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Mit großen Manövern wie hier im Juni in Polen versucht die Allianz, Stärke zu demonstrieren.
© AFP

Die Allianz und Russland: Die Nato muss glaubwürdig auf Putin reagieren

Putin lauert auf Schwächen der anderen. Deshalb ist Einigkeit im Bündnis keine Floskel, sondern harte politische Notwendigkeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal dreht sie kuriose Kreise. Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten in Warschau zum Gipfel-Diner treffen, speisen sie in dem Saal, in dem 1955 der Warschauer Pakt gegründet wurde. Der Zwangsbund der Sowjettrabanten ist untergegangen. Das Denken in Einflusszonen, das zum westlichen wie zum östlichen Militärpakt führte, ist es nicht. Manche reden von einem neuen Kalten Krieg. Der Vergleich führt eher in die Irre, weil sich Geschichte wirklich nicht wiederholt. Aber wer ihn benutzt, nimmt die neue Lage in Europa immerhin ernst.

Diese Lage wird von drei zentralen Faktoren bestimmt. Erstens: Russland. Wladimir Putin hat jahrelang viel Geld und Energie darin investiert, den Niedergang der einstigen Roten Armee zu stoppen und eine neue, schlagkräftige Militärmacht aufzubauen. Seit dem verdeckten Überfall auf die Ukraine und den Bombereinsätzen über Syrien ist offensichtlich, dass der russische Präsident dieses Machtmittel auch zu nutzen gedenkt.

Europa – zweitens – erwischte er auf dem falschen Fuß und die USA, drittens, erst recht. In Washington hatten sie eigentlich gerade beschlossen, Dienst als Weltpolizist nur noch nach Vorschrift zu leisten. In Europa wirkte der verführerische Gedanke nach, den Fall des Eisernen Vorhangs als Ende der Kriegsgeschichte zu deuten. Auch das war, leider, falsch.

Von einer Gesamtstrategie kann nach wie vor keine Rede sein

Die Nato hat bereits bei ihrem Gipfel vor zwei Jahren in Wales die wesentlichen militärischen Konsequenzen gezogen. Was in Warschau dazukommt an Truppenstationierung im Baltikum und in Polen, war in Wales angelegt, die verstärkte Manövertätigkeit inklusive. Wer darin den Einstieg in die nächste Rüstungsspirale wittert und vor Verstößen gegen Verträge mit Moskau warnt, verwechselt Ursache mit Wirkung. Vier neue Nato-Bataillone vor der russischen Westgrenze taugen mit Mühe zur Abschreckung. Aggressiv ginge anders.
Von einer konsistenten Gesamtstrategie kann freilich nach wie vor keine Rede sein. Man muss gar nicht bis Warschau, um das zu erkennen. Zwei Stunden im Bundestag reichen. Stehen Kanzlerin und Verteidigungsministerin für eine – sehr beschränkte – Wiederaufrüstung der Verteidigungsfähigkeit, glaubt der Außenminister „Säbelrasseln“ zu hören. Der Dritte im Koalitionsbund macht zwischendurch mal kurz seinen Kratzfuß als bayerischer Handlungsreisender in Moskau.

Wenn Putin Humor hat, müsste er laut lachen über das Schauspiel. Wenn er keinen hat, erst recht. Dabei steht ja außer Frage, dass die EU-Sanktionen nicht ewig gelten sollen und dass es das Beste wäre, den Kreml wieder auf das System der Sicherheit durch Verträge zu verpflichten. Aber auch hier lässt sich Geschichte nicht wiederholen. Willy Brandts Entspannungspolitik gegenüber einer bärenstarken Supermacht ist das falsche Vorbild für den Umgang mit einer Ex-Supermacht, die sich Bärenkräfte anmaßt.
Wladimir Putin kann nämlich Judo. Er lauert auf Schwächen des anderen. Darum ist die Nato ihm gegenüber nicht so stark, wie sie mehr Panzer hat, sondern nur so stark, wie sie glaubwürdig auf Provokationen reagiert. Deshalb ist Einigkeit keine Floskel, sondern harte politische Notwendigkeit. Deshalb sind die Krisen EU-Europas doppelt gefährlich, weil sie auf den Militärbund abfärben. Und deshalb sind Militär und Diplomatie kein Gegensatz. Eines ist Bedingung fürs andere.

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