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Russische Truppen führen seit vier Wochen Krieg in der Ukraine.
© AFP

Propaganda-Panne oder Hackerangriff?: Die plausible Erklärung für den Bericht über russische Kriegstote

Eine russische Zeitung schreibt, dass fast 10.000 Soldaten der eigenen Truppen in der Ukraine gefallen sind. Dann wird der Artikel gelöscht – und beschwichtigt.

Die in Moskau erscheinende „Komsomolskaja Prawda“ überraschte am vergangenen Sonntag auf ihrer Web-Seite mit einer Zahl der in der Ukraine getöteten russischen Soldaten, die ihre Leser erschrecken musste. 9861 Soldaten seien bereits gefallen in dem russischen Krieg gegen die Ukraine, der auf der Seite der „Komsomolka“ anordnungsgemäß „Spezialoperation“ heißt.

Nur kurz war diese Zahl zu lesen, bevor sie gelöscht wurde. Am nächsten Tag gab es aber immerhin eine Erklärung: Die Seite sei gehackt und eine Falschmeldung aufgespielt worden, teilte die „Komsomolka“ mit. „Die falsche Information wurde umgehend beseitigt.“

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In Moskau gibt es nur zwei offizielle Zahlen über die russischen Opfer in diesem Krieg. Das Verteidigungsministerium hatte sie Anfang März bekanntgegeben: 498 Gefallene und 1597 Verwundete. Danach wurden in den täglichen Briefings des Verteidigungsministeriums über den Kriegsverlauf nie wieder Angaben über Getötete gemacht.

Dass die Information, die das Schweigen über die russischen Gefallenen brach, auf einen Cyberangriff zurückgeht, ist plausibel. Die Redaktion liegt voll auf der Linie der offiziellen Kremlerzählung über den Krieg im Nachbarland. Korrespondent Dmitri Steschin berichtete am Dienstag in einem Video aus dem „gequälten Mariupol“, der Hafenstadt im Südosten der Ukraine.

In seinem Bericht sind es nicht die russischen Soldaten, die die Bewohner der Stadt quälen, sondern die „ukrainischen Nazisten“. Die russischen Soldaten hätten dagegen eine „Straße des Lebens“ freigekämpft für die Flüchtlinge, die der Korrespondent nun begleitet.

Jeden Tag Nachrufe

An der Spitze der Homepage stand am gleichen Tag lange ein Bericht darüber, wie die russische Nationalgarde in der Region Charkiw 80 Tonnen humanitäre Hilfsgüter an Menschen verteilte, die sich vor dem Beschuss durch die angreifenden ukrainischen Streitkräfte in den Kellern versteckt hatten. Abgelöst wurde der Text von einem mit der Überschrift: „Selenskyj spielt auf Zeit vor der unabwendbaren Kapitulation.“

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Jeden Tag sind in der „Komsomolka“ auch einer oder mehrere Nachrufe auf gefallene Soldaten oder Berichte von deren Begräbnis in den Heimatorten zu lesen. Die Toten stammen aus vielen Teilen Russlands, auffälliger Weise meist allerdings nicht aus Regionen, die an die Ukraine angrenzen.

Wenig überraschend, dass der ukrainische Generalstab mit ganz anderen Zahlen als Moskau arbeitet. Er bezifferte die russischen Verluste am Dienstag auf 15300 Mann, was westliche Geheimdienste jedoch für übertrieben halten. Dort hört man Zahlen zwischen 7000 und 9000 getöteten russischen Soldaten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schilderte die Situation in Botschaften an das russische Volk bereits mehrmals mit drastischen Worten: „An den Brennpunkten besonders schwerer Kämpfe sind unsere vordersten Abwehrlinien mit Leichen russischer Soldaten praktisch überhäuft“, sagte er etwa in der Nacht zum Sonntag. Auch diese Darstellung lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Ebensowenig wie die Veröffentlichungen der „Ukrainska Prawda“, die auf ihrer Homepage die Porträts und Biografien von inzwischen sechs russischen Generälen veröffentlicht, die in dem Krieg bereits gefallen sein sollen.

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