Verhandlungen in Brüssel: Die neue EU-Klimaformel
Die Verhandler preisen den Klimakompromiss von Brüssel. Kritiker sagen dagegen, dass die EU sich aus dem ambitionierten Klimaschutz verabschiedet habe. Was genau wurde in Brüssel festgelegt?
Die neue europäische Klimaformel bis 2030 heißt: 40 – 27 – 27. In der Nacht zum Freitag haben sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, dass die EU ihren Treibhausgasausstoß bis 2030 um „mindestens 40 Prozent“ im Vergleich zu 1990 mindern soll. Der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch soll 2030 bei „mindestens 27 Prozent“ liegen. Und auch die Energieeffizienz soll bis 2030 um 27 Prozent höher liegen als 2005. Der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy twitterte um 2 Uhr: „Deal! Die anspruchsvollste, kosteneffektivste und fairste Klimapolitik der Welt beschlossen.“ Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte: „Auch wenn sich Deutschland mehr gewünscht hätte, begrüße ich, dass der gordische Knoten zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten durchgeschlagen werden konnte.“ Die Umweltverbände sehen das weniger euphorisch. Aus ihrer Sicht hat sich die EU mit diesen Beschlüssen aus der globalen Klimapolitik verabschiedet. „Europa hält an der klimaschädlichen Kohle fest, als gäbe es den Klimawandel nicht“, kritisierte der Entwicklungsverband Oxfam am Freitag.
Was bedeutet die europäische Einigung auf Klimaziele bis 2030?
Mit der Einigung ist die EU bei den internationalen Klimaverhandlungen im Dezember in Lima und in einem guten Jahr zum Abschluss eines neuen Abkommens in Paris wieder verhandlungsfähig. Bis Frühjahr 2015 haben sich alle Staaten verpflichtet, ihre Beiträge zu einem Klimaschutzabkommen in Paris auf den Tisch zu legen. Vor einem Monat beim Klimagipfel des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon haben viele Staaten bereits ihre Vorstellungen vorgelegt. Die EU war damals noch nicht handlungsfähig und gab kein besonders überzeugendes Bild ab. In Lima kann die EU nun wieder mit einer einheitlichen Verhandlungsposition auftreten – auch wenn sie aus der Sicht vieler Entwicklungsländer, die vom Klimawandel besonders hart getroffen werden, unzureichend ausgefallen ist. Polen hat durchgesetzt, dass die Umsetzung eines jeden Reformschritts nicht nur zwischen dem Parlament und der EU-Kommission verhandelt werden muss, sondern auch einstimmig im Rat beschlossen wird. Doch der Europäische Vertrag sieht vor, dass Klimagesetze mit einer Mehrheitsentscheidung verabschiedet werden können. Europaparlamentarier haben sich in der Nacht zum Freitag über Twitter heftig darüber beschwert, „dass damit das Parlament entmachtet werden“ solle.
Was bedeutet „mindestens 40 Prozent“ Treibhausgasminderung?
Mit der Formulierung „mindestens“ hält sich die EU die Möglichkeit offen, im Verlauf der Pariser Verhandlungen ihr Angebot zu erhöhen, wenn beispielsweise die USA, China oder Indien vergleichbare oder darüber hinausgehende Ziele anpeilen sollten. Die 40 Prozent Emissionsminderung will die EU zu Hause erbringen. Darin sieht die scheidende EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard „einen Anreiz zu Strukturveränderungen“ innerhalb der Union.
Wie passiert mit erneuerbaren Energien?
Der Ausbaubeschluss ist nicht besonders ambitioniert ausgefallen. Auch ohne jeden Beschluss würde die EU bis 2030 bei einem Anteil von erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch von rund 25 Prozent landen. Zwei Prozentpunkte mehr sind nicht gerade ein Bekenntnis zur europäischen Energiewende.
Warum ist das Energieeffizienzziel so schwach ausgefallen?
Auch bei der Energieeffizienz liegt das Ziel mit einer angepeilten Verbesserung um 27 Prozent im Vergleich zu 2005 nicht besonders hoch. Die Osteuropäer wollten lediglich 25 Prozent, Großbritannien ein freiwilliges Effizienzziel. Allerdings haben die Länder, die sich von einem geringeren Energieverbrauch mehr Versorgungssicherheit und weniger Abhängigkeit von russischem Erdgas erhoffen, zumindest durchgesetzt, dass 2020 überprüft wird, ob 30 Prozent Effizienzverbesserung nicht kostengünstig machbar und für Europa vorteilhaft wären.
Was hat Polen ausgehandelt?
Polen war mit der Drohung in die Verhandlungen gegangen, das ganze Paket mit einem Veto zu verhindern. Die Zustimmung hat sich das Land teuer abkaufen lassen. Polen und andere osteuropäische Länder dürfen ihren Stromkonzernen noch bis 2030 kostenlose CO2-Zertifikate zuteilen. Allerdings von 2020 an nur noch in einem Umfang von 40 Prozent der benötigten Zertifikate. Die Zertifikate an Industrien, die im internationalen Wettbewerb stehen, sollen auch über 2020 hinaus kostenlos bleiben.
Was wird aus der geplanten Europäischen Energieunion?
Sie wird im Abschlussdokument genannt, aber nicht näher definiert. Vereinbart wurde aber, dass die EU-Staaten relevante Informationen über Gaslieferverträge mit Russland austauschen wollen. Außerdem hat der Rat beschlossen, die Stromnetze besser miteinander zu verknüpfen. Das alte Ziel, bis 2020 rund zehn Prozent der in Europa produzierten Strommenge über Ländergrenzen hinweg transportieren zu können, soll nun ernsthaft umgesetzt werden. Bis 2030 soll die sogenannte Interkonnektivität 15 Prozent der Strommenge erreichen. Wichtig ist das vor allem für Spanien und Portugal, die bisher nicht mit dem europäischen Netz verknüpft sind. Das gilt aber auch für die baltischen Staaten, deren Netze bisher nur mit Weißrussland und Russland verknüpft sind. Inselstaaten wie Malta und Zypern sind ebenfalls abgehängt. Griechenland ist nur schwach mit dem europäischen Netz verknüpft.