Nach dem Geldtransporter-Überfall der RAF: Die Rentenkasse der "Roten Armee Fraktion" ist offenbar leer
Die DNA-Spuren bei zwei Geldtransporter-Überfällen, die zur RAF führen, deuten laut Frank Henkel auf eine mögliche "hochkriminelle Altersversorgung" hin. Ex-Bundesanwalt Rainer Griesbaum vermutet Ähnliches.
Der frühere Bundesanwalt Rainer Griesbaum, der jahrelang in Ermittlungen gegen Mitglieder der "Roten Armee Fraktion" (RAF) eingebunden war, sagte dem Tagesspiegel, er gehe davon aus, dass es sich bei dem Überfall in Stuhr bei Bremen „um eine Geldbeschaffungsmaßnahme gehandelt hat“. Das Trio benötige Mittel, um das Leben in der Illegalität bezahlen zu können. „Mich hat es nicht sonderlich überrascht, dass sie so einen Überfall gemacht haben“, sagte er. Er sehe aber keinen Hinweis darauf, dass eine sogenannte vierte Generation der „Roten Armee Fraktion“ entstehe. Die Staatsanwaltschaft Verden sieht ebenfalls keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund und geht davon aus, dass die Tat „der Finanzierung des Lebens im Untergrund dienen sollte“.
Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer forderte verstärkte Anstrengungen der Sicherheitsbehörden, um der drei früheren RAF-Terroristen habhaft zu werden. Es biete sich nun die große Chance, um alle RAF-Terrortaten restlos aufzuklären, sagte er dem Tagesspiegel.
Berlins Innensenator Frank Henkel sagte, „hier kehren Geister der Vergangenheit zurück, mit denen viele nicht mehr gerechnet haben“. Ob das nun eine hochkriminelle Altersversorgung sei oder ob noch mehr dahinterstecke, müssten die Ermittlungen zeigen. „Auf jeden Fall ist es eine brisante und spektakuläre Entwicklung“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Henkel erinnerte daran, dass die RAF „für die schlimmsten Auswüchse des Linksterrorismus“ stehe. „Vielleicht helfen die Ermittlungen dabei, eines der dunkelsten und brutalsten Kapitel der Nachkriegsgeschichte weiter aufzuklären“, sagte Henkel und fügte hinzu: „Die Berliner Sicherheitsbehörden werden die Fortschritte der Kollegen aus Niedersachsen aufmerksam begleiten.“
Die meisten Morde wurden bis heute nicht aufgeklärt
Die Ermittlungsbehörden haben von der dritten Generation der RAF bisher nur sehr wenige Spuren gefunden. Die meisten Morde, die in dieser Zeit verübt wurden, sind bis heute nicht aufgeklärt worden. Die Fahnder kennen nicht mal die Namen von allen RAF-Mitgliedern.
Nach jahrzehntelanger, erfolgloser Fahndung nach Mitgliedern der terroristischen „Roten Armee Fraktion“ (RAF) hatten Polizei und Bundesanwaltschaft jetzt neue Spuren entdeckt. Nach einem missglückten Überfall auf einen Geldtransporter im Juni 2015 in der Nähe von Bremen sind DNA-Spuren der früheren RAF-Mitglieder Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg gefunden worden.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Verden besteht zudem der Verdacht, dass das Trio Ende 2015 einen weiteren Geldtransporter in Wolfsburg – ebenfalls erfolglos – überfallen hatte. Gegen Staub, Klette und Garweg bestehen Haftbefehle wegen des Verdachts des versuchten Mordes und des versuchten schweren Raubs.
Die drei schlossen sich 1990 der sogenannten dritten Generation der RAF an, die zwischen 1984 und 1991 zehn Morde und drei Mordversuche verübt und 29 Menschen verletzt hatte. Außerdem jagte sie 1993 den Gefängnis-Neubau in Weiterstadt bei Darmstadt in die Luft. Verletzt wurde niemand. In Weiterstadt fand man Spuren von Klette, Staub und Garweg. Staub ist inzwischen 61, Klette 57 und Garweg 47 Jahre alt.
Die RAF hatte am 20. April 1998, fast 28 Jahre nach ihrer Gründung, in einem achtseitigen Schreiben an diverse Medien ihre Selbstauflösung verkündet. „Das Ende dieses Projekts zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten“, schrieben die Autoren.
Kaum vorstellbar, dass plötzlich wieder die RAF aufsteht. Das Trio benötigte wohl bloß Geld für den Lebensunterhalt. Erfahrung mit so einem Überfall besitzt es ja. Schon am 30. Juli 1999 in Duisburg-Rheinhausen hatten Klette und Staub einen Geldtransporter überfallen, diesmal in Duisburg-Rheinhausen, und dabei mehr als eine Million D-Mark erbeutet. Ein dritter Täter war auch am Werk, die Ermittler gehen davon aus, dass es Garweg war.
Seit damals gab es keine Spuren mehr von Klette, Staub und Garweg. Wenig verwunderlich, sie gehörten der dritten Generation der RAF an. Die hatte sich 1984 geformt und bestand bis zur Selbstauflösung. Zehn Tote, drei Mordversuche, mehr als zwei Dutzend Verletzte, Millionenschaden, das ist die blutige Bilanz dieser Gruppe. Und, am schlimmsten für die Ermittler, die Terroristen haben bis heute zumindest teilweise recht mit dem höhnischen Satz, den sie in den 90er Jahren mal über ihre Fahnder geschrieben hatten: „Sie wissen nicht viel über uns. Sie haben noch nie wirklich durchgeblickt, wie unsere Strukturen aussehen oder wer in der RAF organisiert ist.“
Der Mord an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, der Mord an MTU- Chef Ernst Zimmermann, der Mord an Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder, nur drei Beispiele – nie aufgeklärt, genauso wenig wie nahezu alle anderen Attentate. Nicht mal Namen von Verdächtigen sind bekannt. Die Ermittler kennen auch nicht alle Mitglieder der dritten Generation. Lediglich zwei der dritten Generation wurden verhaftet: Birgit Hogefeld und Eva Haule. Wolfgang Grams beging beim Versuch, ihn und Hogefeld in Bad Kleinen zu verhaften, Selbstmord. Grams hatte zuvor einen GSG-Beamten erschossen. Nur dieser Mord wurde aufgeklärt, kein Wunder, es gab ja genügend Zeugen. Staub wurde 1984 mit fünf anderen Terroristen verhaftet, damals war die RAF damit zerschlagen. Kurz danach aber gründete sich die dritte Generation, maßgeblich angetrieben von Grams und Hogefeld. Nach seiner Haftentlassung stieß Staub 1990 wieder zur RAF, ungefähr zur gleichen Zeit tauchten auch Daniela Klette, die Grams und Hogefeld kannte, sowie Garweg ab. Garweg kam aus der Szene der Hafenstraße in Hamburg.
Die dritte Generation entwickelte sich immer mehr zum Mythos, weil es kaum Spuren zu den RAF-Leuten gab. Haule wurde 1986 von einem „Oberverdachtsschöpfer“ (Polizei) in einem Eiscafé in Rüsselsheim erkannt und verhaftet, auf die Spur von Grams und Hogefeld wurde die Polizei von einem V-Mann des Verfassungsschutzes geführt. Aber sonst: fast nichts. „Die Terroristen haben aus den Prozessen gegen die Mitglieder der zweiten Generation gelernt“, sagt Klaus Pflieger, bei der Bundesanwaltschaft früher auch für die RAF zuständig. Er führte den Prozess gegen Haule. Die RAF-Mitglieder der dritten Generation verzichten weitgehend auf Autos und fuhren vorzugsweise Bahn, sie zogen in Wohnungen, die für eine gewisse Zeit untervermietet wurden. Der Mietvertrag lief weiter über den Hauptmieter. Die Terroristen hinterließen auch keine Fingerabdrücke mehr, weil sie sich offenbar Wundspray auf die Kuppen sprühten.
Auch diverse Zeugenaussagen über die Täter brachten keinen Erfolg. „Natürlich haben viele Leute die RAF-Mitglieder gesehen“, sagt Pflieger. Zum Beispiel bei der wochenlangen Vorbereitung bei dem Attentat auf Alfred Herrhausen. „Trotzdem war niemand in der Lage, diese Leute genau zu beschreiben, geschweige denn, sie auf Lichtbildern wiederzuerkennen.“
Doch jetzt, seit dem Überfall von Stuhr, gibt es Phantombilder, neue Bilder der Täter. Ein Fortschritt, sagt Pflieger, "jetzt wissen wir, wie die Leute aktuell aussehen". Und nun, so hofft er, "gibt es vielleicht auch neue Ansätze zu Ermittlungen". Aber mehr als Hoffnung gibt es nicht.