Politik: Die Rebellen reihen sich ein
Nur zwei Enthaltungen, keine Gegenstimme: In Sachen Koalitionsvertrag ist die CDU diszipliniert.
Berlin - Mit den Rebellen sieht es in der CDU so aus, dass Philipp Mißfelder ans Rednerpult tritt und erst mal festhält: „Ich werd’ diesem Koalitionsvertrag zustimmen.“ Der Chef der Jungen Union gehört zu den Autoren des Manifests „CDU 2017“, das es in den letzten Tagen zu einiger Prominenz gebracht hat, weil sich darin wenigstens ein bisschen christdemokratischer Widerspruch gegen die Regierungsvereinbarung mit der SPD artikuliert. Mißfelder trägt dem Kleinen CDU-Parteitag die neuralgischen Punkte vor: Die Rentenbeschlüsse, sowohl die Mütterrente (CDU/CSU) als auch die Frührente mit 63 (SPD), drohen zulasten der Jungen zu gehen, sobald die Wirtschaftslage nicht mehr so rosig sein sollte wie heute. Andererseits – dass sich die Union bei der Haushaltspolitik durchgesetzt habe gegen die SPD-Wünsche, sei ein „großer Erfolg“ auch für die Generationengerechtigkeit, lobt Mißfelder.
Der JU-Chef und seine Mitstreiter gehören also zur übergroßen Mehrheit der 165 Ja-Sager, als der Kleine Parteitag über den Koalitionsvertrag abstimmt. Zwei Enthaltungen, keine Gegenstimme. Was die Teilnehmerzahl betrifft, kein Vergleich zu den Versammlungen, auf denen in diesen Tagen der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel seine Basis von dem Regierungsbündnis zu überzeugen versucht. Ruppiger geht es da auch zu. Immerhin, ein CDU-Redner wird später dem SPD-Basisvotum sogar einen gewissen Vorbildcharakter zusprechen: Beim Beschluss über das nächste Wahlprogramm könne man doch auch die CDU-Basis fragen. Aber die CDU, hat am Morgen ein Präsidiumsmitglied konstatiert, ist im Prinzip anders: „Die CDU ist eine erfolgreiche Partei, und solange das so ist, wird es auch von niemandem bestritten.“
Die Frau, auf deren Konto der Erfolg zum größten Teil geht, muss sich folglich nicht groß mit Überzeugungsarbeit mühen. Angela Merkel erinnert trotzdem in ihrem ersten Satz daran, dass die Union mit 41,5 Prozent der Wählerstimmen einen Rekordwert erreicht hat, den eigentlich niemand mehr für möglich hielt. Der Zuwachs um fast zehn Prozentpunkte sei sogar der größte für eine einzelne Partei seit der Bundestagswahl 1953 – „da war ich noch gar nicht geboren!“.
Die CDU-Chefin bleibt dann noch ein wenig bei diesen erfreulichen Zahlen. Sie ist das ihrer Partei schuldig. Denn auch dort ist ja in den langen Wochen der Koalitionsverhandlungen hier und da der Eindruck entstanden, dass nicht die Wahlgewinner politisch den Takt angeben, sondern die Wahlverlierer von der SPD. Merkel will da etwas geraderücken: „Ich glaube, man muss zum Schluss eine Gesamtschau machen.“ In dieser Gesamtschau spielt das Wort „verantwortbar“ eine tragende Rolle. Der Mindestlohn – ein schwieriger Kompromiss, aber von Anfang an der Mindestpreis der SPD für eine Koalition und angesichts der vereinbarten Übergangsfristen und Ausnahmen „verantwortbar“. Die Frührente mit 63 Jahren – „schweren Herzens“ habe man mitgemacht, „aber es ist ein zentraler Wunsch der SPD gewesen“. Und insgesamt, wiederum, verantwortbar.
Ein klein bisschen ruppig wird Merkel nur bei einem Punkt: der Kritik der Jungen an der Mütterrente. Seit Jahren hat ein CDU-Parteitag nach dem anderen beschlossen, dass Müttern, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben, die Rente ebenso aufgebessert werden sollte wie denen nach dem Stichjahr. „Wir haben uns entschieden, es zu wollen“, merkt die CDU-Chefin spitz an, „und wenn es nun kommt, bitte ich darum, hinterher nicht wieder Abstand davon zu nehmen.“
Das zweite Klübchen parteiinterner Kritiker muss sich derlei Zurechtweisung nicht anhören, was vermutlich daran liegt, dass die Unzufriedenheit des Wirtschaftsflügels inzwischen zur Parteifolklore zählt. Carsten Linnemann, frisch gewählter Chef der Mittelstandsunion, will sich in der Abstimmung enthalten. „Man muss auch mal Nein sagen können“, sagt Linnemann. Zu viel Regulierung für die Wirtschaft, die Frührente mit 63 ein Systembruch, zu wenig ausdrückliche Unterstützung für den Mittelstand – der Wirtschaftsflügel will ein Zeichen setzen.
Aber so ein richtiges Rebellentum steckt auch darin nicht. Linnemann verspricht ausdrücklich, dass sich die Mittelständler bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags „konstruktiv“ einbringen wollten. Von dieser Umsetzung versprechen sie sich ohnehin einiges. „Der Koalitionsvertrag ist kein Gesetz“, sagt Linnemann hoffnungsfroh. Sein Kollege Dieter Bischoff wendet auf die 185 Seiten gleich das rheinische Grundgesetz an. „Et is noch immer jot jegange“, tröstet der Aachener sich selbst und die anderen Unzufriedenen: Am Ende ist es noch immer gut gegangen. Ein Satz, den Merkel diesmal voll unterschreiben kann: Denn eindeutiger hätte die CDU den Koalitionsvertrag kaum billigen können.
Robert Birnbaum
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