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Der Spitzenverband der Pflegeversicherungen will mehr Transparenz in der Bewertung von Heimen und Diensten.
© dpa

Verbandsvorstand verspricht neues Bewertungssystem: „Die Pflegenoten stehen zu Recht in der Kritik"

Die Kassen wollen bis 2017 ein neues Pflegenotensystem. Man müsse Qualitätsunterschiede deutlicher machen und den Heimbetreibern Blockademöglichkeiten nehmen, sagt Gernot Kiefer vom Spitzenverband der gesetzlichen Pflegeversicherung.

Herr Kiefer, zum Januar steigt der Pflegebeitrag um 0,3 Prozentpunkte. Das sind für die Versicherten bis zu 144 Euro mehr im Jahr. Was bekommen sie dafür?
Fast alle Leistungen steigen um vier Prozent. Außerdem werden sie flexibler und sind besser miteinander zu kombinieren. Ein Beispiel: Ein Pflegebedürftiger der Stufe zwei wird vom ambulanten Pflegedienst betreut und lebt im Haushalt der berufstätigen Tochter. Bisher konnte er pro Jahr Leistungen von bis zu 27 581 Euro in Anspruch nehmen. Künftig sind es 38 599 Euro – also sogar 40 Prozent mehr.

Die Summe ist so hoch, weil Sie auch alle neuen und erweiterten Zusatzangebote einbeziehen: Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege, niedrigschwellige Betreuung. Aber wird das alles auch genutzt? Sind solche Kombinationen nicht viel zu kompliziert?
Das System ist komplexer geworden, keine Frage. Aber das ist angemessen angesichts des oft ganz unterschiedlichen Bedarfs. Wenn man alles nur grob über einen Betrag finanzieren würde, wäre es ungerecht. Im Übrigen stellen sich die Pflegekassen darauf ein, dass gute Beratung wichtiger wird.

In Kürze wird’s noch mal teurer. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff kostet weitere 0,2 Punkte. Warum solche Flickschusterei und nicht alles auf einmal?
Wenn man erkannt hat, dass Leistungsverbesserungen nötig sind, gibt es keinen Grund zu warten, bis auch der zweite Schritt, nämlich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff fertig ist. Die Neudefinition muss schließlich solide vorbereitet werden. Gerade haben wir einen Probelauf mit der Begutachtung von Pflegebedürftigen nach den neuen Kriterien abgeschlossen. Die erste Einschätzung: Die Einstufung ist viel angemessener mit Blick auf die jeweilige Lebenssituation als bisher.

Was heißt das?
Bei den neuen Pflegestufen geht es nicht mehr nur um körperliche Defizite. Die Frage für die Gutachter ist künftig: Wie selbstständig können die Betroffenen noch leben? Schaffen sie es noch, einkaufen zu gehen, Altennachmittage zu besuchen, Geld abzuheben? Das wurde seit dem Sommer quer über die Republik erprobt, anhand von 1700 Begutachtungen. Und es zeichnet sich ab, dass die neuen Kriterien funktionieren – sogar bei der schwierigen Begutachtung pflegebedürftiger Kinder.

Was ist denn momentan das größte Problem? Die Qualität der Pflege, ihre Kosten, der Mangel an Pflegekräften?
Ein großes Problem ist es, sicherzustellen, dass die Pfleger in den Einrichtungen angemessen vergütet werden. Ich setze darauf, dass die Träger ihrer abstrakten Erkenntnis, dass man für gute Leistungen auch qualifiziertes Personal benötigt, nun endlich auch Taten folgen lassen.

Es gibt ja jetzt auch den gesetzlichen Mindestlohn. Haben Sie mal berechnet, um wie viel sich dadurch die Pflege in Deutschland verteuern wird?
Nein, denn mit Verlaub: Eine qualifizierte Pflegekraft auf dem Niveau des Mindestlohns zu bezahlen, halte ich für unangemessen.

Fakt ist doch, dass Pflegekräfte bei ambulanten Diensten in Ostdeutschland oft sogar noch niedriger bezahlt wurden ...
Ja, aber das ist doch nicht in Ordnung! Wer qualifizierte Pflege erbringt, egal ob in West oder in Ost, gehört klar oberhalb des Mindestlohns vergütet.

Herr Kiefer, wie gut oder wie schlecht ist die Pflegequalität in Deutschland?
In den vergangenen zehn Jahren hat sie sich deutlich verbessert. Es wird angemessener auf Ernährung geachtet, auf Risiken des Wundliegens. Allerdings sind wir nicht so weit, dass wir uns zurücklehnen könnten. Und die Pflegenoten stehen zu Recht in der Kritik. Sie schaffen es nicht, so zu differenzieren und Qualitätsunterschiede deutlich zu machen, wie sie es sollten. Schlechte Bewertungen werden mit guten ausgeglichen, und am Ende steht fast überall eine Eins vor dem Komma. Das spiegelt nicht die Realität, und es hilft keinem bei der Entscheidung.

Woran liegt es, dass das Bewertungssystem nicht funktioniert?
Wir mussten uns bei den Kriterien mit den Betreibern einigen, die an Transparenz ein geringeres Interesse haben. Heraus kommen also Kompromisse, teilweise erzwungen durch Schiedsamt-Entscheidungen. So verliert das Bewertungssystem an Klarheit und Aussagekraft.

Warum hat man sich darauf eingelassen? Schüler dürfen ihre Noten doch auch nicht mit den Lehrern aushandeln.
Diese gesetzliche Vorgabe ist unter dem Befund einer teilweise katastrophalen Situation in den Heimen entstanden. Die Politik wollte systematische Qualitätskontrollen und Transparenz. Das war richtig. Doch wenn man beispielsweise die Grenzwerte von Braunkohlekraftwerken festlegen will, fragt man auch nicht zuerst die Kraftwerksbetreiber, wie sie es gerne hätten. Man muss schon selber ein klares Bild haben: Was sind die richtigen Grenzwerte, was ist Pflegequalität? Dabei muss man die Anregungen der Heimbetreiber einbeziehen, aber man darf ihnen keine Blockademöglichkeiten geben.

Der Pflegebeauftragte der Regierung fordert, die Schulnoten wegen „Irreführung“ erst mal ganz abzuschaffen ...
Damit würden wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Wenn man jetzt alles aussetzen würde, bekämen wir für die nächsten fünf bis zehn Jahre gar kein verständliches Transparenzsystem mehr hin. Nein, wir wollen die Defizite des Benotungssystems zügig beseitigen. Wesentliche Kriterien müssen das Gesamtergebnis viel stärker beeinflussen als bisher. Dafür sind wir mit Pflegewissenschaftlern im Gespräch. Wenn der Gesetzgeber mitmacht, wären wir sehr gut in der Lage, zum 1. Januar 2017 ein komplett renoviertes, aufs Wesentliche bezogene System von Pflegetransparenz in die Fläche zu bringen.

Ist die Finanzierung der Pflege denn jetzt erst mal gesichert oder braucht es immer neue Beitragserhöhungen?
Aktuell ist die Finanzlage gut. Wir haben 6,1 Milliarden Euro an Rücklagen. Meine Prognose ist, dass wir mit den Beiträgen, die jetzt vorgesehen sind, bis Ende 2017 gut auskommen. Angesichts der demografischen Entwicklungen werden künftige Regierungen aber wohl immer wieder an den Beiträgen schrauben müssen.

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