Beitritt von Schweden und Finnland: Die Nato will die widerspenstige Türkei umstimmen
So schnell wie möglich will die Nato Beitrittsgespräche mit Schweden und Finnland führen. Doch der türkische Präsident Erdogan stellt sich noch quer.
Die Nato-Staaten bemühen sich, die Türkei von ihrem Widerstand gegen die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Militärallianz abzubringen. US-Präsident Joe Biden empfängt an diesem Donnerstag Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und den finnischen Präsidenten Sauli Niinistö.
Bei dem Treffen in der US-Hauptstadt Washington soll es vor allem um die Nato-Bewerbungen der beiden nördlichen EU-Staaten gehen, die vorerst von der Türkei blockiert werden. Die US-Regierung gab sich zuversichtlich, dass es möglich sei, am Ende eine Lösung für die Differenzen zu finden.
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Schweden und Finnland hatten am Mittwoch vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine offiziell die Mitgliedschaft in dem transatlantischen Bündnis beantragt. Finnland ist der EU-Staat mit der längsten Landesgrenze zu Russland. Die Türkei machte jedoch ihre Drohungen wahr und blockierte im Nato-Rat zunächst einen schnellen Beginn der Beitrittsgespräche mit den beiden Ländern. Die Regierung in Ankara machte Sicherheitsbedenken wegen der angeblichen Unterstützung beider Länder für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Kurdenmiliz YPG in Syrien geltend.
Wie die Türkei von einem Veto gegen einen Nato-Beitritt von Schweden und Finnland abgehalten werden kann, ist unklar. Nach Angaben von Diplomaten könnten neben Erklärungen der Nordländer zum Kampf gegen den Terrorismus auch von der Türkei erhoffte Waffengeschäfte eine Rolle spielen. So will die Regierung in Ankara in den USA F-16-Kampfjets kaufen - in Washington war ein möglicher Deal zuletzt aber politisch umstritten.
US-Regierung gibt sich zuversichtlich
Die US-Regierung gab sich optimistisch, dass es möglich sein werde, zu einer Lösung zu kommen. „Wir sind zuversichtlich, dass Finnland und Schweden letztendlich einen effektiven und effizienten Beitrittsprozess haben werden, bei dem die Bedenken der Türkei berücksichtigt werden können“, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Mittwoch (Ortszeit) im Weißen Haus. „Finnland und Schweden arbeiten direkt mit der Türkei zusammen, um dies zu erreichen, aber wir sprechen auch mit den Türken, um zu versuchen, den Prozess zu erleichtern.“
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Sullivan sagte, US-Außenminister Antony Blinken und er hätten am Mittwoch mit ihren jeweiligen türkischen Amtskollegen gesprochen - „und wir sind sehr zuversichtlich, was die weitere Entwicklung angeht“. Trotz der Gespräche mit den USA bleibt die Türkei vorerst aber bei ihrer Haltung. Er habe Blinken noch einmal die Position der Türkei zur Norderweiterung der Militärallianz deutlich gemacht, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen. Grundsätzlich bewertete Cavusoglu die Gespräche allerdings als „äußerst positiv“. Blinken habe gesagt, dass die Sorgen der Türkei legitim seien, sagte Cavusoglu.
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US-Präsident Biden zeigte sich zuversichtlich, dass der Nato-Beitritt von Finnland und Schweden klappen wird. „Ich glaube, das geht OK“, antwortet Biden auf die Frage eines Reporters zum türkischen Widerstand.
Biden begrüßte die Anträge Finnlands und Schwedens zur Aufnahme in die Nato und unterstrich das Bekenntnis seiner Regierung zu dem Bündnis. Er unterstütze die „historischen Anträge“ nachdrücklich, teilte Biden mit. Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem US-Kongress und den Nato-Verbündeten, „um Finnland und Schweden rasch in das stärkste Verteidigungsbündnis der Geschichte aufzunehmen“. Während die Anträge geprüft würden, würden die USA mit Finnland und Schweden zusammenarbeiten, um wachsam gegenüber Bedrohungen der gemeinsamen Sicherheit zu bleiben und Aggressionen entgegenzutreten.
Am diesem Donnerstag treffen sich außerdem die obersten Nato-Militärs, die für Verteidigung zuständig sind, in Brüssel. Unter anderem soll es um den Nato-Gipfel im Juni sowie Russlands Krieg gegen die Ukraine gehen. An einer der Sitzungen wird auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg teilnehmen.
Erdogan stellt Bedingungen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte unterdessen öffentlich deutlich, dass er eine Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands an ein Zugehen auf sein Land in Sicherheitsfragen knüpft. Die Nato-Erweiterung gehe für die Türkei einher mit dem Respekt, den man ihren Empfindsamkeiten entgegenbringe, sagte er bei einer Rede vor seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP am Mittwoch in Ankara.
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Schweden und Finnland wollten weitermachen mit der Unterstützung von „Terrororganisationen“, aber gleichzeitig die Zustimmung der Türkei für eine Nato-Mitgliedschaft, bemängelte Erdogan. „Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch.“ Schweden warf Erdogan konkret vor, die Auslieferung von 30 „Terroristen“ zu verweigern. „Die Nato ist ein Sicherheitsbund, eine Sicherheitsorganisation. Insofern können wir nicht ja dazu sagen, dieses Sicherheitsorgan unsicher zu machen“, sagte Erdogan.
Als „Terroristen“ bezeichnet Erdogan etwa Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die auch in den USA und Europa als Terrororganisation gilt. Die Türkei sieht aber auch die Kurdenmiliz YPG in Syrien als Terrororganisation an - für die USA ist die YPG in Syrien dagegen ein Verbündeter.
Droht eine monatelange Hängepartie?
Sollte die Türkei ihre Vorbehalte gegen einen Nato-Beitritt aufgeben, dürfte alles ganz schnell gehen. Bereits im Juni könnten dann die sogenannten Beitrittsprotokolle unterzeichnet werden und in den Mitgliedstaaten die Ratifizierungsverfahren beginnen. Im Idealfall wären Finnland und Schweden dann bis Ende des Jahres Nato-Mitglied. Sollte Ankara allerdings hart bleiben, wäre das Bündnis wegen des für alle Entscheidungen geltenden Einstimmigkeitsprinzips machtlos.
Besonders unangenehm ist für die Nato, dass die Türkei - auch wenn sie dem Start doch zustimmen sollte - das Aufnahmeverfahren auch noch an mehreren anderen Stellen blockieren kann. So könnte es die Unterzeichnung der Beitrittsprotokolle oder noch später die Ratifizierung verweigern. (dpa, Reuters)