Notwendige Investitionen: Die Regierung muss sich von der Schuldenbremse verabschieden
Die Bundesregierung verschleppt Investitionen - auch, weil sie ihre Bürger nicht über wirtschaftliche Zusammenhänge aufklärt. Eine Kolumne.
Zuletzt war es Christine Lagarde, die versuchte, den Deutschen ins Gewissen zu reden. „Es fehlt an Solidarität in der Euro-Zone“, beklagte die neue Präsidentin der EZB. „Diejenigen, die den Handlungsspielraum und einen Haushaltsüberschuss haben, also Deutschland, warum nutzen sie das nicht und investieren in die Infrastruktur? Warum investieren sie nicht in die Bildung, warum nicht in Innovation, um ein besseres Gleichgewicht zu erreichen?", hielt sie der Merkel-Regierung vor.
Aber Lagarde ergeht es wie ihrem Vorgänger Mario Draghi oder den Experten der EU-Kommission, des IWF und so gut wie allen anderen nicht-deutschen Ökonomen von Rang: Bei Deutschlands Regierenden stoßen sie auf taube Ohren. Diese halten eisern an ihrer schwarzen Null und der Schuldenbremse fest und können sich dabei der Unterstützung ihrer Wähler sicher sein.
Warum ist das so? Haben die Deutschen einen Geldfimmel?
Die Konjunktur geht europaweit in die Knie
An den Argumenten kann es nicht liegen. Infolge des Störfeuers aus Washington und des Endes des China-Booms geht die Konjunktur europaweit in die Knie. Die deutsche Industrieproduktion schrumpft seit mehr als einem Jahr. Zudem fährt der Staat die Infrastruktur konsequent auf Verschleiß. Davon zeugen marode Schulen, Straßen und Brücken sowie das chronisch überlastete Bahnsystem und die zu Weltruhm gelangten deutschen „Funklöcher“. Allein bei den Kommunen beläuft sich der Investitionsstau nach Berechnung der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf 138 Milliarden Euro.
Und längst ist auch klar, dass es enorme staatlichen Ausgaben erfordern wird, den zwingend notwendigen ökologischen Umbau der Volkswirtschaft zu betreiben. Gleichzeitig könnte die öffentliche Hand all das praktisch kostenlos finanzieren. Zuletzt waren Anleger sogar bereit, deutsche Staatsanleihen zu negativen Zinsen zu kaufen.
Von all dem wollen aber Finanzminister Olaf Scholz und seine Kanzlerin nichts wissen. „Deutschland betreibt eine sehr expansive Finanzpolitik“, verteidigt sich Scholz. Dabei weiß er natürlich, dass es nach einem Jahrzehnt der Unterinvestition mit ein paar Milliarden mehr aus laufenden Überschüssen nicht getan ist. Warum also verweigert sich Deutschlands politische Klasse der Einsicht, dass die notwendigen Investitionen mit Krediten zu finanzieren sind? Liegt es womöglich am ökonomischen Analphabetismus ihrer Wähler, den sie nicht wagen, herauszufordern?
Die beiden mythischen Figuren im Finanzdiskurs passen nicht zusammen: Die schwäbische Hausfrau und der Kleinsparer
Dafür stehen die beiden mythischen Figuren im deutschen Finanzdiskurs: Die schwäbische Hausfrau und der Kleinsparer. Die eine glaubt an das Prinzip, dass Schulden grundsätzlich schlecht sind, weil man nicht weiß, ob die künftigen Einnahmen für die Rückzahlung reichen. Diese Logik ist zwar nicht auf den Staat übertragbar, weil der eben kein privates Unternehmen ist, sondern die strukturelle Grundlage der Wirtschaft stellt, die ohne kreditfinanzierte Investitionen nicht funktioniert. Trotzdem hat die große Koalition dieses Prinzip sogar im Grundgesetz verankert – „die dümmste wirtschaftspolitische Entscheidung eines G-7-Landes“, die es je gab, wie die Financial Times schrieb.
Der oft beschworene deutsche Sparer wiederum meint, dass er ein Recht auf Zinsen hat, und dass diese quasi vom Amt zu garantieren sind, ohne zu wissen, wo sie herkommen sollen.
Die Regierung muss die Bürger über Zusammenhänge aufklären
Es ist offenkundig, dass beides nicht zusammenpasst. Darum wäre es eine zentrale Aufgabe der Regierung, die Bürger über die Zusammenhänge aufzuklären. Kämen Scholz und seine Kollegen dem nach, dann würden sie aufzeigen, dass die privaten Unternehmen anders als früher heutzutage Netto-Sparer sind und im Schnitt gar keine zusätzlichen Kredite mehr aufnehmen. Sie würden erklären, dass nicht die EZB, sondern das Überangebot an Kapital die Zinsen auf null drückt. Und sie würden dafür werben, dass einzig der Staat als Investor die Lücke füllen kann und die Schuldenbremse aufgehoben werden muss. Aber für diesen ehrlichen Diskurs über die Irrtümer der Vergangenheit fehlt Scholz und Merkel der Mut, weil sie fürchten, mit dem Aussprechen der Wahrheit noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren.
Doch es ist genau umgekehrt. Gerade weil sie am Weiter-so festhalten, erscheinen sie gelähmt und unfähig. Bleibt es dabei, sind auch in Deutschland die Volksparteien bald Geschichte.