Ende von Kampfeinsatz in Afghanistan: Die Nato hinterlässt ein Vakuum
Mit einer feierlichen Übergabezeremonie in Kabul hat die Nato nach 13 Jahren ihren Kampfeinsatz in Afghanistan beendet. Welche Zukunft hat das Staatswesen am Hindukusch?
Mit Beginn des Jahres 2015 soll der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als Kampfeinsatz enden. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass der afghanische Staat und dessen Armee sich gegen die inneren Fliehkräfte und die Taliban werden behaupten können. Wer eine Voraussage wagen will, wie es in Afghanistan weitergehen wird, wenn die Masse der ausländischen Truppen abgezogen und den Kampfeinsatz beendet sein wird, sollte einen Blick zurück werfen – in die Zeit des sowjetischen Abzugs.
Als 1989 die Rote Armee nach zehn Jahren erbittertem Krieg und fast 15 000 Toten das Land verließ, war die Situation in vielem mit heute vergleichbar. Auch damals sollte die Regierungsarmee den Kampf gegen die Widerstandskämpfer allein weiterführen. Es gelang der kommunistischen Zentralregierung noch drei Jahre, sich an der Macht zu halten. Allerdings war dies nur durch massive Waffen- und Lebensmittellieferungen sowie Geld aus der Sowjetunion möglich.
Allein um Kabul zu versorgen, musste Moskau monatlich 3000 Lkw-Ladungen in die Stadt bringen, und die Listen der afghanischen Waffenbestellungen wurden immer länger. Die Sowjets gewährten Kredit und lieferten, bis der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 auch das Schicksal des kommunistischen Regimes in Kabul besiegelte. Ohne die Mittel, Waffen und die Luftunterstützung des ehemaligen Waffengefährten lösten sich die Verbände der afghanischen Armee schnell auf, das Land versank im Bürgerkrieg der Warlords untereinander.
Wie Clans nach wie vor ihre Herrschaft ausüben
Der derzeitige Staatshaushalt Afghanistans ist ebenso abhängig von den Zuwendungen der westlichen Staatenkoalition. Das ausländische Militär ist für die afghanischen Machteliten eine lukrative Einnahmequelle. Mit dem massiven Absenken der Truppenstärke wird die Konkurrenz um verbleibende Pfründe größer werden. Als Gouverneur von Balkh kontrolliert Mohammed Atta mit seinem Clan zum Beispiel alle Firmen der Region, die mit den internationalen Gebern und ihrem Militär zusammenarbeiten. Der Bundeswehr blieb dies nicht verborgen. Doch um sich nicht noch mit den Provinzgewaltigen anzulegen, spielt man mit. Längst scharen diese alten Warlords wieder ihre Gefolgsleute um sich und geben Waffen aus. Die Amerikaner wiederum bewaffneten lokale Milizen gegen die Taliban.
Derweil verbreiten Bundesregierung und Bundeswehr-Führung ein positives Bild. Die offizielle Sprachregelung behauptet zwar nicht, dass man mit dem Ende des Kampfeinsatzes ein befriedetes Land hinterlasse, aber die Lage sei noch nie so gut wie jetzt gewesen. Nun müssten die Einheimischen daraus etwas machen. Eine Aussage, die sich schon nach dem Abzug der US-Truppen aus Vietnam und aus dem Irak als falsch erwies.
Ganz anders klingt dann auch, wie hohe deutsche Offiziere die Lage bewerten. Der afghanischen Armee trauen sie kaum zu, dem Druck der Aufständischen standzuhalten. Zwar hat sich deren Einsatzfähigkeit in den letzten Jahren deutlich verbessert, doch ist sie in vielen Bereichen bei Weitem nicht ausreichend. Eine kleine afghanische Luftwaffe ist noch im Aufbau, die logistischen Fähigkeiten der Streitkräfte sind gering. Schon die Sowjets klagten darüber, dass in den Lagerhäusern an der Grenze tausende Tonnen Versorgungsgüter verdarben, weil die Afghanen es nicht schafften, die Verteilung zu organisieren. Auch heute scheitern immer wieder Operationen der afghanischen Sicherheitskräfte, weil nicht vorausschauend logistisch geplant wurde.
Ethnische Konflikte in der Armee
Am meisten sorgen sich einsatzerfahrene Offiziere aber um den inneren Zustand der afghanischen Armee. Die ethnische Zugehörigkeit ist immer noch wichtiger als die gemeinsame Uniform, was zu absurden Situationen führt. Befehlsstränge werden nicht ein- oder Meldungen zurückgehalten, weil dem Vorgesetzten, der einer anderen Ethnie angehört, nicht vertraut wird. Operationen und Vorhaben werden oft nicht mit anderen militärischen und zivilen Dienststellen abgestimmt. Viele deutsche Offiziere sind davon überzeugt, dass die afghanische Armee in einem Konflikt zwischen den regionalen Machthabern beziehungsweise den Ethnien schnell auseinanderbrechen würde. Genauso, wenn die Bezahlung eine Zeit lang ausbliebe.
Ein von der „Washington Post“ veröffentlichter gemeinsamer Bericht der US-Geheimdienste kommt zu dem Ergebnis, dass bereits 2017 alles bisher Erreichte wieder zunichte gemacht sein wird. Als wahrscheinlichste Zukunftsszenarien werden das Auseinanderfallen des Staates in einem Bürgerkrieg oder die erneute Machtübernahme der Taliban genannt.