arabien. Diese Errichtung einer Waffenfabrik mit deutscher Technik hatte die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung zwischen 2009 und 2013 verhandelt und genehmigt. Nach dem Regierungswechsel zur großen Koalition mit der SPD wurde diese Genehmigung durch meine Entscheidung als damaliger Bundeswirtschaftsminister gestoppt. Und auch die gewünschte Lieferung von Kampfpanzern Leopard wollte ich nicht genehmigen. In langen Gesprächen konnte dieser Konflikt noch einigermaßen geglättet werden.

Ebenso kompliziert war die Diskussion zwischen dem Königshaus und uns über die Freilassung des inhaftierten Menschenrechtlers Raif Badawi, für den wir uns auf allen Ebenen immer wieder öffentlich und in direkten Gesprächen mit der saudischen Regierung einsetzten. Und zuletzt ging es um den libanesischen Regierungschef Saad Hariri, der im vergangenen November überraschend während seines Aufenthaltes in Saudi-Arabien zurücktrat. Die Rolle des Königreichs dabei ist bis heute nicht wirklich klar, und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Land mit Hariris innenpolitischem Kurs und der im Libanon absolut notwendigen Zusammenarbeit mit dem politischen Arm der schiitischen Hisbollah immer weniger einverstanden war und Druck auf ihn auszuüben versucht hatte. Als ich damals in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem libanesischen Außenminister in Berlin vor „politischem Abenteurertum“ warnte, reagierte Riad mit großer Empörung. Der saudische Botschafter wurde aus Deutschland abgezogen und ist bis heute nicht zurück. Und gegenüber der deutschen Wirtschaft wurde ganz offen mit dem Entzug von Aufträgen gedroht. Exakt das wiederholt Saudi-Arabien jetzt bei den Kanadiern, die ihre Rüstungsexportvorschriften verschärft haben und die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien kritisieren.

Etwas Internationaleres als Menschenrechte gibt es nicht

Die saudische Regierung wirft der kanadischen Außenministerin Freeland vor, sich mit ihren Äußerungen „in die inneren Angelegenheiten Saudi-Arabiens“ eingemischt zu haben. Exakt das war übrigens immer die Argumentation der alten Sowjetunion, wenn der Westen die Einhaltung von Menschenrechten in den kommunistischen Staaten einforderte. So, als ob Menschenrechte in der Verfügungsgewalt von Staaten stünden. Menschenrechte zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie dem Menschen an sich eigen sind und nicht von Staaten und Regierungen verliehen oder verwehrt werden können. Sie sind unveräußerlich, und die Charta der Vereinten Nationen will ihnen weltweit Geltung verschaffen. Etwas Internationaleres als Menschenrechte gibt es nicht.

Kanada ist nun also der zweite Fall, in dem Riad auf kritische Anmerkungen zu Menschenrechtsfragen mit wirtschaftlichen Repressionen reagiert. Der Westen darf das nicht widerspruchslos hinnehmen. Es wäre gut und angemessen, wenn sich die Europäer unmissverständlich hinter Kanada und seine Außenministerin stellen würden. Bei Menschenrechten gibt es keinen Kredit. Schon gar nicht wegen drohender wirtschaftlicher Nachteile, sonst verhält der Westen sich wie ein ängstlicher Pfeffersack, der alle Werte fahren lässt, sobald er sie ernsthaft verteidigen muss. Die Frage, die sich – leider – anschließt, ist nur: Wer ist der Westen? Donald Trumps USA ist Teil des auftrumpfenden saudischen Gebarens. Die Saudis wissen, dass das Verhältnis von Trump und dem kanadischen Staatschef Justin Trudeau nicht das beste ist und dass erstmals ein Präsident an der Spitze der USA steht, der das Thema Menschenrechte im Verhältnis zum Königshaus nicht thematisieren wird.

Wenn aber die einstige Führungsmacht den Westen verlässt, dann muss Europa ihn umso mehr verteidigen. Würden wir jetzt auch schweigen und Kanada nicht unterstützen, wir wären nicht besser als Trump. Auch wir würden die westlichen Werte verraten, die ja gerade nicht geografisch gemeint, sondern universell sind. Aber einfach dürfen wir es uns auch nicht machen. Sich nur moralisch über Saudi-Arabien zu empören und dann zum Alltag zurückkehren, ist zu wenig. Im Kern brauchen wir mit dem Königshaus und der saudischen Gesellschaft nicht weniger, sondern mehr Dialog. Das große Missverständnis dort scheint zu sein, dass man entweder Freund oder Feind ist. Partnerschaft und Unterstützung etwa für den saudischen Reformprozess und Kritik an der Menschenrechtslage dürfen sich aber nicht ausschließen. Das ist auch im mittel- und langfristigen Interesse Saudi-Arabiens. Ehrlichkeit und Offenheit in den bilateralen Beziehungen zu Deutschland und Europa ist auch für die Saudis eine weit verlässlichere Grundlage als ein paar Milliardendeals zu Rüstungszwecken oder opportunistisches Schweigen aus Angst vor wirtschaftlichen Repressionen.

Der Autor war Vorsitzender der SPD und mehrfach Bundesminister. Er gehört dem Deutschen Bundestag an.

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