NSU-Prozess: Die Nebenklage stellt wichtige Fragen
Im NSU-Prozess haben die Nebenkläger viel ausgeteilt. Ihnen wurde umgekehrt vorgeworfen, den Prozess zu verzögern. Doch ihr Engagement ist legitim. Ein Kommentar.
Wahrscheinlich im Januar, womöglich schon diese Woche, wird im NSU-Prozess ein heikles Kapitel enden. Viele Nebenklage-Anwälte und manchmal auch deren Mandanten haben ihre Plädoyers vorgetragen. Es hagelte Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft und gegen die Richter des Oberlandesgerichts München. Beide haben aus Sicht vieler Opfer des NSU-Terrors und ihrer Vertreter die Pflicht vernachlässigt, das Netzwerk um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos umfassend zu durchleuchten, die wahre Dimension der Verbrechen aufzuklären und die Versäumnisse der Behörden zu benennen. Darauf haben Nebenkläger und Anwälte auch bei der Beweisaufnahme immer wieder gedrungen. Oft lehnte der Strafsenat sie ab.
Ist der NSU-Prozess ein Beispiel für den Missbrauch der Rechte von Nebenklägern durch übereifrige Anwälte?
Ist der NSU-Prozess also ein eklatantes Beispiel für den Missbrauch der Rechte von Nebenklägern durch übereifrige Anwälte? Zeigt sich sogar, dass die Institution der Nebenklage beschnitten werden muss? Solche Töne sind mit Verweis auf die Prozessdauer von nun mehr als viereinhalb Jahren, nicht nur bei murrenden Steuerzahlern, sondern auch in Juristenkreisen zu hören. Der Deutsche Richterbund fordert, die Zahl der Nebenklage-Anwälte solle begrenzt werden und nur je ein Anwalt eine größere Gruppe von Nebenklägern vertreten. Doch kann das eine Lehre aus dem NSU-Prozess sein Bei fairer Betrachtung ist das nicht die Lehre aus dem NSU-Prozess. Die 95 Nebenkläger und ihre 60 Anwälte haben das Mammutverfahren keineswegs an den Rand des Scheiterns gebracht oder um Jahre verlängert.
Natürlich gab es bizarre Momente. Ein Anwalt vertrat lange eine Mandantin, die gar nicht existiert. Und es zeigen sich bei den Nebenklage-Vertretern deutliche Unterschiede im Engagement. Bei den meisten Prozesstagen waren nur um die 50 Anwälte im Gerichtssaal präsent. Doch aus diesen Beobachtungen abzuleiten, der NSU-Prozess belege die Notwendigkeit einer harten Reform der strafprozessualen Grundlagen der Nebenklage, erscheint verfehlt. Der Ansatz der meisten Opferanwälte in München, deutlich mehr zu erfahren, als in der Anklageschrift steht, ist legitim. Und es ist Vertretern von Nebenklägern zu verdanken, dass neue Details ans Licht kamen. Dank des Münchner Anwalts Yavuz Narin wurde im Prozess thematisiert, dass Zschäpe mit Böhnhardt und Mundlos im Mai 2000 in Berlin war und möglicherweise eine Synagoge ausgespäht hat.
Der NSU-Prozess taugt nicht als Anlass, um die Strafprozessordnung zu verschärfen
Die Bundesanwaltschaft selbst wie auch die Richter haben, trotz der Dresche von Nebenklägern und Anwälten, diese bei ihren Plädoyers stets gegen Vorwürfe von Verteidigern Zschäpes in Schutz genommen. Anwälte der Hauptangeklagten hielten Vertretern von Nebenklägern vor, ihre Vorträge seien ausschweifend und eine Anklage gegen den Staat dürfe nicht Gegenstand eines Plädoyers sein. Durften sie dann aber doch. Deutlich mehr Kritik als die Nebenklage haben einige Verteidiger verdient. Vor allem die Anwälte des Neonazis Ralf Wohlleben haben mit vielen, oft zweifelhaften Befangenheits- und Beweisanträgen den Prozess gehemmt. Ohne diese Störmanöver wäre er womöglich schon beendet. Aber auch in diesem Punkt sollte gelten: Der NSU-Prozess alleine taugt nicht als Anlass, um die Strafprozessordnung zu verschärfen. Liberalität und langer Atem sind Markenzeichen des Rechtsstaats.?