zum Hauptinhalt
Die Ereignisse in der Silvesternacht vor dem Kölner Dom haben die Debattenkultur in Deutschland verändert.
© dpa

Nach den Übergriffen in Köln: Die Politik macht Druck - was geplant ist, was möglich ist

Nach den Übergriffen von Köln geht es plötzlich ganz schnell. Welche Gesetzesänderungen die Bundesregierung plant und welche Schwierigkeiten es mit der Umsetzung geben wird. Fragen und Antworten.

Es kann auf einmal gar nicht schnell genug gehen. Wer das Straf- und das Asylrecht verschärfen wollte, musste sich bisher in Deutschland auf lange, schwierige Debatten einstellen. Doch seit der Kölner Silvesternacht leistet selbst ein diskussionsfreudiger SPD-Linker wie Ralf Stegner nur noch symbolischen Widerstand. „Wir dürfen nicht in hysterische Debatten verfallen“, warnt der Parteivize – bloß um drei Sätze weiter einzuräumen: „Wenn die große Koalition nicht Handlungsfähigkeit zeigt bei dem Thema, dann heißen die Gewinner AfD und andere.“ Doch so rasch sich Union und SPD im Prinzip darauf einigen können, dass das Gastrecht verwirkt, wer es missbraucht, so schwierig ist der Satz oft im juristischen Detail umzusetzen.

Welche Vorstöße gibt es im Strafrecht?

Die CDU hat bei ihrer Vorstandsklausur am Wochenende in Mainz eine ganze Reihe von Strafverschärfungen beschlossen. Sie betreffen vor allem sexuelle Gewalt. Dass eine Vergewaltigung auch dann eine ist, wenn der Täter keine Gewalt im engen Wortsinn anwandte, fordern längst internationale Konventionen. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat schon vor Köln eine Änderung vorgelegt (siehe nebenstehenden Artikel).

Die Union sträubte sich bisher, weil ihre Innen- und Rechtspolitiker die Gefahr sahen, dass das Strafrecht per erfundener Vergewaltigung für Racheakte missbraucht werden könnte. Zusätzlich will die CDU nun auch andere sexuelle Übergriffe bis hin zum „Grabschen“ zur Straftat machen und zumindest prüfen, das untere Strafmaß für diese Attacken anzuheben. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Täter von Köln das geltende Recht kaum zu fürchten haben.

Härter ahnden wollen die Christdemokraten auch Angriffe auf Polizeibeamte. Grobe Respektlosigkeit gegen Ordnungskräfte soll zudem als Ordnungswidrigkeit teurer werden als bisher.

Allerdings räumen auch CDU-Politiker ein, dass alle Strafverschärfungen wenig nutzen, wenn Täter in der Praxis darauf bauen können, dass sie die Mühlen der deutschen Gerechtigkeit, wenn überhaupt, nur langsam und spät erfassen.

Was kann im Ausländerrecht geschehen?

Strittig ist in der Koalition, ob überhaupt und wenn ja, welche Verschärfungen im Ausländer- und Asylrecht es geben soll. Die Union will Asylsuchenden und Flüchtlingen den Aufenthaltsstatus entziehen – oder gar nicht erst gewähren –, wenn sie straffällig werden. Die Folge wäre dann theoretisch eine Ausweisung. Bisher muss ein Flüchtling für eine schwere Straftat zu Haft verurteilt worden sein, bevor er sein Gastrecht verlieren kann. Im Detail bestimmt das Aufenthaltsgesetz, dass der Staat ab zwei Jahren Haft ein „besonders schwerwiegendes“ Ausweisungsinteresse geltend machen kann, das das Bleiberecht überwiegt; ein „schwerwiegendes“ Ausweisungsinteresse kann durch eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr entstehen.

Künftig soll nach dem Willen der CDU sogar schon eine Bewährungsstrafe reichen. Auch diese Forderung, die maßgeblich Fraktionschef Volker Kauder in den Beschluss der CDU-Spitze befördert hat, ist ein direkter Reflex auf die Kölner Silvesternacht.

Welche Bedenken gibt es?

Die SPD hält aber dagegen, dass solche Verschärfungen gegen das Völkerrecht verstoßen könnten, etwa die Genfer Flüchtlingskonvention. Überdies vertritt das SPD-geführte Justizministerium anders als das Innenministerium die Auffassung, dass hier Veränderungen gar nicht nötig seien, weil das erste Asylpaket, das seit Jahreswechsel in Kraft ist, die Ausweisung von Straftätern schon erleichtert.

Gibt es auch konservative Kritik an den Plänen der Regierung?

Der ehemalige bayerische Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) hat die Reaktion der großen Koalition auf die Übergriffe in Köln und anderen Städten kritisiert. „Die rhetorische Härte soll den Bürgern den Eindruck vermitteln, dass die unbestreitbaren Missstände schnell und konsequent abgestellt werden“, sagte Beckstein dem Tagesspiegel: „Viele Bürger werden dies nicht glauben – und zwar mit vollem Recht nicht.“ Die Erfahrung lehre, dass auch überführte Straftäter ohne deutschen Pass im Land blieben. „Die schnelle Ausweisung und Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ist rechtlich und faktisch nicht machbar“, sagte der langjährige Innenminister.

Welche Hindernisse gibt es bei der Abschiebungspraxis?

Tatsächlich dürfte das Hauptproblem auch hier in der Praxis liegen. Für den straffälligen Flüchtling gelten nämlich genau wie für den nicht anerkannten eine ganze Reihe von Abschiebehindernissen. Wem in seiner Heimat Gefahr für Leib und Leben droht, darf nicht abgeschoben werden. Aus dem gleichen Grund dürfte die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel meist ins Leere laufen, Straftäter ihre Strafe in ihrem Heimatland absitzen zu lassen.

Aber selbst wenn ein Ausländer daheim nichts zu befürchten hat, gestalten sich Abschiebungen und Rückführungen oft zu absurden Verwaltungsmarathons. Denn es ist nicht damit getan, einen Asylbewerber ins Flugzeug nach Hause zu setzen – seine Heimat muss sich vorher zur Aufnahme bereit erklären. Das scheitert nicht selten schon daran, dass sich die Heimatstaaten taub stellen oder behaupten, den fraglichen Bürger gar nicht zu kennen.

Wie verhalten sich Abschiebeländer?

Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern erklären. Schon 2013 hat das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN), zu dem auch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) gehört, eine Studie vorgelegt, wonach eine Reihe von Botschaften sich wenig kooperativ bei der geplanten Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern verhielten. Wobei die Autoren der Studie es offen ließen, ob die Botschaften aus Widerwillen nicht kooperieren oder aus Überforderung. In vielen Ländern gibt es keine Melderegister, die Feststellung der Identität eines abgelehnten Asylbewerbers ist also schwierig, wenn er über keine Papiere mehr verfügt – oder sie vernichtet hat. Ende 2014 sollen sich 400 Anträge auf eine Feststellung der Identität abzuschiebender Tunesier in der Botschaft des Landes gestapelt haben. Auch Marokko tut sich demnach schwer damit, Ersatzpapiere auszustellen, die eine Abschiebung ermöglichen würden. Daran würde sich aber nichts ändern, wenn diese Länder als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft würden. Denn zur Rückführung braucht es Papiere.

Wie kann das Problem fehlender Papiere gelöst werden?

Nach einem Vorschlag der EU-Kommission vom vergangenen Dezember könnte dies Problem mit europäischen Reise-Ersatzdokumenten („Laissez-Passer“) gelöst werden, die von den Behörden in den EU-Mitgliedstaaten ausgestellt werden. Das neue „Laissez-Passer“-Dokument soll dem Vorschlag zufolge innerhalb der EU ein einheitliches Format erhalten und Angaben zu Namen, Vornamen, Geburtstag und Nationalität des nicht asylberechtigten Migranten enthalten. Das Papier soll nur für eine einzige Ausreise aus der EU gültig sein. Zwar beschloss die EU schon 1994 die Einführung eines internationalen Passersatzes. Allerdings machen die europäischen Mitgliedstaaten von diesem EU-Dokument nur selten Gebrauch. Der Grund: Zahlreiche afrikanische Länder sowie Pakistan und Sri Lanka lehnen die Papiere häufig ab. In vielen Herkunftsstaaten wurde in der Vergangenheit kritisiert, dass die bisher verwendeten „Laissez-Passer“-Dokumente nicht fälschungssicher seien. Mit den neuen Papieren soll dies anders werden.

Wie können Ghettos verhindert werden?

Das Beispiel Frankreich schreckt deutsche Politiker schon lange. Im Nachbarland leben viele Zuwanderer in Hochhaussiedlungen am Rande der Großstädte, in die sich selbst die Polizei nur noch schwer bewaffnet wagt. Um einen ähnlichen Ghetto-Effekt in Deutschland zu verhindern, erwägt die Bundesregierung, Flüchtlingen für einige Jahre den Wohnort vorzuschreiben. Für die Dauer der Aufenthaltsprüfung ist das schon möglich. Wer allerdings als Asylsuchender oder Flüchtling anerkannt ist, kann sich ab da frei im Land bewegen.

Lässt sich die deutsche Entwicklungshilfe als Hebel im Kampf gegen kriminelle Flüchtlinge nutzen?

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) schlug am Wochenende vor, die Entwicklungshilfe als Sanktionsmittel einzusetzen, wenn Herkunftsländer keine abgelehnten Asylbewerber zurücknehmen. Der zuständige Entwicklungsminister lehnt das kategorisch ab. „Dieser Vorschlag ist nicht zielführend“, sagte Gerd Müller (CSU) dem Tagesspiegel. „Wenn wir Staaten die Nahrungsmittelhilfe streichen, werden nur noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen“, warnt der CSU-Politiker.

Gibt es neue Erkenntnisse zu den Übergriffen in Köln?

Im Innenausschuss von Nordrhein-Westfalen ging es am Montag hoch her. „Die Vorfälle in Ihrem Ressort haben ja schon Tradition“, sagte der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke gleich zu Beginn an Innenminister Ralf Jäger gerichtet. Der nutzte die Gelegenheit zu einer Vorwärtsverteidigung. „Die Polizei hat in der Silvesternacht ein nicht akzeptables Bild abgeliefert.“ Sich selbst sieht er nicht als verantwortlich an. Jäger: „Es ist völlig ausgeschlossen, dass ein Ministerium in irgendeiner Weise in eine operative Lage eingreifen kann oder will.“ Nun solle alles lückenlos auf den Tisch. Das geschah dann auch. Die Kölner Polizeiführung hatte am Silvesterabend bereits frühzeitig Hinweise auf eine stark alkoholisierte, enthemmte Männermenge am Hauptbahnhof gehabt, berichtete Polizei-Inspekteur Bernd Heine. Bereits gegen 21 Uhr habe der Polizeiführer Erkenntnisse über bis zu 500 Männer mit Migrationshintergrund auf dem Bahnhofsvorplatz gehabt. Obwohl unkontrolliert Feuerwerkskörper geworfen worden seien und die Gruppe bis 23 Uhr auf etwa 1000 Personen angewachsen sei, sei keine Verstärkung angefordert worden. Dabei hätten viele Einsatzreserven zur Verfügung gestanden, berichtete Heinen. Dem Polizeipräsidium Köln seien von der Landesleitstelle der Polizei Unterstützungskräfte angeboten worden. Der Dienstgruppenleiter der Leitstelle des Polizeipräsidiums Köln habe dies jedoch nicht für erforderlich gehalten.

Zur Startseite