Armenien-Resolution: Die riskante Rechthaberei des Bundestags
Der Bundestag stimmt am Donnerstag ab, ob die Deportationen und Massaker an den Armeniern Völkermord waren. Die Resolution schadet mehr, als dass sie hilft. Ein Kommentar.
Das Deutsche Kaiserreich wusste, was die Jungtürken mit den Armeniern in Anatolien machten. Doch 1915 schwieg man in Berlin zu den systematischen Deportationen und Massakern, an deren Ende über eine Million Tote standen. Die Loyalität zum befreundeten Osmanischen Reich war wichtiger, als sich für Menschenleben einzusetzen.
Hundert Jahre später äußert sich der Bundestag lautstark. Am Donnerstag wollen die Parlamentarier über eine Resolution abstimmen, die die Verbrechen von 1915 als „Völkermord“ verurteilt. Es war ein Genozid. Da sind sich viele westliche Historiker einig. Die Türkei bestreitet das. Doch hilft eine Resolution des Deutschen Bundestages den Armeniern weiter?
Das Deutsche Reich hatte eine Mitverantwortung
Es ist richtig, dass sich die Deutschen der Mitverantwortung des Deutschen Reichs an den Massakern stellen. Das hat Bundespräsident Joachim Gauck vor einem Jahr getan. Bei einer Gedenkfeier im Berliner Dom benannte er klar, dass das deutsche Militär „an der Planung und zum Teil auch an der Durchführung der Deportationen beteiligt gewesen“ sei. Auch der Bundestagspräsident hat sich klar geäußert.
Es schadet nichts, das Eingeständnis zu wiederholen und die sorgfältige Aufarbeitung der Akten anzumahnen. Doch bei der geplanten Resolution geht es nur noch am Rand um die Deutschen und ihre Geschichte. Im Vordergrund steht eine pädagogische Absicht: Die Türkei soll dazu gebracht werden, die Verbrechen ebenfalls als „Völkermord“ einzustufen. Wie Cem Özdemir (Grüne), einer der Initiatoren, erklärt, soll die Resolution die „Aussöhnung“ zwischen der Türkei und Armenien unterstützen.
Die Abstimmung wird zum Akt des Widerstands stilisiert
Doch ist es die Aufgabe des Deutschen Bundestages, zur Aussöhnung zwischen der Türkei und Armenien beizutragen? Es käme wohl niemand auf die Idee zu fordern, der Bundestag müsse die Aussöhnung zwischen den USA und Japan voranbringen. Je mehr sich der türkische Präsident als autoritärer Herrscher aufführt, umso mehr stilisieren die Initiatoren die Abstimmung über die Resolution zu einem Akt des Widerstands: Die Parlamentarier sollen Mut zeigen, man dürfe nicht vor Erdogan einknicken und müsse beweisen, dass das deutsche Parlament unabhängig sei.
Doch das Getöse ist nicht mutig, sondern unklug und wohlfeil. Es kostet die Abgeordneten nichts, dieser Resolution zuzustimmen. Der türkische Staatschef rangiert auf der Skala unbeliebter Politiker bei vielen Deutschen ganz oben. Alles, was sich gegen ihn richtet, trifft auf breite Zustimmung.
Druck von außen fördert Erdogans Einsicht in der Regel nicht
Um Versöhnung zu erreichen, sind leise Töne und diplomatisches Gespür wichtiger als laute Forderungen. Die Abstimmung zum Akt des Widerstands gegen den mächtigen Mann am Bosporus hochzujazzen, schadet der Annäherung vermutlich mehr, als dass sie sie befördert. Erdogan hat sich mit Nachfahren armenischer Opfer getroffen und duldet den Begriff „Völkermord“ stillschweigend. Mehr wäre wünschenswert. Doch die Erfahrung zeigt, dass Druck von außen Erdogans Bereitschaft zur Einsicht nicht fördert. Im Gegenteil.
Weil die deutschen Parlamentarier recht haben und Stärke demonstrieren wollen, riskieren sie, dass der Aussöhnungsprozess ins Stocken gerät. Die Leidtragenden wären die Nachfahren der armenischen Opfer – in deren Namen man sich angeblich so sehr engagiert.